Das Große Franziskusleben

des hl. Bonaventura

DRITTES BUCH 

Wunder nach seinem Tode


I. Kapitel 
Die Macht seiner Heiligen Wundmale

1. 
Zur Ehre und zum Ruhme des allmächtigen Gottes! Da ich einige der kirchlich anerkannten Wunder beschreiben will, die der selige Vater Franziskus nach seiner Verherrlichung im Himmel gewirkt hat, beginne ich wohl am besten mit jenem Wunder, das die Kraft des Kreuzes Jesu zeigt und seinen Ruhm erneut bekräftigt. Als neuer Mensch erstrahlte Franziskus auch in einem neuen und staunenswerten Wunder. Denn mit einem einzigartigen Vorrecht begnadet, das vergangenen Jahrhunderten versagt war, ist er erschienen; ihn zierten nämlich die heiligen Wundmale, die ihn dem sterblichen Leibe nach schon dem Leibe des Gekreuzigten gleichmachen. Was auch Menschenzungen darüber sagen mögen, sie können nie ein angemessenes Lob spenden. Alles Sinnen und Trachten des Gottesmannes drehte sich nämlich in seinem öffentlichen und privaten Leben um das Kreuz Christi. War das Zeichen des Kreuzes bereits vom Beginn seiner Bekehrung an seinem Herzen eingeprägt, so sollte es auch äußerlich seinen Leib bezeichnen. Darum hüllte er sich gleichsam in das Kreuz und bekleidete seinen Körper mit einem kreuzförmigen Bußkleid. Wie er nämlich seiner Gesinnung nach den gekreuzigten Herrn angezogen hatte, so sollte auch sein Leib die Waffen des Kreuzes tragen, und unter demselben Zeichen, mit dem Gott die Mächte im Luftreich besiegt hatte, sollte auch sein Heerbann dem Herrn Kriegsdienst leisten. Schon von jener Zeit an, da er für den Gekreuzigten zu streiten begann, umgab ihn augenscheinlich ein vielfaches Geheimnis des Kreuzes, wie es dem, der sein Leben betrachtet, deutlich wird, hat ihn doch eine siebenfache Erscheinung des Kreuzes des Herrn durch das Übermaß seiner Liebe in seinem Denken, Wollen und Handeln ganz zum Bild des Gekreuzigten umgestaltet. Mit Recht hat daher der König des Himmels, der sich in seiner Güte alle menschliche Fassungskraft übersteigend - zu seinen Freunden herabneigt, seinem Leibe das Kreuz eingeprägt, damit er es als Banner vorantrage. Da er eine einzigartige Liebe zum Kreuze besaß, sollte er, wunderbar mit dem Kreuze ausgezeichnet, auch durch Wunder erstrahlen.

2. 
Um dieses erstaunliche Wunder über alle Zweifel zu erheben, dienen neben den überaus glaubwürdigen Zeugnissen derer, die sie sahen und berührten, auch die wunderbaren Erscheinungen und die augenfälligen Wunder nach seinem Tod, die allen dunklen Zweifel aus unserem Herzen bannen.

Papst Gregor IX. seligen Andenkens - ihm hatte der Heilige einst prophezeit, er werde einmal zur päpstlichen Würde gelangen - hatte heimlich in seinem Herzen an der Seitenwunde des Heiligen gezweifelt, ehe er den Bannerträger des Kreuzes in das Verzeichnis der Heiligen aufnahm. Doch wie der selige Oberhirte selbst unter Tränen berichtete, erschien ihm eines Nachts der selige Franziskus im Traume und tadelte ihn mit strenger Miene wegen des heimlichen Zweifels. Dann hob er einen rechten Arm, zeigte ihm die Seitenwunde und verlangte von ihm ein Glasgefäß, das jenes Blut, das aus der Seite floß, aufnehme. In diesem Traumgesicht reichte der Papst das gewünschte Glasgefäß und sah, wie sich dieses ganz mit dem aus der Seite rinnenden Blut füllte. Von dieser Zeit an erfüllte ihn so tiefe Andacht und so glühender Eifer für dieses Wunder, daß er auf keine Weise er tragen konnte, wenn jemand in stolzer Überhebung jene strahlen den Zeichen zu bezweifeln oder geringzuschätzen wagte, und ihn deshalb streng tadelte.

3. 
Ein Bruder und Prediger aus dem Minderbrüderorden, den ein tugendreiches Leben und guter Ruf auszeichneten, glaubte zwar fest an die Wundmale des Heiligen; als er aber aus menschlicher Neugier über den Sinn dieses Wunders nachdachte, überkam ihn ein ähnlicher Zweifel. Da sein rein menschliches Denken stärker wurde und er unter diesem Zwiespalt mehrere Tage litt, erschien ihm nachts im Schlaf der heilige Franziskus mit lehmigen Füßen, trotz seiner Demut und Geduld hart und erzürnt. "Warum hast du", sprach er zu ihm, "diese inneren Kämpfe und diesen sündhaften Zweifel? Sieh meine Hände und meine Füße''. Während er die durchbohrten Hände sah, konnte er die Wunden an den Füßen nicht erkennen, weil sie von Lehm bedeckt waren. "Entferne", forderte er ihn dann auf, "den Lehm von meinen Füßen und schau die Male der Nägel''. Als er sie voll Andacht berührte, glaubte er, den Lehm abzuwischen und die Male der Nägel zu berühren. Kaum war er erwacht, begann er zu weinen, und wusch durch diese Ströme von Tränen und ein öffentliches Bekenntnis diese gleichsam lehmbeschmutzten Gedanken ab.

4. 
In der Stadt Rom lebte eine fromme Frau, die man wegen ihres vorbildlichen Lebens und ihrer adeligen Herkunft achtete. Sie hatte den heiligen Franziskus zu ihrem Fürsprecher erkoren und verwahrte in ihrem abgelegenen Gemach, wo sie zum Vater im Verborgenen betete, ein gemaltes Bild des Heiligen. Als sie eines Tages im Gebete weilte und sah, daß der Heilige auf jenem Bilde nicht die heiligen Wundmale hatte, war sie sehr betrübt und verwundert. Aber sie brauchte sich nicht zu wundern, wenn sie auf dem Bild nicht fand, was der Maler nicht angebracht hatte. Während sie mehrere Tage lang viel darüber nachsann, aus welchem Grunde die Wundmale fehlten, siehe, da erschienen eines Tages jene wunderbaren Zeichen auf dem Bilde, wie sie auf den anderen Bildern des Heiligen zu sehen sind. Erschreckt rief sie ihre fromme Tochter hinzu und fragte sie, ob bisher auf dem Bilde wirklich die Wundmale nicht dargestellt waren. Die Tochter beteuerte und schwor, daß der Heilige früher auf dem Bild ohne Wundmale gemalt war, sie jetzt indes trage. Weil aber menschliches Grübeln oft die Schuld daran trägt, daß der Mensch fällt und die Wahrheit in Zweifel zieht, geriet der Sinn der Frau erneut in schlimme Zweifel, ob das Bild nicht doch von Anfang an so gemalt war. Damit aber dieses erste Wunder nicht verachtet werde, wirkte Gottes Macht ein zweites: Sogleich verschwanden diese Zeichen wieder, und das Bild blieb künftig dieser Zier beraubt, damit das zweite Wunder das erste bestätige.

5. 
Bei Leridas in Catalonien lebte ein frommer Verehrer des seligen Franziskus mit Namen Johannes. Eines Abends mußte er einen Weg gehen, wo jemand auf der Lauer lag, nicht um ihn, der keine Feinde hatte, sondern einen anderen, der ihm glich und sich in seiner Begleitung befand, zu töten. Da sprang aus dem Hinterhalt ein Mann, der ihn für seinen Feind hielt, und verwundete ihn mit Schwerthieben so lebensgefährlich, daß für ihn keine Hoffnung mehr bestand, sein Leben zu erhalten. Der erste Schwerthieb hatte nämlich fast die ganze Schulter samt den Armen vom Rumpfe getrennt, ein anderer hatte seiner Brust eine so klaffende Wunde beigebracht, daß der Atem, der aus dieser Wunde entwich, etwa sechs zusammengebundene Kerzen ausgeblasen hätte. Nach dem Urteil der Ärzte schien eine Heilung unmöglich, weil die Wunden eiterten und einen so unerträglichen Geruch verbreiteten, daß selbst seine Frau starken Ekel empfand. Da nun alle menschliche Kunst versagte, rief jener Mann den heiligen Franziskus mit aller Andacht, deren er fähig war, um Fürsprache an, wie er ihn und die heilige Jungfrau schon unter den Schwerthieben gläubig angefleht hatte. Und siehe! Als er elend und verlassen auf seinem Bette lag und in wachem Zustand öfter wehklagend den Namen des heiligen Franziskus anrief, kam jemand im Gewand der Minderbrüder, wie ihm schien, durchs Fenster zu ihm. Dieser rief ihn beim Namen und sprach: .,Weil du Vertrauen zu mir hattest, siehe, darum wird der Herr dich erretten." Auf die Frage, wer er sei, gab jener zur Antwort, er sei Franziskus. Dann trat er an sein Bett, löste den Verband von seinen Wunden und salbte, wie er glaubte, alle seine Wunden mit Salböl. Kaum spürte er, wie ihn die heiligen Hände, die dank den Wundmalen des Erlösers heilende Kraft haben, leicht berührten, da sah man keinen Eiter mehr, das Fleisch wurde wieder gesund, und er erlangte seine frühere Gesundheit wieder, da seine Wunden geheilt waren. Danach verschwand der heilige Vater. Der Kranke, der sich geheilt fühlte, stimmte ein frohes Loblied auf Gott und den heiligen Franziskus an und rief seine Frau. Diese lief schnell herbei. Als sie den da stehen sah, den sie am nächsten Tage begraben zu müssen glaubte, ward sie von Staunen und Schrecken ergriffen und rief die ganze Nachbarschaft zusammen. Nun eilten die Seinen herbei und wollten ihn wie einen Irren mit Gewalt wieder ins Bett bringen, er aber wehrte sich, beteuerte und zeigte, daß er geheilt war. Vor Staunen waren sie wie versteinert, so daß sie fast den Verstand verloren und das Gesehene für Täuschung hielten; fanden sie doch den bei bester Gesundheit, den sie kurz zuvor aufs schwerste verwundet und der Auflösung nahe angetroffen hatten. Der Geheilte aber sprach zu ihnen: "Fürchtet euch nicht und haltet das Gesehene nicht für Täuschung, denn soeben erst ist Franziskus von mir gegangen und hat mich durch Berührung seiner heiligen Hände von allen Wunden gänzlich geheilt." Als sich die Kunde von dem Wunder verbreitete, strömte das ganze Volk herbei und erkannte an diesem offenkundigen Zeichen die Macht der Wundmale des heiligen Franziskus. Bewunderung und Freude zugleich erfüllte alle und sie priesen den Bannerträger Christi mit lauten Lobgesängen.

Der selige Vater, der dem Leibe nach tot war und bei Christus lebte, hat durch seine sichtbare Gegenwart und die sanfte Berührung seiner heiligen Hände mit Recht dem zu Tode verwundeten Mann die Gesundheit wiedergegeben; denn er trug an seinem Leibe die Wundmale dessen, der aus Erbarmen sterbend und von den Toten wunderbar auferstehend, das verwundete und halbtot daniederliegende Menschengeschlecht durch die Kraft seiner Wunden geheilt hat.

6. 
Bei Potenza, einer Stadt Apuliens, lebte der Kleriker Roger, ein ehrenwerter Mann und Kanoniker der Domkirche. Von Krankheit geplagt betrat er eines Tages zum Gebet die Kirche, in der auf einem Gemälde der heilige Franziskus mit den glorreichen Wundmalen dargestellt war. Da kamen ihm Zweifel an dem so ungewöhnlichen Wunder, weil es ihm gänzlich unerhört und unmöglich schien. Während er daher, an der Seole verwundet, in seinem Herzen solch törichte Gedanken hegte, fühlte er, wie er unter dem Handschuh an der linken Handfläche schwer verwundet wurde und hörte auch das Geräusch des Aufschlags, wie wenn ein Pfeil von der Armbrust abgeschossen wird. Im Schmerz über die Verwundung und voll Staunen über das Geräusch streifte er bald den Handschuh von der Hand, um mit eigenen Augen zu sehen, was er gefühlt und gehört hatte. Obschon er vorher keinerlei Verwundung an seiner Handfläche gehabt hatte, so sah er jetzt mitten in der Hand eine Wunde, wie die Verwundung durch einen Pfeil hervorruft, und empfand dadurch so heftige Schmerzen, daß er fast die Besinnung verlor. Es klingt unglaublich! Man seh an seinem Handschuh keine Spur, so daß die Strafe, die ihm unsichtbar die Wunde schlug, der verborgenen Wunde seines Herzens entsprach. Von heftigem Schmerz gequält, schrie und klagte er zwei Tage lang und gestand vor allen Menschen die Finsternis seines ungläubigen Herzens ein. Er bekannte und beschwur seinen aufrichtigen Glauben daran, daß Franziskus die heiligen Wundmale besessen habe, und gab so zu erkennen, daß aller Wahn und Zweifel von ihm gewichen war. Inständig bat er den Heiligen Gottes, er möge ihm um seiner heiligen Wundmale wegen zu Hilfe kommen und machte die vielen innigen Gebete wohlgefällig durch die vielen Tränen, die er dabei vergoß. Es war gewiß erstaunlich, daß er kaum seinen Unglauben aufgegeben hatte und schon auf die Heilung seiner Seele auch die seines Leibes folgte. Aller Schmerz hörte auf, die Glut ward gelindert, und von der Wunde blieb keine Spur zurück. In seiner gütigen Vorsehung heilte Gott die verborgene Krankheit seiner Seele durch die sichtbare Züchtigung seines Leibes; als aber seine Seole gesund geworden, war auch sein Leib geheilt. Fortan war er demütig, gottesfürchtig und in steter Liebe dem Heiligen und dem Orden der Brüder zugetan. Dieses bedeutsame Wunder bekräftigte er durch Eid, dessen Niederschrift aber beglaubigte der Bischof durch sein Siegel, und so gelangte die Kunde von diesem Wunder auch zu uns.

An den heiligen Wundmalen ist daher jeder Zweifel ausgeschlossen. Memandes Auge aber darf neidisch sein, weil Gott gut ist, als ob es Gottes Güte nicht anstehe, ein solches Geschenk zu verleihen. Niemand mit gesundem Menschenverstand kann leugnen, daß es der Ehre Gottes dient, wenn in dieser seraphischen Liebe viele Glieder Christus, ihrem Haupte, anhangen, im Kampf die gleichen Waffen tragen dürfen und in seinem Reiche eine ähnliche Verherrlichung erlangen.


II. Kapitel 
Totenerweckungen

1. 
In dem Dorf Monte Marano bei Benevent war eine Frau, die dem heiligen Franziskus in besonderer Verehrung ergeben war, den Weg alles Fleisches gegangen. Als aber die Kleriker nachts zur Totenwache und zum Gesang des Totenoffiziums versammelt waren, erhob sich die Frau vor aller Augen von ihrem Lager und rief einen der Umstehenden, ihren Oheim, mit den Worten zu sich: "Ich möchte beichten, Vater. Höre meine Sünden. Nach meinem Tode wollte man mich in einen finsteren Kerker einschließen, weil ich die Sünde, die ich dir beichten will, nicht bekannt hatte. Weil aber Franziskus, den ich zeitlebens fromm verehrt habe, für mich Fürsprache einlegte, durfte ich jetzt zum Leben zurückkehren, um durch das Bekenntnis dieser Sünde das ewige Leben zu erlangen. Siehe, nachdem ich mich ihrer angeklagt habe, werde ich zur verheißenen Ruhe gelangen." Zitternd beichtete sie dem zitternden Priester. Als sie die Lossprechung empfangen hatte, streckte sie sich in Frieden auf ihrem Lager aus und entschlief selig im Herrn.

2. 
In dem Dorfe Pomario, das in den Bergen Apuliens liegt, besaßen ein Vater und eine Mutter ein einziges Töchterchen, das noch in zartem Kindesalter stand, und das sie sehr liebten. Als es infolge einer Krankheit starb, meinten die Eltern, sie seien mit ihm aus dem Leben gegangen, weil keine Hoffnung mehr bestand, noch Kinder zu bekommen. Zu dem gar traurigen Leichenbe-gängnis kamen Verwandte und Freunde herbei. Die unglückliche Mutter war von unsagbarem Schmerz erfüllt und in ihrer unermeßlichen Trauer so sinnesabwesend, daß sie nichts von dem gewahrte, was um sie vorging. Inzwischen erschien der heilige Franziskus in Begleitung nur eines Gefährten der untröstlichen Frau, deren Verehrung zu ihm er kannte, und sprach zu ihr das trostreiche Wort: "Weine nicht, denn das Licht deiner Augen, dessen Verlöschen du beklagst, sollst du auf meine Fürbitte wiedergeschenkt bekommen." Sogleich erhob sich die Frau und teilte allen mit, was ihr der Heilige gesagt hatte. Sie ließ die Leiche ihres Kindes nicht aus dem Hause tragen, sondern rief mit starkem Glauben den Namen des heiligen Franziskus an. Dann nahm sie das tote Kind bei der Hand und hob es, wie alle voll Staunen sahen, lebend und gesund auf.

3. 
Einmal erbaten sich die Brüder von Nocera von einem Manne namens Petrus einen Wagen, den sie eine Zeitlang nötig hatten. Statt ihnen den erbetenen Dienst zu leisten und das zur Ehre des heiligen Franziskus gewünschte Almosen zu gewähren, beschimpfte er sie in seiner Torheit und stieß gegen sie Verwünschungen aus. Doch schon bald tat dem Manne seine Torheit leid, und Furcht vor Gott überfiel ihn, seine Rache könne ihn vielleicht treffen. Sie folgte tatsächlich auf dem Fuße; denn sein einziger Sohn wurde sogleich krank und hauchte nach kurzer Zeit seine Seele aus. Da warf sich der unglückliche Vater zu Boden, rief den Heiligen Gottes Franziskus an und betete unter Tränen: "Ich habe gesündigt, habe gottlos gesprochen. Du hättest mich am eigenen Leibe züchtigen wollen. Heiliger, gib dem büßenden Vater zurück, was du dem lästernden genommen hast! Ich weihe mich dir und will dir allzeit zu Diensten sein, denn ich will mein andächtiges Lobopfer stets Christus zu deiner Ehre darbringen." Seltsam! Bei diesen Worten stand der Junge auf und bot dem Klagen Einhalt. Dann erzählte er, wie bei seinem Tode seine Seele aus dem Leibe geführt, vom seligen Franziskus geleitet und schließlich in den Körper zurückgeführt wurde.

4. 
Der kaum siebenjährige Sohn eines römischen Notars wollte nach Kinderart seiner Mutter folgen, die zur Kirche San Marco ging. Da die Mutter ihn zu Hause zu bleiben zwang, sprang er aus dem Fenster des Palastes und erlag sogleich seinen überaus schweren Verletzungen. Als die Mutter, die noch nicht weit gegangen war, den Aufschlag hörte, vermutete sie, daß ihr Sohn hinabgestürzt sei. Schnell lief sie zurück und sah ihren Sohn, der durch den furchtbaren Sturz so plötzlich sein Leben verloren hatte. Sie schlug sich selbst vor Reue und brachte mit ihrem Wehgeschrei die ganze Nachbarschaft zu allgemeinem Wehklagen. Ein Bruder namens Raho aus dem Minderbrüderorden, der zum Predigen dorthin gekommen war, eilte zu dem Jungen und sagte voll Glauben zu dem Vater: "Glaubst du, daß der Heilige Gottes Franziskus von den Toten erwecken kann, weil er stets Christus geliebt hat, der sich kreuzigen ließ, um den Menschen das Leben zurückzugeben?" Da gab der Vater zur Antwort, er glaube dies fest und werde diesen Glauben allzeit bekennen. Er werde auch künftig stets den Heiligen verehren, wenn er durch seine Verdienste von Gott eine solche Gnade erlangen könne. Da kniete der Bruder mit seinem Gefährten nieder und forderte auch die Umstehenden zum Gebete auf. Nach dem Gebete aber begann der Junge zu gähnen, schlug seine Augen auf, streckte seine Hände aus, richtete sich auf und lief vor aller Augen unverletzt umher. So gab die außergewöhnliche Macht des Heiligen ihn lebend und gesund den Eltern zurück.

5. 
Als in der Stadt Capua eines Tages ein Junge an den Ufern des Volturno mit andern Kindern unvorsichtig spielte, glitt er in die Tiefe. Der reißende Fluß riß ihn schnell mit sich fort und begrub ihn tot unter dem Sande. Auf das Schreien der Kinder, die mit ihm am Ufer gespielt hatten, eilte eine große Volksschar dort zusammen. Voll Hingabe und Andacht rief das ganze Volk die Fürsprache des seligen Franziskus an, er möge gnädig auf den Glauben der Eltern, die ihn verehrten, schauen und das Kind aus der Lebensgefahr erretten. Auf das Geschrei hin kam nun auch von weither ein Mann hinzu, der schwimmen konnte. Er stellte längere Fragen, rief den seligen Franziskus um Hilfe an und fand schließlich die Stelle, wo der Schlamm wie ein Grab die Leiche des Jungen bedeckte; da grub er den Knaben aus und brachte ihn ans Ufer. Zu seinem Schmerz seh er jedoch, daß der Junge bereits tot war. Zwar erkannten auch die Umstehenden, daß der Knabe nicht mehr lebte, dennoch riefen sie unter Tränen und Wehklagen aus: "Heiliger Franziskus, gib doch seinem Vater den Jungen zurück!" Sogar Juden, die gekommen waren, sprachen aus natürlichem Mitleid: "Heiliger Franziskus, gib doch dem Vater den Jungen zurück!" Zur Freude und zum Staunen aller erhob sich der lunge unversehrt und bat inständig, man möge ihn doch zur Kirche des heiligen Franziskus bringen, um. dort dem Heiligen ergeben zu danken, da er sich durch dessen Macht wunderbar zum Leben wieder erweckt wußte.

6. 
In der Stadt Sessa stürzte in dem Stadtviertel "alle Colonne" plötzlich ein Haus zusammen. Dabei wurde ein junger Mann verschüttet und fand unerwartet den Tod. Durch das Getöse beim Einsturz des Hauses aufgeschreckt, liefen Männer und Prauen von allen Seiten zusammen, schafften alle Balken und Steine weg, konnten der weinenden Mutter den Sohn aber nur tot übergeben. Diese brach in bitteres Schluchzen aus und rief so laut sie konnte, in ihrem Schmerz zum Heiligen: "Heiliger Franziskus, heiliger Franziskus, gib mir meinen Sohn wieder!" Mit ihr riefen auch alle, die dabei waren, den Schutz des seligen Vaters an. Da aber der junge Mann weder ein Wort noch sonst ein Lebenszeichen von sich gab, legte man die Leiche auf ein Bett und wartete den nächsten Tag ab, um ihn zu begraben. Im Vertrauen auf Gott und auf die Verdienste seines Heiligen ;machte aber die Mutter das Gelübde, sie werde eine neue Linnendecke für den Franziskusaltar schenken, wenn er ihren Sohn wieder zum Leben erwecke. Und siehe da, um Mitternacht begann dieser zu gähnen, seine Glieder erwärmten sich, er erhob sich lebend und gesund und brach in lauten Lobpreis aus. Auch den Klerus der herbeigekommen war, und alles Volk forderte er auf, sie möchten frohen Herzens Gott und dem seligen Franziskus Lob und Dank sagen.

7. 
Ein junger Mann namens Gerlandio, aus Ragusa gebürtig, ging zur Zeit der Lese in den Weinberg. Als er sich an der Weinkufe unter die Kelter beugte, um Schläuche zu füllen, brach das Holzgerüst in sich zusammen, und die schweren Steine zerschmetterten ihm mit ihrer todbringenden Last den Kopf. Sofort eilte der Vater voller Verzweiflung zu seinem Sohne, konnte aber dem Erschlagenen nicht helfen, sondern mußte ihn, wie er hingestürzt war, unter der Last liegen lassen. Als die anderen Winzer das Wehgeschrei hörten und aus großem Mitleid mit dem Vater des jungen Mannes schnell herbeieilten, konnten sie den jungen Mann nur als Toten bergen. Sein Vater warf sich aber Jesus zu Füßen und flehte voll Demut, er möge ihm seinen einzigen Sohn auf die Verdienste des heiligen Franziskus, dessen Fest gerade bevorstand, zurückgeben. Unter Tränen betete er, gelobte fromme Werke und versprach, mit seinem Sohne das Grab des Heiligen zu besuchen, wenn er zum Leben zurückkehre. Welch ein Wunder! Sogleich erwachte der junge Mann, dessen ganzer Körper zerschmettert war, zum Leben und zu unversehrter Gesundheit. Er stand vor allen Menschen voller Freude auf, tadelte die Weinenden und versicherte, er habe auf die Fürbitte des heiligen Franziskus das Leben wiedererlangt.

8. 
In Deutschland erweckte er einen anderen Toten zum Leben. Davon berichtete Papst Gregor zur Zeit der Übertragung des heiligen Franziskus zur großen Freude durch ein apostolisches Schreiben allen Brüdern, die zur Übertragung und zum Kapitel erschienen waren. Da ich den Verlauf dieses Wunders nicht kenne, habe ich ihn nicht geschildert, denn ich halte dafür, daß ein päpstliches Zeugnis jede andere Darstellungsart überragt.


III. Kapitel 
Errettung aus Lebensgefahr

1. 
In der Umgebung Roms nahm ein Adeliger namens Rodulfus mit seiner gottergebenen Gattin die Minderbrüder bei sich aus Gastfreundschaft und aus Liebe und Verehrung für den seligen Franziskus auf. In jener Nacht schlief der Burgwächter auf der Zinne des Turmes; er hatte sich auf einem Reisigbündel, das auf einem Mauervorsprung lag, zur Ruhe ausgestreckt. Da löste sich das Bündel, und er stürzte zuerst auf das Dach des Palastes und von da auf die Erde. Durch das Getöse bei dem Sturze wachte die ganze Familie aus dem Schlafe auf, und als sie merkten, daß der Wächter von dem Turm gefallen war, liefen der Burgherr, seine Gattin und die Brüder herzu. Der Mann jedoch, der aus der Höhe gestürzt war, schlief so fest, daß er weder durch den doppelten Aufschlag noch durch das laute Geschrei der Familie erwachte. Als man ihn schließlich schüttelte und an den Händen zog, kam er zu sich und beklagte sich, daß man ihn aus dem süßen Schlummer geweckt habe. Er versicherte, er habe sanft in den Armen des seligen Franziskus geruht. Erst als man ihn über seinen Sturz aufklärte, und er sich auf dem Boden liegend fand, da er sich doch auf dem Turm zur Ruhe gelegt hatte, stellte er zu seinem gröBten Erstaunen fest, was er vorher nicht gewahrt hatte. Daher versprach er vor allem, er werde aus Verehrung für Gott und den seligen Franziskus ein Leben der Buße führen.

2. 
In dem Ort Pofi in der Campagna machte sich ein Priester mit Namen Thomas daran, eine Mühle, die seiner Kirche gehörte, auszubessern. Als er nun unvorsichtig am Ufer eines tiefen Grabens entlangging, durch den die Wassermassen dahintosten, glitt er hinein und geriet zwischen das Wasserrad, dessen Bewegung die Mühle betrieb. Da er durch das Wasserrad eingezwängt war und die Wasserflut - er war nämlich mit dem Kopf nach unten gefallen - über sein Gesicht strömte, rief er den heiligen Franziskus flehentlich in seinem Herzen an, da er es mit seinem Mund nicht konnte. So lag er lange Zeit, und die Gefährten gaben schon alle Hoffnung auf, ihn noch retten zu können. Als sie dann mit Gewalt das Rad rückwärts drehten und der Priester herausgeschleudert wurde, schwamm er, mit dem Tode ringend, in den reißenden Fluten. Und siehe, ein Minderbruder, mit einem strahlenden Habit bekleidet und einem Strick umgürtet, faßte ihn sanft beim Arm und zog ihn aus dem Fluß; dann sprach er: "Ich bin Franziskus, den du angerufen hast." Ob seiner Rettung nicht wenig erstaunt, wollte er die Spur seiner Füße küssen, lief ängstlich hin und her und fragte seine Gefährten: "Wo ist nun jener? Wo ist der Heilige hingegangen? Welchen Weg hat er eingeschlagen?" Erschreckt aber warfen sich jene Männer zur Erde und priesen die herrlichen Wundertaten des erhabenen Gottes und die machtvolle Fürsprache seines demütigen Dieners.

3. 
Einige junge Leute aus dem Ort Celano waren zur Kräuterlese aufs Feld gegangen. Dort war ein alter Brunnen, dessen Rand ganz von wuchernden Kräutern verdeckt war und der Wasser von vier Klafter Tiefe barg. Als die jungen Leute jeder für sich über das Feld gingen, fiel einer von ihnen unversehens in den Brunnen. Während sein Leib in dem tiefen Brunnenschacht versank, wandte sich sein Geist an den heiligen Franziskus um Hilfe, indem er ihn während des Sturzes voll Glauben und Vertrauen anrief: "Hilf mir, heiliger Franziskus!" Die übrigen liefen hin und her, da der Junge nicht mehr da war, und suchten ihn schreiend und liefen weinend umher. Als sie schließlich merkten, daß er in den Brunnen gefallen war, eilten sie klagend zum Dorfe zurück, kündeten was geschehen war, und baten um Hilfe. Als sie dann mit einer großen Volksmenge zum Brunnen zurückkehrten, ließ man einen Mann an einem Seil in den Brunnen hinab. Der sah nun, wie der Junge auf der Wasseroberfläche saß und keinerlei Schaden gelitten hatte. Sobald er den Jungen aus dem Brunnen herausgezogen hatte, sagte dieser zu den Umstehenden: "Als ich plötzlich in den Brunnen fiel, rief ich den seligen Franziskus um Hilfe an. Sogleich stand er mir bei dem Fall durch seine Gegenwart zur Seite, reichte mir die Hand, hielt sie sanft fest und ließ sie nicht mehr los, bis er mich zugleich mit euch aus dem Brunnen befreit hatte."

4. 
In Gegenwart der römischen Kurie predigte der Bischof von Ostia, der spätere Papst Alexander, in der Kirche San Francesco zu Assisi. Da bekam ein großer schwerer Stein, den man aus Unachtsamkeit auf einem hohen, steinernen Vorsprung hatte liegen lassen, durch seine Schwere das Übergewicht und fiel einer Frau auf den Kopf. In dem Glauben, die Frau sei bereits tot und ihr Haupt sei gänzlich zerschmettert, bedeckten die Umstehenden die Frau mit einem Mantel, um sie nach der Predigt im Trauergeleite aus der Kirche zu tragen. Diese hatte sich aber voll Glauben dem seligen Franziskus, vor dessen Altar sie lag, anempfohlen. Und siehe, nach der Predigt stand die Frau so unversehrt vor aller Augen da, daß man an ihr keine Spur von Verletzung fand. Ja, was noch erstaunlicher war, sie war, während sie lange Zeit vorher bis zu jener Stunde ständig an Kopfschmerzen gelitten hatte, von da an von allen Schmerzen dieses Leidens frei, wie sie selbst später bezeugt hat.

5. 
Als fromme Männer bei der Niederlassung der Brüder zu Corneto zum Glockenguß versammelt waren, brachte ein achtjähriger Junge mit Namen Bartholomäus den Brüdern eine Mahlzeit für die Arbeiter. Da erschütterte plötzlich ein heftiger Sturmwind das Haus und warf mit solcher Wucht das große, schwere Haustor auf den Jungen, daß ihn sein gewaltiges Gewicht, wie die Leute glaubten, erdrückte und der tödliche Schlag ihn zermalmte. Die Tür hatte ihn völlig unter sich begraben, so daß nichts mehr von ihm zu sehen war. Alle, die zugegen waren, eilten herbei und riefen den mächtigen Arm des heiligen Franziskus um Hilfe an. Auch der Vater, der vom Schrecken an allen Gliedern gelähmt war, konnte sich vor Schmerz nicht mehr bewegen. Unter Gelübden und Gebeten weihte er seinen Sohn dem heiligen Franziskus. Schließlich hob man die tödliche Last von dem Knaben weg und siehe da, den man für tat gehalten hatte, kam wie vom Schlafe erwacht mit frohem Antlitz zum Vorschein und wies keinerlei Verletzungen auf. Als er später vierzehn Jahre alt war, wurde er Minderbruder und war später ein gelehrter Mann und berühmter Prediger.

6. 
Leute von Lentini brachen aus einem Berg einen sehr großen Stein, der für den Altar einer Franziskuskirche bestimmt war, die man in Kürze einweihen wollte. Etwa vierzig Leute mühten sich, jenen Stein auf einen Wagen zu laden. Nach wiederholten Versuchen fiel der Stein auf einen der Männer und bedeckte ihn wie ein Grabstein. Da die Leute in ihrer Bestürzung nicht wußten, was sie tun sollten, gingen die meisten verzweifelt weg. Zehn Männer aber, die zurückgeblieben waren, riefen unter Tränen den heiligen Franziskus an, er möge doch dem Mann, der in seinen Diensten gestanden hatte, nicht so elend sterben lassen. Schließlich faßten sie sich ein Herz und hoben mit solcher Leichtigkeit den Stein hinweg, daß keiner daran zweifelte, Franziskus habe ihnen mit seiner Macht beigestanden. Da stand der Mann an allen Gliedern unversehrt vor ihnen. Er erhielt sogar sein Augenlicht ungetrübt zurück, das vorher sehr geschwächt war. So sollten alle erkennen, was in verzweifelten Fällen die Verdienste des heiligen Franziskus vermögen.

7. 
Etwas Ähnliches ereignete sich zu San Severino in der Mark Ancona. Aus Konstantinopel hatte man einen sehr, großen Stein für den Bau der Franziskusbasilika herbeigeschafft. Als man ihn mit Aufbietung großer Kraft bewegen wollte, glitt er mit Blitzesschnelle aus und begrub einen Arbeiter unter sich. Man glaubte nicht nur, er sei tot, sondern auch völlig zermalmt. Der heilige Franziskus aber stand ihm bei und hielt den Stein von ihm fern. Als man den mächtigen Stein hinweghob, stand er gesund und ohne jeden Schaden vor ihnen.

8. 
Bartholomäus, ein Bürger aus Gaeta, hatte fleißig am Bau der Franziskuskirche mitgearbeitet. Ein herabfallender Balken, der nicht genügend befestigt war, fiel ihm auf den Nacken und zerquetschte ihn schwer. Da er sich dem Tode nahe fühlte, verlangte er als gläubiger und frommer Mann von einem Bruder die heilige Wegzehrung. Da aber der Bruder sie nicht so schnell holen konnte und glaubte, daß der Mann schon bald sterben müsse, sagte er zu ihm das Wort Augustins: "Glaube, und du hast empfangen." In der folgenden Nacht aber erschien ihm der heilige Franziskus mit elf Gefährten und trug an seiner Brust ein Lamm. Er trat an sein Bett und rief ihn mit Namen, indem er sprach: "Bartholomäus, fürchte dich nicht, denn der Feind, der dich hindern wollte, mir zu dienen, vermag nichts wider dich. Hier ist das Lamm, das du dir erbeten und das du durch dein frommes Verlangen empfangen hast. Durch seine Kraft wirst, du auch Gesundheit für Leib und Seele erlangen." Dann fuhr er mit der Hand über seine Wunden und befahl ihm, zu dem begonnenen Werk zurückzukehren. Schon am frühen Morgen erhob er sich und erschien vor denen, die ihn halbtot verlassen hatten, gesund und munter. Sein Kommen erregte Staunen und Verwunderung. Sein Beispiel und das Wunder des Heiligen mehrte in ihnen die Verehrung und Liebe für den heiligen Vater.

9. 
Ein gewisser Nikolaus aus Ceprano fiel eines Tages grimmigen Feinden in die Hände. In blinder Wut schlugen sie ihm Wunde auf Wunde und hieben solange auf den unglücklichen Mann ein, bis sie ihn für tot oder wenigstens dem Tode nahe wähnten. Als jener Nikolaus aber die ersten Schläge empfing, hatte er mit lauter Stimme gerufen: "Heiliger Franziskus, steh mir bei! Heiliger Franziskus, hilf mir!" Diesen Ruf hatten zwar viele aus der Ferne gehört, konnten ihm aber nicht beistehen. Man brachte ihn dann blutüberströmt nach Hause. Voll Vertrauen versicherte er, er werde wegen dieser Verletzungen den Tod nicht schauen"', auch empfinde er jetzt keinen Schmerz, weil der heilige Franziskus ihm zu Hilfe gekommen sei und ihm vom Herrn die Gnade erlangt habe, daß er Buße tun könne. Die kommenden Ereignisse haben dies bestätigt. Als man nämlich das Blut von ihm abgewaschen hatte, war er wider alle menschliche Hoffnung geheilt.

10. 
Der Sohn eines Adeligen aus Castel San Gimignano lag an einer schweren Krankheit danieder, und es bestand keine Hoffnung mehr auf Genesung. Schon war er dem Tode nahe. Ein Blutstrom rann aus seinen Augen, wie er sonst aus den Adern des Armes fließt. Da auch sein übriger Körper die üblichen Anzeichen des nahenden Todes aufwies, hielt man ihn dem Tod geweiht; ja, er schien bereits entschlafen zu sein, weil er wegen seiner geschwächten Körper- und Geisteskräfte keine Empfindung mehr besaß und sich auch nicht mehr bewegen konnte. Schon kamen Verwandte und Freunde zur üblichen Totenklage zusammen und regelten bereits das sicher erscheinende Leichenbegängnis, da begab sich sein Vater voll Vertrauen auf den Herrn eilends zur Kirche des seligen Franziskus, die man in diesem Städtchen zu dessen Ehre erbaut hatte. Er legte sich einen Strick um den Hals und warf sich in aller Demut dort zu Boden. So machte er ein Gelübde und betete innig. Er gewann durch sein Seufzen und Weinen den heiligen Franziskus zum Fürsprecher bei Christus. Als dann der Vater wieder zu seinem Sohn zurückkehrte und er ihn gesund vorfand, wandelte sich seine Trauer in Freude.

11. 
Auf die Verdienste des Heiligen wirkte der Herr etwas Ähnliches an einem Mädchen in einem Dorf Katalaniens, das Thamarite heißt und an einem anderen Mädchen zu Ancona. Obwohl beide infolge schwerer Krankheit bereits in den letzten Zügen lagen, machte der heilige Franziskus, den die Eltern gläubig angerufen hatten, sie sogleich vollkommen gesund.

12. 
Ein Geistlicher aus Vicalvi mit Namen Matthäus hatte tödliches Gift getrunken. Davon wurde er so schwer krank, daß er schon nicht mehr sprechen konnte und nur noch den Tod erwartete. Ein Priester forderte ihn zur Beichte auf, vermochte aber kein einziges Wort aus ihm herauszubringen. Doch betete dieser im Herzen demütig zu Christus, er möge ihn auf die Verdienste des heiligen Franziskus dem nahen Tod entreißen. Kaum, daß er gestärkt vom Herrn den Namen des heiligen Franziskus in gläubiger Verehrung angerufen hatte, da erbrach er vor den anwesenden Menschen, die davon Zeugnis gaben, das Gift und dankte seinem Erretter.

IV. Kapitel 
Errettung aus Schiffbruch

1. 
Einst schwebten Seeleute in großer Not. Als sie zehn Meilen vom Hafen Barletta entfernt waren und der Sturm immer mehr tobte, warfen sie aus Angst um ihr Leben die Anker aus. Infolge des Sturmes gebärdete sich das Meer immer wilder, zerriß die Taue, und die Anker trieben ab. Mit unsicherem und unstetem Kurs fuhr das Schiff auf dem Meere umher. Als sich schließlich auf Gottes Geheiß das Meer beruhigte, versuchten die Seeleute, die Anker, deren Taue auf dem Meere schwammen, mit Aufbietung all ihrer Kräfte wieder einzuholen. Da sie dies aber aus eigner Kraft nicht fertigbrachten und sie schon alle Heiligen zu Hilfe gerufen hatten, konnten sie dennoch trotz aller Anstrengung den ganzen Tag über keinen einzigen Anker heben. Nun zählte zu ihnen ein Mann namens Perfectus (der Vollkommene), der aber in seinem Lebenswandel alles andere als vollkommen war; dieser sagte spöttisch zu seinen Gefährten: "Ihr habt nun ihnen keinen, der euch zu Hilfe käme. Laßt uns daher einmal jenen Franziskus, den man jüngst heilig gesprochen hat, anrufen, ob er sich ins Meer wirft und uns die verlorenen Anker wiederbringt." Ohne in den Spott des Perfectus einzustimmen, pflichteten sie voller Ernst seinem Rate bei. Sie verwiesen ihm die höhnischen Worte und machten dem Heiligen ein ehrliches Gelöbnis. Sogleich schwammen ohne jegliche Hilfe die Anker auf dem Wasser, als hätte sich das schwere Eisen der Anker in leichtes Holz verwandelt.

2. 
Ein Pilger, der noch Anzeichen eines heftigen Fiebers, an dem er vorher gelitten hatte, an sich trug, kam zu Schiff von Übersee. Auch ihn erfüllte eine innige Verehrung zum heiligen; Franziskus, und er hatte sich ihn zum Fürsprecher beim König des Himmels erkoren. Noch nicht völlig von seiner Krankheit genesen, quälte ihn brennender Durst. Da kein Wasser mehr vorhanden war, rief er mit lauter Stimme: "Geht getrost, und schöpft mir einen Becher Wasser, denn der selige Franziskus hat mein Gefäß mit Wasser gefüllt." Zu aller Staunen fanden sie das Gefäß, das vorher leer dagestanden hatte, mit Wasser gefüllt. Am anderen Tag zog ein schwerer Sturm herauf, so daß das Schiff von Wellen bedeckt war und von heftigen Stößen hin - und hergeschleudert wurde. Schon rechnete man mit einem Schiffbruch, da schrie der Kranke plötzlich über das Schiff hin: "Macht euch auf und geht dem heiligen Franziskus entgegen, der da kommt! Seht, er ist da, um uns zu retten!" So rief er mit lauter Stimme und unter Tränen warf er sich zu Boden, um ihn zu verehren. Beim Anblick des Heiligen erlangte der Kranke sogleich seine volle Gesundheit wieder, und bald glättete sich die stürmende See.

3. 
Bruder Jakob aus Rieti wollte mit anderen Brüdern in einem Kahn einen Fluß überqueren. Schon hatte er seine Gefährten bereits am Ufer abgesetzt und wollte selbst als letzter das Boot verlassen. Durch ein Mißgeschick schlug aber der Kahn um, und der Bruder versank in den Fluten, während der Schiffer sich durch Schwimmen retten konnte. Die Brüder, die am Ufer standen, flehten indes inständig zum seligen Franziskus und baten ihn unter Tränen und Wehklagen, er möge doch seinem Sohn zu Hilfe kommen. Doch auch der Bruder rief mit dem Herzen, da er es mit dem Munde nicht konnte, aus dem abgrundtiefen Strudel, so gut er konnte, die Hilfe des seligen Vaters an. Und siehe da! Mit Hilfe des ihm beistehenden Vaters wandelte er in der Tiefe wie auf trockenem Boden, und indem er sich an dem umgeschlagenen Boot festhielt, gelangte er mit ihm ans Ufer. Welch ein Wunder! Nicht einmal seine Kleider waren durchnäßt, und auch kein Wassertropfen hing an seinem Habit.

4. 
Ein Bruder Bonaventura fuhr mit zwei Brüdern über einen See. Unter dem Druck des bewegten Sees wurde der Kahn an einer Seite leck, und so versank er samt dem Kahn und seinen Gefährten in den Fluten. Da sie aus der Tiefe des Elends mit großem Vertrauen den barmherzigen Vater Franziskus anriefen, kam der mit Wasser gefüllte Kahn wieder an die Oberfläche und gelangte, da der Heilige ihm den Weg wies, heil zum Hafen. Auf gleiche Weise wurde auch ein Bruder aus Ascoli, der in einem Fluß untergegangen war, durch die Verdienste des heiligen Franziskus gerettet. Als auch einige Männer und Frauen auf dem See von Rieti in ähnlicher Gefahr schwebten, riefen sie den Namen des heiligen Franziskus an und wurden inmitten vieler Wasserfluten aus der Gefahr des Schiffbruchs gerettet.

5. 
Einige Schiffsleute aus Ancona wurden von einem heftigen Sturm hin- und hergeworfen und sahen bereits die Gefahr des Untergangs vor Augen. Schon hatten sie jede Hoffnung auf Rettung ihres Lebens aufgegeben, als sie inständig den heiligen Franziskus anriefen. Da erschien ihnen auf dem Schiff ein großes Licht. Mit diesem Licht schenkte Gott ihnen zugleich Ruhe und Stille, als ob der Selige mit seiner wunderbaren Macht den Winden und dem Meere gebieten könnte" Wie viele auffällige Wunder auf dem Meere dieser selige Vater gewirkt hat und noch wirkt, wie oft er dort den Verzweifelnden geholfen hat, kann man meines Erachtens gar nicht im einzelnen schildern. Doch wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn er in seiner Himmelsherrlichkeit über das Meer Macht besitzt, wo ihn in seinem sterblichen Leben bereits alle geschaffenen Dinge in wunderbarer Weise dienten, als wären sie wieder in den Zustand des Paradieses versetzt.


V. Kapitel 
Befreiung aus Banden und Kerker

1. 
Im byzentinischen Reiche wurde ein Diener seines Herrn, ein Grieche, fälschlich des Diebstahls angeklagt. Der Landesherr ließ ihn daraufhin in schwere Haft nehmen und in starke Banden schlagen. Doch die Hausherrin hatte Mitleid mit dem Knechte, der nach ihrer Überzeugung an dem ihm zur Last gelegten Vergehen unschuldig war, und verwandte sich bei dem Herrn mit inständigen Bitten für seine Freilassung. Da der Herr jedoch hartnäckig und ungerührt ihre Bitte abschlug, nahm die Herrin im Gebete zum heiligen Franziskus ihre Zuflucht und empfahl seiner Barmherzigkeit den Schuldlosen. Der Helfer der Bedrängten stand ihm auch sogleich bei und besuchte ihn voll Huld im Kerker. Er löste seine Fesseln, öffnete den Kerker, faßte den Unschuldigen bei der Hand und führte ihn heraus mit den Worten: "Ich bin es, dem deine Herrin dich im Gebete empfohlen hat." Als er dann in großer Angst am Abhang eines steilen Felsens nach einem Abstieg suchte, fand er sich durch die Macht seines Befreiers plötzlich in die Ebene versetzt. Dann ging er zu seiner Herrin und berichtete der Reihe nach den Verlauf dieses wirklichen Wunders. Dadurch wurde die Herrin noch mehr in ihrer Liebe zu Christus und in ihrer Verehrung für seinen Diener Franziskus bestärkt.

2. 
Zu Massa San Pietro schuldete ein armer Mann einem Ritter eine Geldsumme. Da er aber in seiner Armut die Schuld nicht zahlen konnte, ließ der Zahlung heischende Ritter den Schuldner festnehmen. Dieser bat inständig um Erbarmen und flehte um der Liebe des seligen Franziskus willen um Aufschub. Der stolze Ritter aber hörte nicht auf seine Bitten und verachtete die Liebe des Heiligen wie etwas Geringwertiges; denn in seiner Überheblichkeit gab er zur Antwort: "Ich werde dich so einsperren und in so strengen Gewahrsam bringen, daß dir weder Franziskus noch ein anderer Heiliger helfen kann." Was er angedroht hatte, setzte er in die Tat um. Er fand einen finsteren Kerker, wohin er den Mann in Fesseln brachte. Doch bald kam ihm der heilige Franziskus zu Hilfe, schloß den Kerker auf und zerriß die Fesseln; dann führte er ihn unversehrt heim. So strafte des Franziskus Kraft den stolzen Ritter, befreite den Gefangenen, der ihn um Hilfe angerufen hatte, aus seiner mißlichen Lage und bekehrte durch dies staunenswerte Wunder den hartherzigen Ritter zur Milde.

3. 
Als Albert von Arezzo in schwerem Kerker lag, weil man zu Unrecht von ihm eine Schuld einforderte, empfahl er demütig seine Unschuld dem heiligen Franziskus; denn er liebte den Minderbrüderorden gar sehr und verehrte unter allen Heiligen mit besonderer Liebe den heiligen Franziskus. Der Gläubiger hatte aber die gotteslästerlichen Worte gesprochen, weder Franziskus noch Gott könnten ihn aus seinen Händen befreien. Als daher dieser Gefangene am Vigiltag des heiligen Franziskus nichts gegessen, sondern alles einem Armen aus Liebe zum Heiligen geschenkt hatte, da geschah in der folgenden Nacht, daß ihm, da er wachte, der heilige Franziskus erschien. Bei seinem Kommen fielen die Fesseln von seinen Füßen und die Ketten von den Händen, von selbst öffnete sich das Tor, die Brücken ließen sich vom Söller herab, und ungehindert konnte jener Mann in sein Heim zurückkehren. Von da an erfüllte er sein Gelübde, am Vigiltag des heiligen Franziskus zu fasten; die Kerze aber, die er Jahr für Jahr ihm darbrachte, machte er zum Zeichen seiner ständig zunehmenden Verehrung von Jahr zu Jahr um eine Unze schwerer.

4. 
Als der Herr Gregor IX. den Thron des seligen Petrus innehatte, nahm man zu Rom einen Mann namens Petrus von Alife, den man des Irrglaubens angeklagt hatte, fest und übergab ihn auf des Papstes Befehl dem Bischof von Tivoli zum Gewahrsam. Da diesem der Papst mit der Absetzung vom Bischofsamt gedroht hatte, nahm er ihn, schlug ihn in Fesseln und ließ ihn in ein finsteres Verließ einsperren, damit er nicht entkomme; das Brot teilte er ihm nach Gewicht und den Trank nach Maß zu. Da rief der Mann unter vielen Gebeten und Tränen den seligen Franziskus an, er möge sich seiner erbarmen, denn er hatte vernommen, man feiere bereits den Vigiltag seines Festes. Weil er aber in reinem Glauben jeglichem Irrtum irrgläubiger Bosheit entsagt hatte und mit der ganzen Liebe seines Herzens dem treuen Diener Christi Franziskus anhing, erlangte er um dessen Verdienste willen von Gott Erhörung. Schon brach die Nacht vor seinem Fest herein, da stieg der selige Vater voll Erbarmen um die Zeit der Abenddämmerung in den Kerker hernieder, und indem er ihn bei seinem Namen rief, befahl er ihm, sich schnell zu erheben. Erschreckt fragte jener, wer er denn sei, und erhielt die Antwort, der selige Franziskus stehe vor ihm. Als er sah, wie dank der Gegenwart des Heiligen die Fußfesseln zerbrachen, die Tore des Kerkers sich auftaten, da sich die Schlüssel von selbst umdrehten und nun der Weg für ihn frei war, vermochte er voll Schrecken über seine Befreiung doch nicht zu fliehen, sondern lief schreiend zur Tür und schreckte die Wächter auf. Diese meldeten dem Bischof, der Gefangene sei aller Fesseln ledig. Als der Bischof aber den ganzen Hergang erfahren hatte, kam er voll Andacht zum Kerker und betete dort den Herrn an, da sich Gottes Macht ihm so sichtbar offenbart hatte. Dann brachte er die Fesseln zum Papst und zu den Kardinälen; diese aber wunderten sich sehr und priesen den Herrn, da sie sahen, was geschehen war.

5. 
Guidolotto von San Gimignano war fälschlich angeklagt, er habe einen Mann durch Gift umgebracht und habe die Absicht, durch die gleiche Todesart auch den Sohn dieses Mannes und dessen ganze Familie auszurotten. Daraufhin ließ ihn der Stadtpräfekt ergreifen, in schwere Fesseln legen und in einen Turm einsperren. Er hatte jedoch Vertrauen auf den Herrn und empfahl seine Sache, da er sich unschuldig wußte, der Macht des heiligen Franziskus, damit er für ihn eintrete. Während der Podesta noch überlegte, wie er ihn durch die Folter zum Geständnis des ihm vorgeworfenen Verbrechens überführen und mit welchen Peinen er den geständigen Verbrecher zu Tode bringen könne, suchte der heilige Franziskus ihn in jener Nacht, bevor man ihn zur Folter führen wollte, in einer Erscheinung heim; bis zum Morgen umgab ihn unermeßlicher Lichtglanz und erfüllte ihn mit Freude und großer Zuversicht, denn er war sicher, daß er gerettet werde. Am Morgen kamen die Folterknechte, führten ihn aus dem Kerker, spannten ihn auf die Folter und beschwerten seinen Körper mit vielen Eisengewichten. Mehrmals ließ man ihn herab und zog ihn wieder hoch, um ihn durch die Wiederholung der Pein desto eher zum Geständnis zu bringen. Doch sein Gesicht spiegelte seine Unschuld wider und zeigte keinerlei Schmerz bei der Peinigung. Als man dann noch unter ihm ein Feuer anzündete, wurde ihm kein Haar versengt, obschon man ihn mit dem Kopf zur Erde aufgehängt hatte. Schließlich übergoß man ihn mit siedendem Öl. Doch durch die Macht seines Schützers, den er sich zum Anwalt erkoren hatte, überstand er dies alles und wurde daher als unschuldig freigelassen. So kam er heil davon.

VI. Kapitel 
Befreiung von gefährlicher Geburt

1. 
Eine Gräfin in Slavonien, die ebenso wegen ihres Adels angesehen wie eifrig in ihrem Tugendstreben war, zeigte eine große Verehrung für den heiligen Franziskus und war in ihrer Mildtätigkeit gegen die Brüder unermüdlich. Als die Stunde ihrer Niederkunft da war, kamen so heftige Schmerzen über sie und geriet sie in so große Not, daß der baldige Lebensanfang des Kindes für die Mutter das Ende des gegenwärtigen Lebens zu bringen schien. Offenbar konnte sie ihr Kind nicht zur Welt bringen, ohne selbst dabei ihr Leben zu verlieren und unter solchen Schmerzen nicht zu gebären, sondern zu sterben. Da erinnerte sie sich des Rufs der Heiligkeit, der Macht und der Herrlichkeit des heiligen Franziskus; ihr kindlicher Glaube wurde stärker und ihr Gebet inniger. Da wandte sie sich an ihn, den wirklichen Helfer, den Trost der Frommen, die Zuflucht der Bedrängten. "Heiliger Franziskus", so betete sie, "zu deiner Milde flehen alle meine Gebeine, und ich gelobe in meinem Herzen, was ich nicht aussprechen kann." Wie erstaunlich schnell wirkte da die Frömmigkeit! Das Ende ihres Gebetes war auch schon das Ende ihrer Schmerzen, das Ende ihrer Wehen aber der Anfang der Geburt. Als ihre Peinen aufhörten, brachte sie sogleich ihr Kind gesund zur Welt. Sie vergaß ihr Gelöbnis nicht und beharrte bei ihrem Vorsatz. Sie ließ eine schöne Kirche bauen und übergab sie nach ihrer Vollendung zu Ehren des Heiligen seinen Brüdern.

2. 
Im Gebiet von Rom stand eine Frau mit Namen Beatrix vor der Geburt. Da sie schon vier Tage lang ihr Kind tot im Schoße trug, erlitt die Unglückliche große Not und ein qualvoller Tod stand ihr bevor. Das tote Kind forderte auch das Leben der Mutter; das noch nicht zur Welt gebrachte leblose Kind brachte das Leben der Mutter offenkundig in Gefahr. Sie hatte zwar ärztliche Hilfe gesucht, aber alle menschlichen Bemühungen erwiesen sich als vergebens. So brachte der Fluch der Eva großes Unglück über die Arme, so daß sie, die ihrem Kinde zum Grabe geworden war, sich selbst dem sicheren Grabe nahe sah. Schließlich ließ sie sich durch Boten mit großer Andacht den Minderbrüdern empfehlen und erbat sich voll lebendigen Glaubens etwas von den Reliquien des heiligen Franziskus. Man fand, nicht ohne Gottes Zutun, etwas von dem Strick, mit dem sich der Heilige einst umgürtet hatte. Kaum aber hatte man der Leidenden diesen Strick aufgelegt, da wich rasch aller Schmerz von ihr; sie wurde von dem toten Kind, der Ursache ihrer Todesgefahr, befreit und erlangte ihre frühere Gesundheit zurück.

3. 
Die Gattin eines Adeligen aus Calvi namens Juliana verbrachte wegen des Todes ihrer Kinder ihre Jahre in Trauer und beklagte ohne Unterlaß ihr unseliges Schicksal, weil sie alle ihre Kinder, die sie in Schmerzen getragen, schon nach kurzer Zeit mit noch größerem Schmerz hatte zu Grabe tragen müssen. Als sie wieder einmal in Hoffnung und im vierten Monat war und wegen ihrer traurigen Erfahrung sich mehr Sorge wegen des Todes ihres Kindes als wegen dessen Geburt machte, bat sie voll Glauben den seligen Franziskus um das Leben ihres noch ungeborenen Kindes. Doch siehe, als sie eines Nachts schlief, erschien ihr im Traum eine Frau, die ein schönes Kind in ihren Armen trug und es ihr voll Freude überreichte. Da sie es aber nicht an nehmen wollte, weil sie fürchtete, es bald wieder zu verlieren, fügte jene Frau hinzu: "Nimm es ruhig an! Denn das Kind, das dir der heilige Franziskus aus Mitleid wegen deiner Trauer schickt, wird leben und gesund bleiben." Sogleich wachte die Frau auf. Aus diesem ihr vom Himmel gezeigten Gesicht erkannte sie, der heilige Franziskus werde ihr mit seiner Fürbitte beistehen. Darum war sie von nun an froher, mehrte ihre Gebete und machte Gelöbnisse für das Kind, das sie, wie ihr versprochen war, behalten sollte. Endlich kam die Zeit, daß sie gebären sollte, und sie gebar einen für sein zartes Alter kräftigen Jungen. Dieses Kind ermunterte die Eltern zu größerer Liebe und Hingabe an Christus und seinen Heiligen, da er ja durch die Verdienste des seligen Franziskus die Kraft zu leben empfangen hatte.
Etwas Ähnliches wirkte der selige Vater in der Stadt Tivoli. Dort hatte eine Frau mehreren Mädchen das Leben geschenkt und alle Hoffnung auf einen Jungen bereits aufgegeben. Unter Tränen beteten sie darum zum heiligen Franziskus und machte ihm Gelübde. Auf seine Fürbitte hin kam diese Frau wieder in Hoffnung; er aber, den sie um einen Sohn angefleht hatte, ließ sie zwei Jungen das Leben schenken.

4. 
Bei Viterbo sah eine Frau der Geburt entgegen, doch schien sie eher vor dem Tod zu stehen, denn sie erlitt in ihrem Innern qualvolle Schmerzen und das ganze verderbenbringende Ungemach der Frauen. Schon ließen ihre Körperkräfte nach und alle ärztliche Kunst erwies sich als erfolglos, da wurde die Frau durch die Anrufung des seligen Franziskus sogleich erlöst und sie konnte glücklich ihr Kind zur Welt bringen. Doch als der Heilige ihre Bitte erhört hatte, vergaß sie die Wohltat, die er ihr erwiesen; sie zollte dem Heiligen nicht einmal die gebührende Verehrung, da sie an seinem Festtag ihre Hände zu knechtlichen Arbeiten verwandte. Aber sieh, es erstarrte ihre rechte Hand, mit der sie knechtliche Arbeit tat, und sie verdorrte. Als sie diese nun mit der anderen Hand heranholen wollte, traf auch diese die gleiche Strafe, und sie verdorrte ebenso. Von Furcht vor Gott erfaßt, erneuerte die Frau ihr Gelöbnis und erlangte auf die Fürbitte des barmherzigen und demütigen Heiligen den Gebrauch ihrer Glieder, den sie wegen ihres Undankes und ihrer Verachtung des Heiligen verloren hatte, zurück.

5. 
Eine Frau im Gebiete von Arezzo schwebte bei der Geburt sieben Tage hindurch in Lebensgefahr, und man hatte sie schon aufgegeben, da ihr Körper bereits schwarz wurde. Schon sterbend,, machte sie dem seligen Franziskus ein Gelübde und rief ihn um seine Hilfe an. Kaum hatte sie das Gelöbnis gemacht, da schlief sie auch schon ein und sah im Traum, wie der heilige Franziskus sie liebevoll anredete und fragte, ob sie sein Antlitz kenne und ob sie jene Antiphon der allerseligsten Jungfrau "Sei gegrüßt, Königin der Barmherzigkeit" zu ihrer Ehre beten könne. Als sie beide Fragen mit Ja beantwortete, sprach der Heilige: "Beginne mit jener heiligen Antiphon; ehe du sie zu Ende gebetet hast, wirst du glücklich deinem Kind das Leben schenken." Nach diesen Worten wurde die Frau wieder wach und begann andächtig zu beten: "Sei gegrüßt, Königin der Barmherzigkeit." Als sie die Worte: "deine barmherzigen Augen" aussprach und dann der Frucht ihres jungfräulichen Leibes gedachte, wurde die Frau sogleich von allen Schmerzen frei und brachte ein schönes Kind zur Welt. Dann dankte sie der Königin der Barmherzigkeit, daß sie sich um der Verdienste des heiligen Franziskus willen ihrer gnädig erbarmt habe.


VII. Kapitel 
Heilung von Blinden

1. 
Im Konvent der Minderbrüder zu Neapel lebte ein Bruder namens Robert, der mehrere Jahre blind war; ihm wucherte nämlich das Fleisch über die Augen; und darum konnte er seines Augenlider nicht bewegen und gebrauchen. Als dort jedoch mehrere Brüder, die sich auf dem Weg in verschiedene Länder befanden, zu Gast weilten, heilte der selige Franziskus, der selbst ein Vorbild des heiligen Gehorsams war, den Bruder in ihrer Gegenwart, um sie durch dies neue Wunder zur Reise zu ermuntern, auf folgende Weise: Eines Nachts lag jener zu Tode erkrankt danieder, und man hatte schon für seine Seele die Sterbegebete verrichtet. Da stand plötzlich der selige Franziskus mit drei Brüdern bei ihm, die in jeglicher Heiligkeit vollendet sind, nämlich mit dem heiligen Antonius, Bruder Augustinus und Bruder Jakob von Assisi; wie sie ihm im Leben auf dem Wege der Vollkommenheit gefolgt waren, so begleiteten sie ihn auch nach ihrem Tode voll Freuden. Der heilige Franziskus nahm nun ein Messer und schnitt das wuchernde Fleisch weg, schenkte ihm das Augenlicht wieder und entriß ihn dem Rachen des Todes, indem er sprach: "Mein Sohn Robert, die Gnade, die ich dir erwiesen habe, soll jenen Brüdern, die zu fremden Völkern eilen, ein Zeichen sein, daß ich ihnen vorangehe und ihre Schritte lenke. Sie sollen freudig gehen und den ihnen auferlegten Befehl bereitwillig erfüllen."

2. 
Zu Theben im byzantinischen Reich fastete eine blinde Frau am Vigiltag des seligen Franziskus bei Wasser und Brot. Dann ließ sie sich am frühen Morgen von ihrem Manne zur Kirche der Minderbrüder führen. Während dort die heilige Messe gefeiert wurde, öffneten sich bei der Erhebung des Leibes Christi ihre. Augen, sie konnte jetzt den Leib Christi klar sehen und betete ihn an. Bei dieser Anbetung rief sie laut aus: "Gott und seinem Heiligen Dank, denn ich sehe den Leib Christi!" Dabei stimmten alle, die zugegen waren, in ihren Freudenruf ein. Nach der heiligen Messe kehrte die Frau frohen Herzens und mit gesunden Augen nach Hause zurück. Jene Frau war überglücklich, weil sie ihr gesundes Augenlicht zurückerhalten hatte und weil sie jenes wunderbare Sakrament, das wahre und lebendige Licht der Seelen, in erster Linie dank den Verdiensten des seligen Franziskus und dann auch dank ihrem starken Glauben hatte schauen dürfen.

3. 
In Campagna verlor ein Junge aus Pofi durch eine plötzliche Krankheit auf dem linken Auge die ganze Sehkraft. Ein schmerzhaftes Leiden hatte ihm das Auge so sehr aus der Augenhöhle heraustreten lassen, daß es acht Tage lang, da der Nerv seine Spannkraft verloren hatte, in Fingers Länge auf die Wange herabhing und fast ausgetrocknet war. Da nur noch ein ärztlicher Eingriff möglich war, die Ärzte sich davon aber wenig versprachen, erflehte sein Vater aus ganzem Herzen die Hilfe des seligen Franziskus. Der unermüdliche Helfer der Bedrängten versagte sich denn auch nicht dem Wunsche des Betenden. Er ließ nämlich das vertrocknete Auge durch eine übernatürliche Einwirkung in seine Augenhöhle zurücktreten, gab ihm die frühere Sehkraft zurück und verlieh ihm das ersehnte Augenlicht.

4. 
Bei Castro in derselben Provinz stürzte ein schwerer Balken aus der Höhe herab, traf den Kopf eines Priesters schwer und blendete sein linkes Auge. Zu Boden geschleudert, erhob er wehklagend seine Stimme zum heiligen Franziskus und rief: "Heiliger Vater, hilf mir, damit ich zu deinem Feste gehen kann, wie ich es deinen Brüdern versprochen habe!" Es war nämlich gerade der Vigiltag des Heiligen. Sofort fand er sich völlig geheilt und erhob sich. Er jubelte auf in Lob und Freude und riß auch alle Umstehenden, die mit seinem Elend Mitleid zeigten, zu Staunen und Freude hin. Er ging zum Feste und erzählte allen von der Güte und Macht des Heiligen, die er an sich erfahren hatte.

5. 
Ein Mann aus Monte Gargano wollte bei seiner Arbeit im Weinberg einen Baum mit der Axt fällen, traf aber sein eigenes Auge und spaltete es so in zwei Teile, daß dessen Hälfte fast nach außen heraushing. Da er in dieser ausweglosen Gefahr jede Hoffnung auf Heilung aufgegeben hatte, versprach er, wenn der heilige Franziskus ihm zu Hilfe komme, an seinem Feste einen Fasttag zu halten. Sofort brachte der Heilige Gottes das Auge des Mannes in die Augenhöhle zurück, fügte die geteilten Hälften wieder zusammen und schenkte dem Manne die frühere Sehkraft wieder, so daß keine Spur der früheren Verletzung zurückblieb.

6. 
Der Sohn eines adeligen Mannes, der von Geburt an blind war, erlangte durch die Verdienste des heiligen Franziskus sein Augenlicht wieder; wegen dieser Heilung gab man ihm den Namen Illuminatus. Als er später das erforderliche Alter erreicht hatte, trat er in den Orden des heiligen Franziskus; für die frühere Wohltat nicht undankbar, machte er im Lichte der Gnade und der Tugend so große Fortschritte, daß er den Menschen in Wahrheit als Kind des Lichtes erschien. Was er dank der Verdienste des seligen Vaters heilig begannen hatte, konnte er in noch größerer Heiligkeit zu Ende führen.

7. 
In Zancato, einem Ort bei Anagni, hatte ein Ritter namens Gerhard das Augenlicht gänzlich verloren. Eines Tages kamen nun zwei Minderbrüder aus fernen Landen und kehrten bei ihm ein, um zu übernachten. Als die ganze Familie sie aus Verehrung für den heiligen Franziskus ehrfürchtig aufgenommen und gütig bewirtet hatte, dankten sie Gott und ihrem Gastgeber und kamen zu der nahen Niederlassung der Brüder. Eines Nachts erschien da einem der Brüder der selige Franziskus im Traume und trug ihm auf: "Steh auf und eile mit deinem Gefährten zum Hause eures Gastgebers, der Christus und mich in euch aufgenommen hat, denn ich will ihm seine Werke der Liebe vergelten. Er wurde nämlich blind, weil er es für seine Sünden verdient hat und sie nicht durch das Bußsakrament tilgen wollte." Kaum war der Vater Franziskus verschwunden, da stand der Bruder geschwind auf, um alsbald mit seinem Gefährten den Auftrag zu erfüllen. Sie kamen zum Hause des Gastgebers und erzählten ihm der Reihe nach alles, was der eine von ihnen gesehen hatte. Da erschrak der Mann gewaltig und bestätigte, daß alles, was sie erzählt hatten, wahr sei; daraufhin bekannte er willig unter Reuetränen seine Sünden. Als er schließlich Besserung versprochen und sich so dem inneren Menschen nach erneuert hatte, erhielt er sogleich auch das Augenlicht des Leibes zurück. Rasch verbreitete sich allenthalben die Kunde von diesem Wunder und regte die Menschen nicht allein zur Verehrung des Heiligen an, sondern auch zum demütigen Bekenntnis ihrer Sünden und zur Tugend der Gastfreundschaft.

7a. 
(Bei Assisi wurde wegen Anklage auf Diebstahl ein Mann nach dem strengen weltlichen Recht geblendet, wobei der Ritter Otto durch seine Büttel den Urteilsspruch des Richters Oktavian der Angeklagte solle geblendet werden, vollstrecken ließ. So entstellt und mit ausgestochenen Augen - man hatte sogar die Augennerven mit dem Messer weggeschnitten - wurde er zum Altar des seligen Franziskus geführt. Dort flehte er die Barmherzigkeit des Heiligen an und beteuerte seine Unschuld an dem ihm zur Last gelegten Verbrechen. Durch das Verdienst dieses Heiligen erhielt er innerhalb von drei Tagen neue Augen, die zwar kleiner waren als jene, die er verloren hatte, die aber nicht weniger klar ihren Dienst versahen. Zeuge dieses staunenswerten Wunders war der obengenannte Ritter Otto, den man darauf vereidigte, als ihn der Abt Jakob von San Clemente im Auftrag des Bischofs Jakob von Tivoli über dieses Wunder verhörte. Ein anderer Zeuge ist Wilhelm von Rom, den der Generalminister des Minderbrüderordens Hieronymus im Gehorsam und unter Androhung des Bannes verpflichtete, nach bestem Wissen die Wahrheit über dieses Wunder auszusagen. In dieser Weise zur Wahrhaftigkeit verpflichtet, sagte er vor mehreren Provinzialministern und anderen wohlverdienten Brüdern aus, er habe einst, als er noch in der Welt war, festgestellt, daß jener Augen hatte und daß man ihm durch die Blendung Unrecht getan habe; auch habe er die auf die Erde geworfenen Augen des Geblendeten aus Neugier mit einem Stock herumgedreht, und schließlich habe er sich überzeugt, daß jener wieder klar sehe, da er durch Gottes Macht ein neues Augenlicht erhalten habe.)

VIII. Kapitel 
Heilung mannigfacher Krankheiten

1. 
In Citti della Pieve lebte ein junger Bettler, der von Geburt an taubstumm war. Seine Zunge war so verstümmelt und kurz, daß sie vielen Leuten, die sie untersuchten wie abgeschnitten vorkam. Nun hatte ihn ein Mann namens Markus aus Liebe zu Gott als Gast in sein Haus aufgenommen. Da der Bettler sein Wohlwollen empfand, blieb er für immer bei ihm. Als dieser Mann einst mit seiner Gattin zu Abend speiste und der Junge bei ihm war, sagte er zu ihr: "Das sähe ich als das größte Wunder an, wenn der selige Franziskus diesem da Gehör und Sprache schenkte. Ich verspreche Gott", fügte er hinzu, "daß ich für diesen Jungen aufkommen werde, solange er lebt, wenn der heilige Franziskus ein solches Wunder wirkt." Man mag es nicht glauben: sofort wuchs dessen Zunge, und er sprach: "Gepriesen sei Gott und der heilige Franziskus, denn er hat mir Sprache und Gehör geschenkt!"

2. 
Als Bruder Jakob von Iseo noch als Kind im Elternhause war, erlitt er einen schweren Bruch. Obwohl er jung und krank war, trat er auf Anregung des Heiligen Geistes voll Frömmigkeit in den Orden des heiligen Franziskus, sagte aber niemand etwas von der Krankheit, die ihn quälte. Dann kam jener Tag, an dem man den Leib des seligen Franziskus zu jenem Ort übertrug, wo seine heiligen Gebeine noch jetzt als kostbarer Schatz ruhen. Auch der genannte Bruder war zur Übertragungsfeierlichkeit gekommen, um den heiligen Leib seines verherrlichten Vaters gebührend zu ehren. Er ging zum Grab, das die heiligen Gebeine barg und küßte voll großer Andacht diese geweihte Stätte. Da kehrte durch ein Wunder der hervorgetretene Bruch wieder in die rechte Lage. Der Bruder fühlte sich gesund, legte sein Bruchband ab und war von nun an aller früheren Schmerzen ledig.
Durch Gottes Barmherzigkeit und die Fürbitte des seligen Franziskus wurden von ähnlicher Krankheit auch wunderbar geheilt: Bruder Bartholus von Gubbio, Bruder Angelus von Todi, der Priester Nikolaus von Ceccano, Johannes von Sora, ein Mann aus Pisa und ein anderer aus Cisterna, der Sizilianer Petrus und ein Mann aus Spello, einem Flecken bei Assisi, und noch sehr viele andere.

3. 
In der Marittima war eine Frau fünf Jahre lang geistesgestört und konnte weder sehen noch hören; mit den Zähnen zerriß sie ihre Kleider, scheute weder Feuer noch Wasser, und zu allem plagte sie auch noch das schreckliche Leiden der Fallsucht. Da der barmherzige Gott sich ihrer erbarmen wollte, ward sie eines Nachts zu ihrem Heile von Gottes Licht erleuchtet; sie sah den heiligen Franziskus auf einem erhabenen Thron sitzen, warf sich ihm zu Füßen und bat ihn inständig um Heilung. Da er aber nicht sogleich ihre Bitte erhörte, machte sie ein Gelübde und versprach, sie werde, solange sie noch etwas besitze, niemand ein Almosen verweigern, der um der Liebe Gottes und des heiligen Franziskus willen darum bitte. Der Heilige, der einst Gott ein ähnliches Versprechen gegeben hatte, nahm ihr Gelübde sogleich an, machte das Kreuzzeichen über sie und schenkte ihr die volle Gesundheit.
Wie aus gesicherten Aussagen hervorgeht, hat der Heilige Gottes Franziskus in seiner Güte auch ein Mädchen aus Norcia, den Sohn eines Adeligen und einige andere von ähnlicher Krankheit befreit.

4. 
Petrus von Foligno machte sich einst auf den Weg, um das Heiligtum des heiligen Michael zu besuchen, zeigte aber wenig Andacht bei dieser Wallfahrt. Als er nun aus einer Quelle Wasser trank, nahmen böse Geister von ihm Besitz. Diese Besessenheit dauerte schon drei Jahre. Sein Körper wurde hin und her geworfen. Er führte schreckliche Reden und tat scheußliche Dinge. Als er einmal lichte Augenblicke hatte, rief er demütig die Macht des Heiligen an, von dessen Gewalt zur Vertreibung der Mächte in den Lüften er gehört hatte, und ging zum Grabe des seligen Vaters. Kaum hatte er es mit seiner Hand berührt, da wurde er wunderbar von den Dämonen, die ihn grausam hin und her warfen, befreit. Auf ähnliche Weise kam er auch einer Frau aus Narni, die einen bösen Geist hatte, und vielen anderen zu Hilfe; doch führte es zu weit, ihre Not und Qualen sowie den Hergang ihrer Befreiung mit allen Einzelheiten zu erzählen.

5. 
Ein Mann aus der Stadt Fano namens Bonushomo, der gelähmt und aussätzig war, ließ sich von seinen Eltern zur Kirche des seligen Franziskus bringen; dort wurde er von beiden Krankheiten vollständig geheilt. Auch ein anderer junger Mann namens Atto aus San Severino war ganz von Aussatz befallen; er legte ein Gelübde ab, ließ sich zum Grab des Heiligen tragen und wurde auf dessen Fürbitte von seinem Aussatz rein. Der Heilige besaß zur Heilung gerade dieser Krankheit deshalb eine besondere Macht, weil er sich aus Liebe zur Demut und aus Barmherzigkeit selbstlos dem Dienst der Aussätzigen gewidmet hatte.

6. 
Eine adelige Frau mit Namen Rogata aus der Diözese Sora litt dreiundzwanzig Jahre lang an Blutfluß. Sie hatte von vielen Ärzten viele Schmerzen erlitten, und es hatte öfter den Anschein, als müsse sie an diesem allzu schlimmen Leiden sterben. Kam aber der Blutfluß zum Stillstand, so schwoll ihr ganzer Leib an. Eines Tages hörte sie nun, wie ein Junge in italienischer Sprache die Wunder besang, die Gott durch den seligen Franziskus gewirkt hatte. In ihrem großen Schmerz brach sie in Tränen aus und sprach voll lebendigen Glaubens bei sich selbst: "Seliger Vater Franziskus, durch dich geschehen so große Wunder. Wenn du mich von dieser Krankheit befreist, wird deine Verehrung noch zunehmen, denn ein so großes Wunder hast du bisher noch nicht gewirkt." Was brauche ich noch viel zu sagen? Kaum hatte sie dies ausgesprochen, da fühlte sie sich schon durch die Verdienste des seligen Franziskus befreit.

Auf ein Gelöbnis hin heilte der heilige Franziskus ebenso ihren Sohn Marius, der einen verkrüppelten Arm hatte. Auch eine Frau aus Sizilien, die durch einen siebenjährigen Blutfluß geschwächt war, machte der selige Bannerträger Christi wieder gesund.

7. 
In der Stadt Rom lebte die durch ihr gottgeweihtes Leben berühmte Jungfrau Praxedis aus Liebe zum ewigen Bräutigam von zarter Kindheit an nunmehr fast vierzig Jahre lang weltabgeschieden in einer engen Klause. Sie erlangte durch den seligen Franziskus eine besondere Gnade. Als sie nämlich eines Tages zur Erledigung von Arbeiten auf den Söller ihrer Zelle stieg, überkam sie ein Schwindelanfall, und sie fiel herab; dabei brach sie sich einen Fuß und ein Bein und renkte sich ein Schultergelenk aus. Da erschien ihr der gütige Vater im strahlenden Gewand der himmlischen Herrlichkeit und redete ihr liebevoll zu: "Steh auf", sprach er zu ihr, "gesegnete Tochter, steh auf und fürchte dich nicht!" Dann fußte er sie bei der Hand, richtete sie auf und verschwand wieder. Sie ging nun in ihrer Zelle hin und her und glaubte ein Traumgesicht gehabt zu haben; als man aber auf ihr Schreien hin ein Licht herbeibrachte, merkte sie, daß der Diener Gottes Franziskus sie völlig geheilt hatte, und sie erzählte alles der Reihe nach, wie es sich zugetragen hatte.


IX. Kapitel 
Bestrafung derer, die das Fest des Heiligen nicht hielten und ihn nicht verehrten

1. 
Im Dorf Le Simon, im Gebiet von Poitiers, hatte der Priester Reginald, der den heiligen Franziskus verehrte, für seine Pfarrgemeinde sein Fest zum Feiertag erklärt. Ein Pfarrkind aber, das die Macht des Heiligen nicht kannte, achtete das Gebot des Pfarrers für gering. Er ging hinaus aufs Feld, um Bäume zu fällen; eben wollte er sich an die Arbeit machen, da hörte er eine Stimme, die dreimal so zu ihm sprach: "Heute ist Feiertag; da darfst du nicht arbeiten!" Da ihn aber weder das Gebot des Pfarrers noch die Stimme vom Himmel von der knechtlichen Arbeit abhalten konnten, wirkte Gottes Allmacht unverzüglich zur Verherrlichung des Heiligen ein Wunder und bestrafte ihn. Kaum hatte er mit der einen Hand die Gabel erfaßt und die andere mit dem Schneideeisen zur Arbeit erhoben, da hafteten kraft göttlicher Macht beide Hände an den Werkzeugen, so daß er seine Finger nicht mehr von ihnen los bekam. Ober die Maßen erschrocken und nicht wissend, was er tun solle, eilte er zur Kirche. Von allen Seiten strömten die Leute herbei, um das Wunder zu sehen. Auf die Mahnung eines Priesters - viele Priester waren der Einladung gefolgt und zum Fest erschienen - machte er in aller Demut vor dem Altar des seligen Franziskus Gelübde. Wie er dreimal jene Stimme vernommen hatte, so gelobte er jetzt drei Gelübde, nämlich seinen Festtag zu begehen, am Feste in die Kirche, in der er sich jetzt befand, zu gehen und das Grab des Heiligen persönlich aufzusuchen. Es ist kaum zu glauben! Kaum hatte er das erste Gelübde getan, da löste sich der erste Finger, beim zweiten der zweite; als er schließlich das dritte Gelübde getan, löste sich auch der dritte und dann die ganze Hand und zuletzt auch die andere. Unterdessen hatte das Volk, das in hellen Scharen herbeigelaufen war, voll Andacht die Milde des Heiligen angerufen. So erhielt der Mann seine Bewegungsfreiheit wieder und legte eigenhändig die Werkzeuge nieder; das Volk aber lobte Gott und die wundertätige Macht seines Heiligen, der so erstaunlich zu strafen und zu heilen versteht. Jene Werkzeuge hängen aber noch heute neben dem Altar, der dort zu Ehren des seligen Franziskus errichtet ist, und erinnern an diese Begebenheit.
Viele Wunder wirkte der Heilige hier und in den benachbarten Orten; sie bekunden, daß der Heilige im Himmel verherrlicht ist und daß wir auf Erden sein Fest mit Ehrfurcht begehen sollen.

2. 
In der Stadt Le Mans setzte sich am Feste des heiligen Franziskus eine Frau an den Spinnrocken und streckte ihre Hände nach der Spindel aus. Sogleich erstarrten ihre Hände, und ein mächtiges Brennen durchfuhr ihre Finger. An dieser heilsamen Züchtigung erkannte sie die Macht des Heiligen und eilte voll Reue zu den Brüdern. Da die frommen Brüder die Güte ihres heiligen Vaters bestürmten, er möge die Frau heilen, wurde diese plötzlich wieder gesund, und keinerlei Schaden blieb zurück, abgesehen von Brandspuren, die sie zur Erinnerung an den Vorfall behielt.
In der großen Campagna wollte in ähnlicher Weise eine Frau, zu Valladolid eine zweite und in der Stadt Piglio, eine dritte das Fest des seligen Vaters nicht feiern. Sie wurden zuerst durch das Wunder bestraft und, als sie Buße getan hatten, um der Verdienste des heiligen Franziskus willen durch ein noch größeres Wunder befreit.

3. 
Ein Ritter aus Borgo in der Provinz Massa spottete in unverschämter Weise über die Werke und Wundertaten des seligen Franziskus. Mit vielen Schmähungen überschüttete er die Wallfahrer, die zu seinem Gedenktag kamen, und brachte gegen die Brüder das unsinnigste Zeug vor. Als er wieder einmal die himmlische Verherrlichung des Heiligen Gottes schmähte, fügte er zu seiner Sünde noch eine abscheuliche Lästerung: "Wenn Franziskus wirklich ein Heiliger ist", sagte er, "so soll heute noch mein Leib durch das Schwert fallen; ist er aber kein Heiliger, dann werde ich heil davonkommen." Da ihm so sein Gebet zur Sünde geworden war, säumte Gottes Zorn nicht mit der gebührenden Strafe. Als der Lästerer bald darauf seinen Neffen beleidigte, ergriff dieser ein Schwert und stieß es seinem Onkel in den Leib. Am gleichen Tage noch starb er. So wurde er zur Beute für die Hölle und ein Sohn der Finsternis. Die übrigen sollten daraus lernen, das wunderbare Leben des Franziskus nicht zu schmähen, sondern mit frommen Lobgesängen zu ehren.

4. 
Da ein Richter namens Alexander mit giftigen Worten so viele Menschen, wie er konnte, von der Verehrung des seligen Franziskus zurückzuhalten suchte, nahm Gottes Strafgericht ihm die Sprache, und er verstummte für sechs Jahre. Da er darin gestraft wurde, womit er gesündigt hatte, erfaßte ihn aufrichtige Reue; es tat ihm leid, die Wunder des Heiligen geschmäht zu haben. Darum zürnte ihm der Heilige nicht länger, sondern ließ Gnade walten und gab ihm, weil er Buße tat und ihn demütig anflehte, die Sprache zurück. Von da an benutzte er die Sprache, die er früher zum Lästern mißbraucht hatte, jetzt um den Heiligen zu preisen. Die Züchtigung hatte ihn also zu einem frommen und geordneten Leben geführt.


X. Kapitel 
Einige andere Wunder verschiedener Art

1. 
In der Stadt Gagliano in der Diözese Sulmona lebte eine Frau namens Maria, die Jesus Christus und dem heiligen Franziskus fromm ergeben war. Sie ging im Sommer eines Tages aufs Feld, um sich mit ihrer Hände Arbeit das Lebensnotwendige zu besorgen. Da bei der großen Hitze vor brennendem Durst ihre Kräfte schwanden und sie keinen erfrischenden Trank bei sich hatte - sie befand sich allein auf dem wasserlosen Berge -, legte sie sich wie ohne Leben auf den Boden nieder und rief in frommer Verehrung ihren - Schützer, den heiligen Franziskus, an. Die Frau setzte ihre frommen und inständigen Gebete fort, aber, von Arbeit, Durst und Hitze völlig erschöpft, schlummerte sie ein wenig ein. Sieh, da kam der heilige Franziskus zu ihr und rief sie mit Namen. "Steh auf", sagte er, "und trink von dem Wasser, das Gott in seiner Güte dir und vielen andern schenkt." Bei diesen Worten erwachte die Frau, nicht wenig erquickt, aus ihrem Schlaf. Sie riß das Farnkraut, das neben ihr wuchs, samt seiner Wurzel aus, grub mit einem Holzscheit rings die Erde auf und stieß auf lebendiges Wasser. Was da zuerst nur als ein kleiner Tropfen erschien, wuchs durch Gottes Macht plötzlich zu einer Quelle. Die Frau trank also und stillte ihren Durst; dann wusch sie ihre Augen, die durch ein langes Leiden getrübt waren, und sie fühlte, wie neues Licht diese durchströmte. Dann eilte sie nach Hause und verkündete dies staunenswerte Wunder zur Ehre des heiligen Franziskus allen Leuten. Auf die Kunde von dem Wunder strömten die Menschen von allen Seiten zusammen und lernten aus eigener Anschauung die wundertätige Kraft dieses Wassers kennen. Denn wer vorher gebeichtet hatte, den befreite die Berührung mit diesem Wasser von den verschiedenartigsten Gebrechen und Krankheiten. Noch heute kann man dort diese mächtige Quelle fließen sehen, und zu Ehren des seligen Franziskus hat man dort eine Kapelle errichtet.

2. 
In Sagunt in Spanien schenkte er dem verdorrten Kirschbaum eines Mannes gegen alle Hoffnung wunderbarerweise frische Blätter, Blüten und Früchte. Den Bewohnern von Villasilo befreite er durch seine wundertätige Fürbitte die Weinberge von einer Wurmplage, die sie zugrunde richtete.

Ein Priester empfahl voll Glauben seine Scheune bei Valencia, die Jahr für Jahr von Kornwürmern heimgesucht wurde, dem Heiligen, der sie vollständig davon befreite.

Der Herr von Pietramala im Königreich Apulien empfahl ihm inständig seine Felder; der Heilige bewahrte sie ihm völlig vor der gefürchteten Geißel der Heuschrecken, obwohl alle Felder der Umgebung von dieser Plage verwüstet waren.

3. 
Ein Mann mit Namen Martin trieb fern von der Stadt seine Rinder auf die Weide. Durch einen Sturz brach sich ein Rind so hoffnungslos ein Bein, daß der Mann alle Hoffnung auf Heilung aufgegeben hatte. Schon dachte er daran, das Rind zu schlachten, hatte aber kein Werkzeug dafür bei sich. Darum eilte er nach Hause, empfahl aber das Rind, das er zurückließ, dem Heiligen zur Obhut und stellte es voll Vertrauen unter den Schutz des getreuen Heiligen, damit die Wölfe es nicht in seiner Abwesenheit auffräßen. Am Morgen des nächsten Tages kehrte er mit dem Schlachtmesser zu dem Rind zurück, das er im Walde gelassen hatte, und fand es weidend und so gesund wieder, daß er das gebrochene Bein überhaupt nicht mehr von den anderen unterscheiden konnte. Da dankte er dem treuen Hirten, der das Rind so sorgsam bewacht und ihm Heilung geschenkt hatte.

Für alle, die ihn anflehten, wußte der demütige Heilige Hilfe und achtete die Nöte der Menschen nicht gering, mochten sie auch noch so klein sein.

Einem Mann aus Amiterno brachte er nämlich sein Zuchttier zurück, das man diesem gestohlen hatte.

Einer Frau aus Antrodoco machte er eine Schüssel wieder heil, die bei einem Fall in mehrere Stücke zerbrochen war.

Einem Mann aus Monte dell'Olmo in der Mark machte er die Pflugschar wieder ganz, die in lauter Stücke zersprungen war.

4. 
In der Diözese von Sabina lebte eine alte Frau von achtzig Jahren, deren Tochter sterbend einen Säugling hinterließ. Da die arme alte Frau in großer Not lebte und das Kind auch selbst nicht nähren konnte, aber auch keine Amme da war, die dem verschmachtenden Kind einen Tropfen Milch, wie es nottat, geben konnte, wußte die Frau nicht, wohin sie sich wenden sollte. Schon war das Kind sehr schwach, da wandte sich die alte Frau in ihrer ausweglosen Not unter vielen Tränen und mit ganzer Hingabe an den heiligen Vater Franziskus um Hilfe. Franziskus, der die unschuldigen Kinder geliebt hatte, war sogleich zur Stelle und sprach: "Frau, ich bin Franziskus, den du unter so vielen Tränen angerufen hast. Leg das Kind an deine Brust, denn der Herr wird dir reichlich Milch geben!" Die alte Frau befolgte den Befehl des Heiligen, und sogleich gab die Brust der Achtzigjährigen reichlich Milch. Dies Wundergeschenk des Heiligen ward Überall bekannt, und viele Männer und Frauen eilten herbei, um sich selbst zu überzeugen. Was die Augen gesehen hatten, konnte die Zunge nicht leugnen. Alle wurden aber dadurch so ergriffen, daß sie Gott wegen der wunderbaren Macht und erbarmenden Liebe seines Heiligen priesen.

5. 
Zu Scoppito hatten Eheleute nur einen Sohn, den sie als Schande für die Familie täglich beweinten. Seine Arme waren nämlich mit dem Halse verbunden, die Knie hafteten auf der Brust, und die Füße waren zum Gesäß hin verkrümmt. Er schien weniger ein Menschenkind als ein Ungetüm zu sein. Über ihn grämte sich die Frau sehr. Immer wieder flehte sie wehklagend zu Christus und rief den heiligen Franziskus um Hilfe an, er möge sie doch von ihrem Unglück und ihrer Schande erlösen. In ihrer Niedergeschlagenheit darüber war sie eines Nachts in tiefen Schlaf gesunken. Da erschien ihr der heilige Franziskus und tröstete sie mit gütigen Worten. Er riet ihr sodann, sie solle den Jungen zu einer nahen Niederlassung, die ihm geweiht war, bringen und ihn mit Wasser aus dem Brunnen dieser Niederlassung im Namen des Herrn überschütten, damit er ganz gesund werde. Als sie zögerte, dem Befehl des Heiligen nachzukommen, gab er ihr ein zweites Mal diesen Auftrag. Bei der dritten Erscheinung führte er aber die Frau mit ihrem Kinde bis vor die Türe der Niederlassung, wobei er ihnen vorausging. Damals waren auch einige vornehme Frauen zu jener Niederlassung gewallfahrtet. Die Frau berichtete ihnen in allen Einzelheiten von der Erscheinung, und sie brachten gemeinsam den Jungen zu den Brüdern. Dann schöpften sie Wasser aus dem Brunnen, und die vornehmste von ihnen wusch mit eigenen Händen den Jungen. Sogleich rückten alle Glieder des Kleinen an die richtige Stelle, und das Kind war gesund; dies große Wunder erfüllte alle mit Staunen.

5a. 
(Bei Susa trat ein junger Mann aus Rivarolo namens Ubertin in den Minderbrüderorden ein. Infolge eines furchtbaren Schreckens verfiel er während des Noviziates in Geistesgestörtheit, und durch einen rechtsseitigen Gehirnschlag konnte der schwer erkrankte Bruder weder hören noch sehen noch sich bewegen; auch der Tastsinn ging verloren. Zur größten Trauer seiner Mitbrüder lag er schon mehrere Tage elend danieder, als der Franziskustag nahte. Da er an dessen Vigil einen lichten Augenblick hatte, flehte er mit lallender Zunge, aber gläubigen Herzens, so gut er konnte, zu dem gütigen Vater. Als alle Brüder zur Zeit der Mette in der Kirche das Gotteslob sangen, da erschien der selige Vater im Gewand der Brüder dem Novizen in der Krankenzelle, und ein nicht geringes Licht erleuchtete jenen Raum. Er streckte seine Hand über dessen rechte Seite aus und fuhr sanft vom Scheitel bis zu den Füßen darüber, dann legte er seine Finger in dessen Ohren und prägte seiner rechten Schulter ein Zeichen ein, wobei er sprach: "Das soll dir ein Zeichen sein, daß Gott dich durch mich, auf dessen Beispiel hin du in den Orden gekommen bist, ganz gesund macht." Da der Kranke ohne Strick daniederlag, umgürtete er ihn mit einem solchen und sprach zu ihm: "Steh auf, geh in die Kirche und singe andächtig mit deinen Brüdern das vorgeschriebene Gotteslob!" Als der junge Mann nach diesen Worten seine Hände nach ihm ausstreckte und zum Dank die Spur seiner Füße küssen wollte, entschwand der selige Vater aus seinen Augen. Der junge Novize war aber wieder im Besitz seiner leiblichen Gesundheit, seiner Vernunft, seiner Sinneswahrnehmung und der Sprache. Er ging in die Kirche und nahm zur großen Verwunderung der Brüder und der Weltleute, die dort weilten und ihn nur als Gelähmten und Geisteskranken gekannt hatten, am Gotteslob teil. Als er den Hergang des Wunders erzählt hatte, erweckte er in vielen die Verehrung für Christus und den seligen Franziskus.)

6. 
Zu Cori in der Diözese von Ostia hatte ein Mann sein Bein ganz verstümmelt, so daß er nicht mehr gehen oder sich bewegen konnte. In dieser großen Not hatte er keine Hoffnung auf menschliche Hilfe mehr. Da begann er in einer Nacht, als sähe er den seligen Franziskus gegenwärtig, also vor ihm zu klagen: "Hilf mir, heiliger Franziskus, und denk daran, wie ich dir allzeit gedient und dich fromm verehrt habe! Ich ließ dich auf meinem Esel reiten, habe deine heiligen Hände und Füße geküßt, war dir stets ergeben und stets wohlgesinnt und soll jetzt vor lauter Qual und Schmerz grausamen Todes sterben." Diese Klage rührte den Heiligen. Der Wohltaten eingedenk, eilte er mit einem Bruder sogleich herbei und zeigte sich der Ergebenheit des aufmerksamen Mannes erkenntlich. Er sagte, er sei auf die Anrufung hin gekommen und bringe die Mittel der Gesundung. Mit einem kleinen Stab, der die Gestalt eines Tau hatte, berührte er die schmerzende Wunde; da brach das Geschwür plötzlich auf, und der Mann wurde wieder gesund. Noch größeres Staunen verdient, daß das heilige Tau-Zeichen als Erinnerung an das Wunder anstelle des geheilten Geschwüres zurückblieb.

Mit diesem Zeichen pflegte der heilige Franziskus auch seine Briefe zu unterzeichnen, sooft er aus Liebe an jemanden ein Schreiben richtete.

7. 
Wir sind soeben im Geiste verschiedenen Wundern des glorreichen Vaters Franziskus nachgegangen. Der glorreiche Bannerträger des Kreuzes Christi hat uns durch seine Verdienste und durch Gottes Fügung zum Tau, dem Zeichen des Kreuzes, gelangen lassen. Daraus sollen wir folgendes erkennen: Wie das Kreuz dem unter Christus kämpfenden Franziskus zu dessen Heil große Verdienste beschert hat, so hat es auch für den mit Christus verherrlichten Franziskus ein untrügliches Zeugnis für seine Ehre abgelegt.

8. 
In diesem großen und wunderbaren Geheimnis des Kreuzes sind die Gnadengaben, die verdienstreichen Tugenden und die Schätze der Weisheit und Wissenschaft in so geheimnisvoller Tiefe verborgen, daß sie den Weisen und Klugen dieser Welt verhüllt, diesem Kleinen Christi aber enthüllt sind. Sein ganzes Leben hindurch folgte er darum nur den Spuren des Kreuzes, kostete nur des Kreuzes Wonnen und predigte nur des Kreuzes Herrlichkeit. Denn schon zu Beginn seiner Bekehrung konnte er in Wahrheit mit dem Apostel sprechen: "Mir aber sei es ferne, mich zu rühmen - außer im Kreuze unseres Herrn Jesus Christus." Mit nicht geringerem Recht konnte er dann im Verlauf seines Lebens fortfahren: "Wer immer diese Richtschnur befolgt: Friede über ihn und Erbarmen!" Doch konnte er mit größtem Recht bei Vollendung seines Lebens auf sich das Wort anwenden: "Ich trage die Wundmale des Herrn Jesus an meinem Leibe."

Wir aber möchten von ihm täglich das andere Schriftwort hören: "Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, Brüder, sei mit euch allen! Amen."

9. 
Glorreicher Kreuzträger Christi, rühme dich daher getrost in der Herrlichkeit des Kreuzes Christi! Mit dem Kreuze hast du ja begonnen, nach der Richtschnur des Kreuzes bist du vorangeschritten, im Kreuze kamst du auch zur Vollendung. Tu allen Gläubigen durch des Kreuzes Zeugnis deine himmlische Herrlichkeit kund! Nunmehr mögen dir getrost alle folgen, die aus dem Ägypten (dieser Welt) ausziehen. Denn mit dem Stab des Kreuzes Christi teilen sie das Meer, durchwandern sie die Wüste, überschreiten sie den Jordan der Sterblichkeit und ziehen dank der Wundermacht des Kreuzes Christi in das verheißene Land der Lebendigen. Dorthin möge uns Jesus Christus der Gekreuzigte, der wahre Führer und Retter des Volkes, durch die Verdienste seines Dieners Franziskus geleiten: zum Lobpreis des einen und dreieinigen Gottes, der lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Hier enden die Wunder, die der selige Franziskus nach seinem Heimgang wirkte

 

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