Das Große Franziskusleben

des hl. Bonaventura



ZWEITES BUCH 

VIII. Kapitel 
Seine innige Frömmigkeit und wie die vernunftlosen Geschöpfe ihm anhingen

1. 
Echte Frömmigkeit ist, wie der Apostel sagt, zu allem nütze. Sie hat darum das Herz des Franziskus ganz erfüllt und sein Innerstes durchdrungen. Darum stand der Gottesmann offensichtlich ganz in ihrem Banne. Sie führte ihn im Gebet zu Gott empor, verwandelte ihn durch sein Mitleiden in Christus, ließ ihn voll Mitgefühl zum Nächsten sich herabneigen und stellte den Zustand vor der Sünde wieder her, indem er alle Geschöpfe miteinander versöhnte. Wenn er sich schon in Liebe zu allen Geschöpfen hingezogen fühlte, so doch vor allem zu den durch Jesu Christi kostbares Blut erlösten Seelen; sooft er darum sah, daß sie sich durch Sündenschuld befleckt hatten, weinte er in Liebe und Mitleid so über sie, daß er wie eine Mutter täglich um sie Geburtswehen erlitt. Und dies war der Grund, warum er besonders die Verwalter des Gotteswortes verehrte, daß ihr Beispiel und ihre liebevolle Besorgnis dem verstorbenen Bruder, nämlich Christus, der für die Sünder sein Leben hingegeben hat, Nachkommenschaft erwecke und sie in gütiger Hirtensorge lenke. Dieses Werk der Barmherzigkeit sei, so versicherte er, dem Vater der Erbarmung wohlgefälliger als alle Opfer, zumal wenn man es mit dem Eifer einer vollkommenen Liebe verwalte und bedacht sei, mehr durch Beispiel als durch Worte, mehr durch Gebet und Tränen als durch geschwätziges Reden zu wirken.

2. 
Nach seiner Meinung sei daher ein Prediger, der keine echte Frömmigkeit besitze, zu bedauern, wenn er bei seiner Predigt nicht das Heil der Seelen, sondern Beifall für seine eigene Person suche oder wenn er durch sein schlechtes Leben wieder niederreiße, was er durch die wahre Lehre aufbaue. Diesem sei ein einfacher und nicht redegewandter Bruder vorzuziehen, der durch sein gutes Beispiel andere zum Guten ermuntert. Das Schriftwort: "Viele Kinder wird haben, die unfruchtbar war" legte er so aus: "Die Unfruchtbare ist der arme kleine Bruder, der in der Kirche nicht das Amt hat, geistliche Söhne zu erzeugen. Er wird viele Kinder beim Gericht haben, denn der Richter wird dann jene zu seiner Verherrlichung anrechnen, die er jetzt durch sein verborgenes Gebet zu Christus bekehrt. Doch die mit Kindern Gesegnete wird vor Trauer vergehen, denn der eitle und geschwätzige Prediger, der sich jetzt über die große Schar derer freut, die er durch seine Tätigkeit gezeugt zu haben glaubt, wird dann erkennen, daß er an ihnen keinen Anteil hat.

3. 
Da er also frommen Herzens das Heil der Seelen ersehnte und mit eifersüchtiger Wachsamkeit darauf bedacht war, fühlte er sich nach seinen eigenen Worten von lieblichsten Wohlgerüchen erfüllt und mit köstlichem Salböl gesalbt, wenn er von dem wohlgefälligen Wandel seiner Brüder auf der ganzen Erde hörte, und daß viele den Weg der Wahrheit fanden. Wenn er solche Kunde vernahm, jubelte er im Geiste auf. Dann überhäufte er mit Segenswünschen die Brüder, die aller Ehre wert seien, weil sie durch Wort und Beispiel die Sünder zur Liebe Christi führten. 

Seinen schwersten Verwünschungen verfielen dagegen aber auch jene, die den heiligen Orden durch gottlose Werke verletzten. "Von dir, heiligster Herr", sagte er dann, "und vom ganzen himmlischen Hofe und von mir, deinem Armen, seien verflucht, die durch ihr schlechtes Beispiel zuschanden machen und niederreißen, was du durch heilige Brüder dieses Ordens erbaut hast und zu erbauen nicht aufhörst"!

Oft erfüllte ihn das Ärgernis der Kleinen mit so großer Trauer, daß er ohnmächtig zu werden glaubte, hätte nicht der gütige Gott ihn getröstet und aufrecht gehalten. Als er einmal über schlechtes Beispiel empört war und voller Angst den barmherzigen Vater für seine Söhne anflehte, erhielt er vom Herrn zur Antwort: "Warum bist du armes Menschlein so aufgeregt? Habe ich dich über deinen Orden als Hirten eingesetzt, daß du nicht weißt, ich sei dessen eigentlicher Herr? Weil du ein einfältiger Mensch bist, habe ich dich dazu erkoren; was ich an dir wirke, soll man nicht menschlicher Klugheit, sondern der Gnade Gottes zuschreiben. Ich habe den Orden ins Leben gerufen, ich werde ihn auch erhalten und weiden. Gehen einige verloren, dann werde ich andere an ihrer Stelle berufen; wenn sie noch nicht geboren wären, würde ich sorgen, daß sie geboren werden. Mögen diesen armen Orden noch so schwere Heimsuchungen erschüttern, er wird durch meine Gnade unerschütterlich bestehen bleiben."

4. 
Das Laster der Ehrabschneidung, das dem Born der Liebe und Gnade entgegenwirkt, haßte er auch wie Schlangenbiß und verheerende Pest; sie sei dem gütigen Gott deshalb verhaßte, weil der Ehrabschneider zuerst die Seelen mit dem Schwert seiner Zunge tötet und sich dann an ihrem Blute mästet. Einmal kam ihm zu Ohren, ein Bruder habe den Ruf eines andern angeschwärzt. Da wandte er sich an seinen Vikar ;und sagte: "Auf, auf und geh der Sache sorgfältig nach! Wenn du den angeschwärzten Bruder schuldlos findest, dann stelle den Ankläger durch harte Bestrafung allen zum abschreckenden Beispiel hin!" Zuweilen ordnete er an, man solle dem, der seinem Bruder die Ehre des guten Namens genommen habe, den Habit abnehmen; ehe er ihm nach bestem Können zurückgegeben, was er geraubt, dürfe er seine Augen nicht mehr zu Gott erheben. "Die Bosheit des Ehrabschneiders", sagte er, "ist um so viel schlimmer als die der Räuber, je mehr das Gesetz Christi, dessen Erfüllung die Liebe ist verpflichtet, das Heil der Seele als das des Leibes zu wünschen".

5. 
Allen, die von irgendeinem körperlichen Leiden geplagt waren, galt seine ungewöhnlich teilnehmende Liebe. Wo er darum bei einem Menschen Not oder Mängel sah, übertrug er es in seinem frommen, zartempfindenden Herzen auf Christus. Die Milde war ihm angeboren, und Christi eingegossene Tugend der Liebe verdoppelte sie. Daher war sein Herz besonders den Armen und Kranken zugetan; konnte aber seine Hand nicht helfen, so schenkte er ihnen wenigstens seine Liebe. Einmal fuhr einer der Brüder einen Bettler, der recht unbescheiden um ein Almosen gebeten hatte, hart an. Kaum hatte Franziskus als gütiger Freund der Armen dies vernommen, da befahl er dem Bruder, er solle sich entblößt diesem Armen zu Füßen werfen, sich vor ihm schuldig bekennen und ihn um sein Fürbittgebet und um Verzeihung bitten. Als der Bruder dies in aller Demut getan, fügte der Vater in Liebe hinzu: "Wenn du einen Armen siehst, Bruder, siehst du wie im Spiegel den Herrn und seine arme Mutter. Ebenso sollst du an den Kranken jene Schwachheit betrachten, die er auf sich genommen hat." 

Da er, selbst der christlichste unter den Armen, in allen Armen Christi Bild erkannte, teilte er ihnen freigebig mit, was man ihm selbst zum notwendigen Lebensunterhalt geschenkt hatte; ja, er glaubte, es ihnen zurückgeben zu müssen, als wäre es ihr Eigentum. 

Einmal begegnete ihm bei seiner Rückkehr aus Siena ein Armer, als er wegen seiner Krankheit über seinem Habit mit einem Mantel bekleidet war. Als er mitleidig dessen Elend betrachtete, sprach er zu seinem Gefährten: "Wir müssen den Mantel diesem Armen zurückgeben, denn er gehört ihm. Er wurde uns ja nur geliehen, bis wir einen Ärmeren fänden." Da aber der Gefährte die Not des gütigen Vaters erwog, wandte er sich entschieden dagegen und sprach, Franziskus dürfe nicht für andere sorgen und sich selbst vergessen. Er darauf: "Der große Almosengeber, Gott, rechnete es mir, glaube ich, als Diebstahl an, wenn ich den Mantel, den ich trage, nicht dem gäbe, der seiner mehr bedarf."

Daher bat er stets alle, die ihm für seine leibliche Not etwas gaben, um die Erlaubnis, um es mit ihrer Einwilligung weiterzugeben, wenn er jemand begegne, der noch bedürftiger sei. 

Gar nichts entging seiner Freigebigkeit, weder Mäntel, Kleider, Bücher, noch auch der Schmuck der Altäre; dies alles gab er, wenn er konnte, den Notleidenden hin, um die Pflicht der Barmherzigkeit zu erfüllen. 

Begegnete er auf seinem Wege Armen, die schwere Lasten trugen, so nahm er deren Lasten auf seine schwachen Schultern.

6. 
Eingedenk dessen, daß alle Geschöpfe ihren letzten Ursprung in Gott haben, war er von überschwenglicher Liebe zu ihnen erfüllt. Auch die kleinsten Geschöpfe nannte er deshalb "Bruder" und "Schwester", wußte er doch, daß sie mit ihm den gleichen Ursprung hatten. Doch liebte er jene Dinge mit besonderer Innigkeit und Zärtlichkeit, die durch ihre natürlichen Eigenschaften oder durch die Aussage der Heiligen Schrift Christi Sanftmut versinnbilden. Oft kaufte er Lämmer los, die man zum Schlachten fortführte, eingedenk jenes sanftmütigen Lammes, das sich zur Erlösung der Sünder zur Schlachtbank führen ließ'.

Einmal hatte der Diener Gottes im Kloster San Verecondo im Bistum Gubbio Herberge genommen. In jener Nacht brachte ein Schaf ein Lämmchen zur Welt. Dort war auch ein bösartiges Schwein, das sein unschuldiges Leben nicht schonte und das Lämmchen durch einen wütenden Biß tötete. Als der gütige Vater dies vernahm, wurde er von wundersamem Mitleid gerührt. Er erinnerte sich des Lammes ohne Makel und beklagte den Tod des Lämmchens vor allen Leuten, indem er sagte: "Ach, Bruder Lämmchen, unschuldiges Tier, du hast den Menschen Christus versinnbildet! Verflucht sei das verruchte Tier, das dir den Tod gebracht hat! Weder Mensch noch Tier soll von ihm essen." Sonderbar! Sogleich erkrankte das bösartige Schwein. Drei Tage lang mußte es zur Strafe leibliche Qualen erleiden, dann endlich fand es den verdienten Tod. Man warf es in den Klostergraben wo es lange Zeit lag. Ausgetrocknet wie ein Brett, diente es keinem Lebewesen zur Nahrung. 

Wenn schon ein bösartiges Tier zur Strafe so schrecklich enden mußte, so sollten die schlimmen Menschen daraus lernen, welch schreckliche Strafe einst die Bosheit der Menschen treffen wird. Der fromme Christ aber möge erkennen, welche wunderbare Macht und welch großes Erbarmen die Liebe des Gottesmannes offenbarte, daß selbst die Tiere auf ihre Art ihm untertan waren.

7. 
Einst führte nämlich sein Weg an der Stadt Siena vorbei, und dort sah er auf der Weide eine große Herde Schafe. Als er sie nach seiner Gewohnheit liebevoll begrüßte, liefen sie alle von der Weide weg auf ihn zu, erhoben ihre Köpfe und schauten ihn unverwandt an. Sie äußerten so deutlich ihre Zuneigung zu ihm. daß die Hirten und Brüder mit Verwunderung sahen, wie Schafe und Böcke sich um ihn drängten und sich so ungewöhnlich freuten. 

Ein anderes Mal schenkte jemand dem Gottesmann bei Santa Maria von Portiunkula ein Schaf, das er dankbar aus Liebe zur Unschuld und Einfalt, wie sie in der Natur des Schafes liegen, annahm. In seiner Güte ermahnte er das Lamm, Gott zu loben und den Brüdern nicht lästig zu fallen. Das Schaf befolgte nun getreu die Mahnung des Gottesmannes, als ob es seine gütigen Worte verstanden hätte. Hörte es nämlich die Brüder im Chore singen, dann eilte es zur Kirche, beugte, ohne daß es jemand aufforderte, seine Knie, blökte vor dem Altar der Jungfrau, der Mutter des Gotteslammes, als wollte es sie freudig grüßen. Erhob bei der Feier der heiligen Messe der Priester den heiligsten Leib Christi, so verharrte das Tier auf den Knien, als wollte es durch seine Ehrfurcht die Unandächtigen wegen ihrer mangelnden Ehrfurcht tadeln und die Gläubigen Christi zur Ehrfurcht gegen das Sakrament auffordern. 

Einst hatte er aus Liebe zu dem milden Gotteslamm in der heiligen Stadt ein Lamm und schenkte es, als er die Stadt verließ, einer frommen Frau, Jakoba de Settesoli, zur Pflege. Das Lamm folgte nun, als wäre es gewissermaßen von dem Heiligen im geistlichen Leben unterwiesen, der Herrin auf ihrem Kirchgang, weilte dort bei ihr und verließ mit ihr die Kirche, indem es ihr getreulich folgte. Stand die Herrin morgens einmal nicht zeitig auf, dann kam das Lamm zu ihr, stieß sie mit dem Kopf an und weckte sie durch sein Blöken und ermahnte sie durch sein ganzes Gehabe, sie möge zur Kirche gehen. So wurde das Lamm, das selbst von Franziskus unterwiesen worden war, selbst Lehrer der Andacht, und seine Herrin pflegte es als ein außergewöhnliches, liebes Tier.

8. 
Ein anderes Mal schenkte jemand dem Gottesmann bei Greccio einen lebendigen Hasen. Man ließ ihn auf dem Boden los, so daß er entlaufen konnte, wohin er wollte. Als der gütige Vater ihn rief, sprang er schnell auf seinen Schoß. Der Heilige streichelte ihn in zärtlicher Liebe, er schien wie eine Mutter von Mitleid zu ihm erfüllt und ermahnte ihn voll Güte, sich nicht wieder fangen zu lassen. Dann ließ er ihn frei. Als man ihn mehrmals auf den Boden setzte, damit er weglaufen könne, kehrte er immer wieder auf den Schoß des Heiligen zurück, als ob er still im Herzen die Güte des Heiligen fühlte. Schließlich brachten die Brüder ihn auf Befehl ihres Vaters an einen sicheren Ort in der Einsamkeit. 

Etwas Ähnliches geschah auf einer Insel des Sees von Perugia. Man hatte ein Kaninchen gefangen und dem Heiligen geschenkt. Während es vor allen anderen weglief, ließ es sich von seinen Händen fassen und auf den Schoß nehmen, als fühlte es sich dort sicher und geborgen. 

Als er über den See von Rieti zur Einsiedelei von Greccio fuhr, schenkte ein Fischer ihm aus Verehrung einen großen Flußvogel. Der Heilige nahm ihn gern an, hielt ihn in seinen offenen Händen und forderte ihn auf, wegzufliegen. Doch dieses wollte er nicht. Da erhob der Heilige seine Augen zum Himmel und verweilte lange im Gebete. Als er nach einer guten Stunde wie aus einer anderen Welt wieder zu sich kam, ermahnte er ihn gütig ein zweites Mal, er möge den Herrn loben und wegfliegen. Nachdem der Heilige ihm mit seinem Segen diese Erlaubnis erteilt hatte, flog er davon, wobei die eigentümliche Bewegung seines Körpers Freude verriet. 

Auf demselben See schenkte man ihm auch einen großen, lebendigen Fisch. Er sprach ihn, wie er es gewöhnlich tat, als Bruder an und setzte ihn bei dem Schiff ins Wasser. Der Fisch spielte aber eine Zeitlang in der Nähe des Gottesmannes im Wasser, und als ob die Liebe zu ihm ihn festhalte, schwamm er erst vom Schiff weg, als der Heilige ihm mit seinem Segen die Erlaubnis dazu erteilte.

9. 
Zu einer anderen Zeit wanderte er mit einem Bruder durch das Sumpfgebiet von Venedig. Dort stieß er auf eine große Vogelschar, die im Schilfe saß und sang. Als er sie sah, sagte er zu seinem Gefährten: "Unsere Brüder, die Vögel, loben ihren Schöpfer. Darum wollen auch wir zu ihnen gehen und im Stundengebet dem Herrn lobsingen." Als sie mitten unter sie traten, flogen diese von dem Ort nicht weg. Da sie aber einander wegen deren Gezwitscher nicht verstehen konnten, wandte sich der Heilige mit folgenden Worten an die Vögel: "Brüder Vögel, hört auf mit eurem Gesang, bis wir Gott das schuldige Lobgebet dargebracht haben!" Da schwiegen sie sogleich und verharrten in Stille, bis die beiden das lange Stundengebet und ihr Gotteslob beendet hatten und der Heilige Gottes ihnen die Erlaubnis zu singen erteilte. Kaum aber hatte der Gottesmann ihnen diese Erlaubnis gegeben, fingen sie in der gewohnten Weise wieder an zu zwitschern. 

Neben der Zelle des Gottesmannes bei Santa Maria von Portiunkula saß auf einem Feigenbaum eine Grille und zirpte. Da der Diener Gottes auch in kleinen Dingen des Schöpfers Majestät gerne bewunderte, ließ er sich durch ihr Zirpen oft zum Gotteslob ermuntern. Als er sie eines Tages zu sich rief, flog sie, als habe Gott es ihr befahlen, auf seine Hand. Da sprach der Heilige zu ihr: "Zirpe, meine Schwester Grille, und lobe den Herrn, deinen Schöpfer, durch dein Jubilieren!" Gehorsam begann sie sogleich zu zirpen und hörte erst auf, als sie auf Befehl des Vaters an ihren gewohnten Platz zurückkehrte. Dort blieb sie acht Tage lang, kam täglich, zirpte und flog auf seinen Befehl wieder weg. Schließlich sprach der Gottesmann zu seinen Gefährten: "Geben wir unserer Schwester Grille Urlaub, denn sie hat uns durch ihr Zirpen Freude bereitet und acht Tage lang zum Lobe Gottes aufgefordert." Sogleich flog sie auf seine Erlaubnis hin weg und ward dort nicht mehr gesehen, als ob sie sein Gebot in keiner Weise zu übertreten wagte.

10. 
Als er in Siena krank darniederlag, schickte ihm ein Adeliger einen eben gefangenen lebenden Fasan. Kaum hatte dieser den Heiligen gehört und gesehen, da folgte er ihm so voll Zutrauen, daß er sich auf keine Weise von ihm trennen lassen wollte. Damit er nämlich nach Belieben wegfliegen könne, hatten die Brüder ihn außerhalb des Klosters mehrmals in einem Weinberg ausgesetzt, aber rasch flog er wieder zum Vater zurück, als habe dieser ihn von klein auf großgezogen. Dann gab man ihn einem Manne, der aus Verehrung für den Diener Gottes ihn oft besuchte. Doch bei diesem schien er so traurig zu sein, den gütigen Vater nicht mehr zu sehen, daß er sein Futter unberührt ließ. Schließlich brachte man ihn zum Diener Gottes zurück. Kaum aber hatte er diesen erblickt, so begann er mit Zeichen sichtbarer Freude gierig zu fressen. 

Als er zur Einöde des La Verna kam, um dort zu Ehren des Erzengels Michael eine vierzigtägige Fastenzeit zu halten, flogen Vögel verschiedener Art laut zwitschernd und froh um seine Zelle herum, als freuten sie sich über seine Ankunft, und wollten den gütigen Vater, wie es schien, zum Verweilen einladen und locken. Als Franziskus dies sah, sagte er zu seinem Gefährten. "Bruder, wie ich sehe, ist es Gottes Wille, daß wir hier einige Zeit bleiben. Unsere Brüder, die Vögel, freuen sich offenbar sehr über unser Kommen." Während er dort länger weilte, schloß ein Falke, der dort sein Nest hatte, mit ihm herzliche Freundschaft. Denn vor jener Nachtstunde, in der der Heilige sich gewöhnlich zum Gotteslob erhob, machte er sich stets durch seinen schallenden Gesang bemerkbar. Dies war dem Diener Gottes sehr lieb, weil das Tier durch diese große Sorge, die es für ihn trug, jede Gefahr, sich zu verschlafen, nahm. Als aber der Diener Christi schlimmer als gewöhnlich unter seiner Krankheit zu leiden hatte, hatte der Falke Mitleid mit ihm und weckte ihn nicht so früh zum nächtlichen Gebet. Als habe Gott ihn so belehrt, ließ er erst zur Zeit der Morgendämmerung seine Stimme wie einen leichten Glockenschlag erklingen. Der frohe Jubel der verschiedenartigen Vögel und der Ruf des Falken waren sicherlich ein Zeichen Gottes, daß der Sänger und Beter Gottes, der sich auf den Schwingen der Beschauung zum Himmel erhob, dort durch die Erscheinung des Seraphs erhöht werde.

11. 
Als er sich einmal in der Einsiedelei zu Greccio aufhielt, wurden die Einwohner jenes Ortes gerade von schweren Heimsuchungen geplagt. Ein Rudel reißender Wölfe fiel nämlich nicht nur das Vieh, sondern auch die Menschen an, und alljährlich verwüstete schwerer Hagelschlag ihre Felder und Weinberge. Als nun der Herold des heiligen Evangeliums zu ihnen predigte, sagte er zu ihnen: "Zur Ehre und zum Lobe des allmächtigen Gottes versichere ich euch, daß diese Plage weichen und Gott euch mit zeitlichen Gütern segnen wird, wenn ihr mir glaubt, euch eurer selbst erbarmt und nach aufrichtiger Beichte würdige Früchte der Buße bringt. Aber auch dies verkündige ich euch: Wenn ihr solcher Wohltaten undankbar seid und zu dem zurückkehrt, was ihr ausgespien habt, wird die Plage erneut über euch kommen, die Strafe doppelt so schwer sein und Gott noch schlimmer seinen Zorn an euch auslassen". Da sie auf seine Mahnung hin Buße taten, hörten von jener Stunde an die Schicksalsschläge auf, und es verschwanden die Gefahren; weder Wölfe noch Hagelschlag fügten ihnen künftig Schaden zu. Ja, was noch erstaunlicher ist: Wenn einmal ein Hagelschlag die Flur ihrer Nachbarn verwüstete und sich ihrem Gebiet näherte, hörte er entweder dort auf oder zog in einer anderen Richtung weiter. Hagelschlag und Wölfe hielten sich an das Versprechen des Gottesdieners und wüteten nicht mehr erbarmungslos gegen jene Menschen, die sich zu einem frommen Leben bekehrt hatten, solange sie sich nach Franziszi Mahnung nicht gegen Gottes heilsame Gesetze versündigten. Wir müssen daher gläubig die Frömmigkeit des Seligen verehren, die mit so außergewöhnlicher Milde und Macht die wilden Tiere zähmte, die Haustiere gelehrig machte und die Natur der vernunftlosen Tiere, die sich gegen die sündigen Menschen auflehnte, zum Gehorsam gegen sie führte. Das ist jene Frömmigkeit, die alle Geschöpfe miteinander versöhnte und zu allem nütze ist, denn sie hat die Verheißung für dieses und das zukünftige Leben.

IX. Kapitel 
Seine innige Liebe und seine Sehnsucht nach dem Martyrium

1. 
Wer vermöchte gebührend die glühende Liebe zu schildern, von der Franziskus als Freund des Bräutigams erfüllt war? Denn gleich einer glühenden Kohle schien ihn die Flamme der Gottesliebe ganz zu verzehren. Sobald er die Worte "Liebe des Herrn" vernahm, fühlte er sich ganz ergriffen und entflammt, als ob bei dem Anschlag der Stimme von außen in seinem Innern die Saite seines Herzens gerührt würde. Solchen Preis für Almosen anzubieten, war nach seinem Wort edle Freigebigkeit; jene aber, die ihn geringer als das Geld achten, seien sehr große Toren, weil allein der unschätzbare Preis der Liebe Gottes ausreicht, um das Himmelreich zu erlangen, und wir dessen Liebe innig lieben müssen, der uns so sehr geliebt hat. Um sich aber durch alle Dinge zur Gottesliebe aufrufen zu lassen, jubelte er über alle Werke der Hände des Herrn und erhob sich von den Spiegelbildern seiner Schönheit zu deren lebenspendendem Quellgrund. In allem Schönen schaute er zugleich den Schönsten. Auf den Spuren die er den Dingen eingeprägt fand, ging er überall dem Geliebten nach und benützte alle Dinge als Leiter, auf der er emporsteigen und den umfassen konnte, der ganz liebenswert ist. In einer liebenden Gottseligkeit, wie sie nie erhört war, verkostete er in den einzelnen geschaffenen Dingen, als seien sie viele kleine Bäche, den Quell aller Güte. Als ob er in dem Zusammenspiel der Kräfte und Handlungen, die Gott ihnen verliehen, gleichsam eine himmlische Melodie vernommen hätte, ermahnte er sie in Liebe zum Lobe des Herrn, wie es der Prophet David getan.

2. 
Der gekreuzigte Herr Jesus Christus ruhte gleich einem Myrrhenbüschel allzeit an seinem Herzen; innigst wünschte er, die Glut seiner grenzenlosen Liebe möge ihn ganz in ihn umgestalten. Ausgestattet mit einer besonderen Verehrung zu ihm, zog er sich nach dem Fest der Erscheinung des Herrn vierzig Tage lang in die Einsamkeit zurück - jene Zeitspanne, die Christus in der Wüste verborgen war - und wohnte in einer Klause. Hier lebte er ununterbrochen bei möglichst strenger Einschränkung von Speise und Trank dem Fasten, Gebet und Gotteslob. Mit so inniger Liebe hing er Christus an, und auch der Geliebte erwies ihm eine solche Freundschaft und Liebe, daß der Freund Gottes sich jederzeit unter den Augen seines Erlösers fühlte, wie er zuweilen seinen Gefährten in vertrautem Gespräch eingestanden hat. Gegen das Sakrament des Leibes des Herrn war er mit allen Fasern seines Herzens glühend entbrannt, indem er mit größter Bewunderung darin die liebevolle Herablassung und herablassende Liebe erwog. Oft empfing er den Leib des Herrn und tat es mit solcher Andacht, daß er auch andere zur Andacht hinriß. Denn bei dem beseligenden Empfang des makellosen Lammes geriet er meist, als ob sein Gebet trunken wäre, in Verzückung.

3. 
Die Mutter unseres Herrn Jesus umfing er mit unsagbarer Liebe, weil sie uns den Herrn der Herrlichkeit zum Bruder gegeben hat und weil wir durch sie Barmherzigkeit erlangt haben. Nächst Christus setzte er sein Vertrauen vor allem auf sie, erwählte sie zur eigenen und der Seinen Fürsprecherin und fastete voll Andacht zu ihrer Ehre vom Feste der Apostel Petrus und Paulus bis zum Feste ihrer Himmelfahrt. Da die Engel, selbst von wunderbarer Glut entbrannt, sich zu Gott erheben und auch die Seelen der Auserwählten entflammen, war er auch ihnen durch das Band untrennbarer Liebe verbunden, fastete aus Verehrung für sie vom Fest der Aufnahme der allerseligsten Jungfrau in den Himmel an vierzig Tage hindurch und widmete sich in dieser Zeit ganz dem Gebete. Weil dem Erzengel Michael das Amt anvertraut ist, die Seelen zu Gott zu führen, war er auch ihm in besonderer Liebe und Verehrung ergeben. Denn ihn selbst verzehrte ein glühender Eifer für das Heil derer, die dazu berufen sind. Das Gedächtnis aller Heiligen, die gleichsam glühende Kohlen waren, ließ ihn zu einem heiligen Feuer erglühen. Allen Aposteln, zumal Petrus und Paulus, war er in unbeschreiblicher Andacht wegen ihrer glühenden Liebe ergeben, die sie zu Christus hatten. Aus Ehrfurcht und Liebe zu ihnen weihte er dem Herrn eine besondere Fastenzeit von vierzig Tagen. Der Arme Christi besaß ja nichts anderes als zwei Scherflein, seinen Leib und seine Seele, die er in freigebiger Liebe dem Herrn schenken konnte. Um der Liebe Christi willen aber brachte er diese ständig zum Opfer dar; dabei gab er allzeit seinen Leib durch sein strenges Fasten und seinen Geist durch sein glühendes Verlangen hin. So brachte er draußen im Vorhof ein Ganzopfer und drinnen im Tempel ein Weihrauchopfer dar.

4. 
Seine überströmende Hingabe und Liebe trug ihn so nach oben zu Gott, daß er sein mitfühlendes Herz allen erschloß, die mit ihm die gleiche Natur und Gnade teilten. Daher nimmt es nicht wunder, wenn ihn, den die Macht der Liebe den andern Geschöpfen zum Bruder gegeben hatte, die Liebe Christi noch mehr denen zum Bruder machte, die mit dem Bild des Schöpfers gezeichnet und mit dem Blut des Schöpfers erlöst sind. Er hielt sich nur dann für einen Freund Christi, wenn er die Seelen liebhabe, die jener erlöst hat. Es gebe nichts Höheres, sagte er, als das Heil der Seelen. Dies bewies er vor allem damit, daß der Eingeborene Gottes sich gewürdigt habe, für die Seelen am Kreuze zu hängen. Deshalb sein Ringen im Gebet, seine Unermüdlichkeit bei der Predigt, sein überschwenglicher Eifer, ein gutes Beispiel zu geben. Sooft man daher seine strenge Lebensweise tadelte, erwiderte er, er sei andern zum Vorbild gegeben. Obschon sein unschuldiger Leib sich willig dem Geiste unterwarf und nicht wegen etwaiger Vergehen der Züchtigung bedurfte, so legte er ihm doch des guten Beispiels wegen immer neue Bußen und Lasten auf, indem er der andern wegen die harten Pfade wählte, sagte er doch: "Wenn ich mit Menschen -, ja mit Engelzungen redete, hätte aber in mir die Liebe nicht und gäbe dem Nächsten kein Beispiel in der Tugend, nütze ich anderen wenig, mir aber gar nichts".

5. 
In seinem glühenden Verlangen suchte er es den heiligen Märtyrern in ihrem siegreichen Kampf gleichzutun, deren Liebesglut man nicht auslöschen und deren Starkmut man nicht brechen konnte. Erfüllt von jener vollkommenen Liebe, die alle Furcht austreibt, wollte auch er sich dem Herrn in den Feuerqualen des Martyriums als ein lebendiges Opfer darbringen. So wollte er sich Christus, der sich für uns in den Tod hingegeben hat, dankbar erweisen und die Mitmenschen zur Gottesliebe ermuntern. Im sechsten Jahre seiner Bekehrung wollte er daher, voll glühender Sehnsucht nach dem heiligen Martyrium, nach Syrien hinüberfahren, um den Sarazenen und andern Ungläubigen den christlichen Glauben und Buße zu predigen. Als er ein Schiff bestieg, um dorthin zu gelangen, zwangen ihn widrige Winde, in Slavonien an Land zu gehen. Als er sich dort eine Zeitlang aufgehalten hatte und damals kein Schiff für die Überfahrt finden konnte, sah er sich um seinen heißen Wunsch betrogen. Darum bat er Schiffsleute, die nach Ancona fuhren, sie möchten ihn aus Liebe zu Gott mitnehmen. Da diese sich aber hartnäckig weigerten, weil er die Kosten nicht aufbringen konnte, begab sich der Gottesmann, voll starken Vertrauens auf die Güte des Herrn, mit seinen Gefährten heimlich an Bord. Damals kam ihm ein Mann zu Hilfe, den Gott, wie man mit Recht annimmt, seinem Armen sandte. Er hatte das Lebensnotwendige mitgebracht, rief einen gottesfürchtigen Mann von der Schiffsbesatzung und sagte zu ihm: "Nimm dies alles für jene armen Brüder, die sich im Schiff versteckt halten, getreulich an dich und gib es ihnen in Liebe zur Zeit der Not!" Als nun die Schiffsleute infolge eines gewaltigen Sturmes mehrere Tage lang nirgends landen konnten und alle ihre Vorräte aufgezehrt waren, blieben nur noch die Gaben übrig, die für den armen Franziskus geschenkt waren. Da sie jedoch ziemlich bescheiden waren, hat Gottes Macht sie ihm so vermehrt, daß sie bis zum Hafen von Ancona für den Unterhalt aller vollauf genügten, obwohl sie bei dem anhaltenden. Sturm mehrere Tage lang auf dem Meere bleiben mußten. Daher sahen die Schiffsleute ein, daß sie durch den Diener Gottes vielfachen Lebensgefahren entronnen waren. Als sie die grauenhaften Gefahren des Meeres und die wunderbaren Werke des Herrn über der Tiefe erlebt hatten, dankten sie dem allmächtigen Gott, der sich in seinen Freunden und Dienern allzeit wunderbar und liebenswert erweist.

6. 
Als er nunmehr das Meer verlassen hatte und über das Festland zog, um den Samen des Heiles dort zu säen, konnte er gesegnete Garben ernten. Der Sieg des Martyriums hatte jedoch sein Herz so sehr in Bann geschlagen, daß er mehr als alle verdienstlichen Tugendwerke den kostbaren Tod für Christus ersehnte. Darum machte er sich auf den Weg nach Marokko, um dem Miramamolin und seinem Volke die Frohbotschaft Christi zu verkünden und, wenn möglich, die Palme des Märtyrertodes zu erringen. Obwohl sein Körper kränklich war, trieb ihn sein Eifer so sehr an, daß er seinem Reisegefährten vorauslief und, als sei er trunkenen Geistes, dahineilte, um sein Vorhaben auszuführen. Schon war er bis nach Spanien gekommen. Da aber Gottes Vorsehung ihn für andere schwere Aufgaben auserwählt hatte, überfiel ihn eine schwere Krankheit, die ihn hinderte, sein Vorhaben durchzuführen. Da erkannte der Gottesmann, daß sein Leben im Fleische den Söhnen, die er gezeugt hatte, noch vonnöten sei. Obwohl er den Tod für sich als Gewinn ansah kehrte er heim, um die Schäflein zu weiden, die seiner Sorge anvertraut waren.

7. 
Da aber die Glut der Liebe seinen Geist zum Martyrium drängte, unternahm er ein drittes Mal den Versuch, zu den Ungläubigen zu gehen und durch Hingabe seines Lebens dort den Glauben an den dreifaltigen Gott auszubreiten. Im dreizehnten Jahre nach seiner Bekehrung zog er nämlich nach Syrien und nahm mutig große Gefahren auf sich, um vor den Sultan von Babylon zu gelangen. Zwischen den Christen und Sarazenen tobte nämlich ein erbarmungsloser Krieg. Die Heerlager standen sich ganz nahe gegenüber, so daß man ohne Lebensgefahr nicht von einem zum anderen gelangen konnte. Der Sultan hatte nämlich das harte Edikt erlassen, wer ihm das Haupt eines Christen bringe, solle als Lohn ein byzantinisches Goldstück erhalten. Doch Franziskus beschloß als unerschrockener Ritter Christi, sich auf den Weg zu machen. Er hoffte dabei, bald sein ersehntes Ziel zu erreichen; den Tod fürchtete er nicht, sondern ersehnte ihn sogar. Als er zuvor gebetet und sich im Herrn ermannt hatte, sang er mit großer Zuversicht das Wort des Propheten: "Muß ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; du bist ja bei mir."

8. 
In Begleitung des Bruders Illuminatus, eines Mannes von Erleuchtung und Tugend, machte er sich auf den Weg. Da begegneten ihm zwei Lämmchen. Ihr Anblick erfüllte den Heiligen mit Freude, und er sagte zu seinem Gefährten: "Vertrau auf den Herrn, Bruder, denn an uns wird sich das Wort des Evangeliums erfüllen: "Siehe, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe." Als sie ihres Weges zogen, stießen sie auf sarazenische Soldaten. Wie Wölfe sich auf Schafe stürzen, so ergriffen diese unsere Diener Gottes, um sie zu töten. Sie behandelten sie mit Grausamkeit und Verachtung, stießen Schimpfworte gegen sie aus, versetzten ihnen Schläge und schlugen sie in Fesseln. Unter vielen Stößen und Schlägen schleppten die Soldaten sie schließlich - Gottes Vorsehung lenkte es so - zum Sultan, wie es Franziskus gewünscht hatte. Jener Fürst fragte sie, wer sie gesandt habe, was der Zweck ihres Kommens sei und wie sie dorthin gelangt seien. Da gab der Diener Christi Franziskus freimütig zur Antwort, nicht Menschen, sondern der höchste Gott habe sie gesandt, damit er ihm und seinem Volke den Weg des Heiles zeige und das wahre Evangelium verkünde. Dann predigte er dem Sultan mit solcher Unerschrockenheit, Geisteskraft und Begeisterung den einen, dreifaltigen Gott und den Erlöser aller Menschen Jesus Christus, daß in Wahrheit an ihm das Wort des Evangeliums erfüllt schien: "Ich werde euch Beredsamkeit und Weisheit verleihen, der alle eure Gegner nicht zu widerstehen und zu widersprechen vermögen." Denn auch der Sultan sah die wunderbare Glut und Kraft des Geistes bei dem Gottesmann; er hörte ihn gern an und bat ihn inständig, bei ihm zu bleiben. Von Gott erleuchtet, gab jedoch der Diener Christi zur Antwort: "Wenn du dich mit deinem Volke zu Christus bekehren willst, will ich aus Liebe zu ihm gern bei euch bleiben. Solltest du aber Bedenken tragen, für den Glauben an Christus das Gesetz des Mohammed zu verlassen, dann laß ein großes Feuer anzünden; dann werde ich mit deinen Priestern ins Feuer hineingehen, damit du wenigstens dadurch erkennen mögest, welchen Glauben du mit Recht annehmen mußt, weil er größere Sicherheit und Heiligkeit besitzt." Da erwiderte der Sultan: "Ich glaube nicht, daß sich einer meiner Priester bereit findet, sich zur Verteidigung seines Glaubens ins Feuer zu begeben oder irgendeine Qual auf sich zu nehmen"; hatte er doch bemerkt, wie sich einer von seinen Priestern, ein Mann von hohem Ansehen und Alter, bei diesen Worten des Heiligen aus dem Staube machte. Darum sagte der Heilige: "Versprichst du mir für dich und dein Volk, du werdest den Glauben an Christus annehmen, wenn ich unversehrt durchs Feuer gehe, dann will ich allein hineingehen. Werde ich verbrannt, dann rechne dies meinen Sünden an; beschützt mich aber Gottes Macht, dann erkennt, daß Christus, Gottes Kraft und Weisheit, wahrhaft Gott und Herr, der Erlöser aller Menschen ist"! Der Sultan erwiderte, er wage nicht, eine solche Probe anzunehmen, denn er fürchtete einen Aufruhr seines Volkes. Doch bot er Franziskus viele kostbare Geschenke an, die der Gottesmann aber alle wie Kot verachtete, denn ihn verlangte nicht nach irdischem Reichtum, sondern nach dem Heil der Seelen. Da wunderte sich der Sultan sehr und brachte ihm noch größere Achtung entgegen, sah er doch, wie dieser Heilige alle irdischen Güter gänzlich verachtete. Er wollte zwar nicht den christlichen Glauben annehmen oder wagte es vielleicht nicht; doch bat er den Diener Christi inständig, er möge zum Heil seiner Seele diese Gaben nehmen und für die christlichen Armen oder die Kirchen verwenden. Weil aber Franziskus alles Geld wie eine Last mied und erkannte, daß das Samenkorn des wahren Glaubens im Herzen des Sultans keine Wurzel fassen konnte' schlug er dies Anerbieten aus.

9. 
Da er nun sah, er werde weder die Bekehrung dieses Volkes noch seinen Wunsch erlangen, kehrte er durch Gottes Offenbarung dazu aufgefordert, in das Land der Gläubigen zurück. So fügte es nach dem Ratschluß des gütigen Gottes und um der Tugenden dieses Heiligen willen des Herrn unfaßbare Barmherzigkeit, daß Christi Freund mit all seiner Kraft den Tod suchte, aber nicht fand. Damit erlangte er aber das Verdienst des ersehnten Martyriums und blieb am Leben, um später einer außer - -gewöhnlichen Auszeichnung gewürdigt zu werden. Jenes göttliche Feuer entfachte sich noch mehr in seinem Herzen und wurde später auch an seinem Leibe sichtbar. Wie müssen wir jenen Mann seligpreisen, dessen Leib, auch wenn er durch das Schwert des Tyrannen nicht den Tod fand, dennoch nicht der Ähnlichkeit mit dem getöteten Lamme entbehrte! Ist er nicht im wahren und vollen Sinn selig, da ihn "das Schwert des Verfolgers nicht hingestreckt hat und seiner Seele doch nicht die Palme des Martyriums verlorenging!

X. Kapitel 
Sein eifriges und machtvolles Beten

1. 
Der Diener Christi Franziskus wußte wohl, daß er dem Leibe nach fern vom Herrn weilte. Doch hatte ihn die Liebe zu Christus den Sinnen nach schon unempfindlich für irdische Wünsche gemacht. Damit er jedoch nicht ohne den Trost seines Geliebten sei, betete er ohne Unterlaß und suchte seinen Geist in Gottes Gegenwart zu erhalten. Im beschaulichen Leben war nämlich das Gebet sein Trost. Da er schon Bürger in den himmlischen Wohnungen bei den Engeln war, suchte er mit eifrigem Verlangen seinen Geliebten, von dem ihn nur noch die Wand seines Leibes trennte. Das Gebet war sein Schutz bei der äußeren Tätigkeit, da er bei allem, was er tat, seiner eigenen Kraft mißtraute und Gottes Güte vertraute. So warf er in seinem ständigen Beten all sein Denken auf den Herrn. Die Gnade des Gebetes, so beteuerte er immer wieder, müsse ein Ordensmann mehr als alle andern Dinge erstreben. Überzeugt, niemand könne im Dienste Gottes ohne sie Fortschritte machen, ermahnte er seine Brüder, soviel er nur konnte, zum Eifer im Gebete. Denn ob er ging oder saß, im Kloster oder, außerhalb des Klosters weilte, arbeitete oder sich erholte, immer war er so sehr dem Gebete hingegeben, daß Leib und Seele, ja all seine Tätigkeit und Zeit dem Gebete gewidmet erschienen.

2. 
Er hatte sich daran gewöhnt, keine Heimsuchung des Geistes unbeachtet vorübergehen zu lassen. Bot sie sich ihm dar, dann folgte er ihr, und solange der Herr es gestattete, genoß er die dargebotenen Wonnen. Befand er sich auf Reisen und spürte er da das Wehen des göttlichen Geistes, so ließ er die Gefährten vorausgehen und blieb selbst stehen, um die neue Eingebung Gottes zu genießen. So empfing er die Gnade nicht vergeblich. Oft war er von den Wonnen der Beschauung so hingerissen, daß er, sich selbst entrückt, beim Verkosten der übermenschlichen Erfahrungen nicht merkte, was um ihn vorging. Als er einmal wegen einer Krankheit auf einem Esel durch Borgo San Sepolcro, einen sehr bevölkerten Ort, ritt, kamen ihm aus Verehrung die Volksscharen entgegen und umdrängten ihn. Man zog ihn, hielt ihn fest, stieß ihn und berührte ihn immer wieder, er aber schien für all dies gefühllos zu sein und spürte wie ein entseelter Körper nichts von dem, was sich um ihn tat. Schon lag der Ort hinter ihm, und er hatte auch die Scharen zurückgelassen, da kam er an ein Aussätzigenheim. Wie aus einer andern Welt kam er jetzt aus der Beschauung himmlischer Dinge zu sich und fragte voll Besorgnis, wann man denn endlich nach Borgo käme. So sehr war sein Geist vom himmlischen Licht ergriffen, daß er die verschiedenen Orte, Zeiten und begegnen den Personen überhaupt nicht wahrnahm. Aus vielfacher Erfahrung haben seine Gefährten bestätigt, daß ihm dies mehrfach geschehen ist.

3. 
Beim Beten war ihm die Erkenntnis gekommen, die ersehnte Gegenwart des Heiligen Geistes biete sich dem Beter desto häufiger, je mehr sich der Mensch vom Getriebe der Welt fernhalte. Darum suchte er einsame Orte auf und ging nachts gern in die Einöde und in verlassene Kirchen, um hier zu beten. Dort hatte er oft furchtbare Kämpfe mit bösen Geistern zu bestehen, die ihn tätlich angriffen und in seinem eifrigen Beten zu stören suchten. Er schützte sich jedoch durch die Waffen des Himmels; je heftiger ihn der Feind angriff, desto stärker wurde seine Kraft und desto inniger sein Gebet, indem er voll Vertrauen zu Christus sagte: "Birg mich in deiner Flügel Schatten vor den Frevlern, die mich hart bedrängen!" Zu den Dämonen aber sagte er: "Macht mit mir, was ihr wollt, ihr bösen und verlogenen Geister! Denn ihr vermögt ja doch nur so viel, als Gottes Hand euch gestattet. Ich aber will mit großer Freude alle Plagen erdulden, die Gott für mich bestimmt hat." Eine solch standhafte Gesinnung konnten die bösen Geister jedoch nicht ertragen und ließen von ihm ab.

4. 
Der Mann Gottes blieb aber in der Einsamkeit und hatte seinen Frieden. Der Hain hallte wider von seinem Seufzen, der Boden war benetzt von seinen Tränen, mit seiner Hand schlug er an seine Brust, und er hielt Zwiesprache mit seinem Herrn, als befinde er sich in dessen geheimen Gemächern. Dort legte er vor seinem Richter Rechenschaft ab, dort flehte er zu seinem Vater, dort unterhielt er sich mit seinem Freunde, dort trat er' wie zuweilen die Brüder heimlich beobachten konnten, mit lauten Seufzern beim gütigen Gott als Fürsprecher für die Sünder ein und beweinte mit lauten Klagen das Leiden des Herrn, als könne er es miterleben. Dort sah man ihn in der Nacht beten, wobei er die Hände in Kreuzesform ausbreitete; sein ganzer Körper war über die Erde erhoben und von einer hellen Wolke umgeben. Dabei legte der strahlende Glanz seines Leibes für die wundersame Erleuchtung seines Geistes Zeugnis ab. Wie sichere Anzeichen künden, erschlossen sich ihm dort auch unbekannte und verborgene Geheimnisse der göttlichen Weisheit; doch sprach er zu den andern nur dann davon, wenn die Liebe Christi ihn dazu drängte oder der geistliche Nutzen des Nächsten es erheischte. "Für einen geringen Preis" pflegte er so nämlich zu sagen, "kann man ein unschätzbares Gut verlieren und den Geber veranlassen, nicht so schnell ein zweites Mal seine Gabe auszuteilen." Wenn er von seinem stillen Gebet, das ihn gleichsam zu einem andern Menschen umwandelte, zurückkam, gab er sich alle Mühe' sich den übrigen anzupassen, damit nicht, was außen als besondere Gunst erschien, des inneren Lohnes entbehrte. Wurde er plötzlich in der Öffentlichkeit ergriffen und vom Herrn heimgesucht, wußte er immer etwas zwischen sich und die Umstehenden zu stellen, damit sein vertrauter Umgang mit dem Bräutigam nicht der Öffentlichkeit bekannt werde. Wenn er mit den Brüdern betete, mied er gänzlich Verwünschungen, Seufzen, tiefes Atemholen und äußeres Mienenspiel, sei es, weil er sein Herzensgeheimnis gern verbergen wollte oder weil er ganz in sich gekehrt und in Gott versunken war. Oft sagte er seinen Vertrauten folgende Worte: "Wenn ein Knecht Gottes beim Gebete von Gott heimgesucht wird, soll er sprechen: ,Herr, du hast mir unwürdigem Sünder diesen Trost vom Himmel gesandt. Ich will ihn deinem Schutze anvertrauen, denn ich bin ein Räuber deines Gutes, wie ich wohl weiß'. Wenn er aber vom Gebete kommt, soll er sich den andern als armseligen Sünder zeigen, als hätte er von Gott keine neue Gnade erlangt."

5. 
Einmal betete der Gottesmann in der Niederlassung zu Portiunkula. Da kam zufällig der Bischof von Assisi um ihn, wie er es gern tat, zu besuchen. Dort angekommen, ging er allzu vertraut sogleich zu jener Zelle, wo der Diener Christi gerade betete, klopfte an und schickte sich an einzutreten. Während er aber den Kopf in die Zelle hineinsteckte und den Heiligen beten sah, überkam ihn ein plötzlicher Schrecken, seine Glieder wurden starr, er verlor die Sprache und fuhr sogleich weit zurück. Erschrocken eilte der Bischof, so schnell er konnte, zu den Brüdern, und als Gott ihm die Sprache wiedergegeben hatte, bekannte er sogleich seine Schuld. Einmal begegnete der Diener Christi zufällig dem Abt des Klosters San Giustino im Bistum Perugia. Bei seinem Anblick stieg der fromme Abt schnell von seinem Pferd, um dem Gottesmann seine Verehrung zu bezeigen und sich mit ihm ein wenig über das Heil seiner Seele zu unterhalten. Nach dem Gespräch bat der Abt ihn beim Weggehen voll Demut um sein Gebet. Der Gottesfreund antwortete ihm: "Gern will ich für dich beten." Als der Abt sich noch nicht weit entfernt hatte, sagte Franziskus in seiner Gewissenhaftigkeit zu seinem Gefährten: "Warte ein wenig, Bruder, ich will mein Versprechen, das ich gegeben habe, einlösen." Während er aber betete, fühlte der Abt im Geiste plötzlich eine ungewöhnliche Wärme und eine bisher unbekannte Wonne; er geriet in Verzückung des Geistes und wurde von sich weg in Gott entrückt. Er hielt eine Weile inne. Als er wieder zu sich gekommen war, erkannte er, welche Kraft das Gebet des heiligen Franziskus besaß. Daher war er dem Orden in noch größerer Liebe zugetan und erzählte vielen dies Ereignis als ein Wunder.

6. 
Das kirchliche Stundengebet pflegte der Heilige mit ebenso großer Ehrfurcht wie Andacht dem Herrn darzubringen. Denn obschon er an Augen, Magen, Milz und Leber krankte, wollte er sich dennoch nicht beim Psallieren an die Mauer oder Wand anlehnen; vielmehr verrichtete er seine Gebetsstunden stets aufrecht stehend und mit zurückgeschlagener Kapuze, ohne mit den Augen umherzuschweifen und ohne irgendwie Silben zu verschlucken. War er auf Reisen, so machte er dann halt; diese heilige ehrfürchtige Gewohnheit unterließ er auch bei strömendem Regen nicht. Er pflegte nämlich zu sagen: "Wenn der Leib seine Nahrung in Ruhe zu sich nimmt, obwohl er mit ihr einmal den Würmern zum Fraße dient, mit welchem Frieden und welcher Ruhe muß dann die Seele die Nahrung des Lebens zu sich nehmen?" Er erachtete es als schwere Verfehlung, wenn er einmal beim Gebet sein Herz eitlen Phantasiebildern nachgehen ließ. Widerfuhr es ihm dennoch zuweilen, beichtete er recht bald, um seine Verfehlung sogleich zu sühnen. Diese Gewohnheit war ihm so zur zweiten Natur geworden, daß er nur selten unter solchen "Fliegen" zu leiden hatte. Einst hatte er in der vierzigtägigen Fastenzeit ein Gefäß gemacht, um auch die kleinsten Augenblicke nicht ungenützt zu lassen. Weil es ihm aber beim Beten der Terz ins Gedächtnis kam und seinen Geist kurze Zeit abgelenkt hatte, verbrannte er in heiligem Eifer das Gefäß mit den Worten: "Dem Herrn will ich es opfern, dessen Opfer es gestört hat." Beim Beten der Psalmen waren sein Geist und sein Herz so bei der Andacht, als schaute er den Herrn gegenwärtig. Kam in ihnen der Name des Herrn vor, dann schien er vor Wonne und Köstlichkeit die Lippen zu lecken. Den Namen des Herrn wollte er besonders geachtet wissen, nicht allein, wenn man daran dachte, sondern auch wenn man ihn aussprach oder geschrieben fand. Darum riet er einst seinen Brüdern, sie sollten, wenn sie irgendwo beschriebene Zettel fänden, diese auflesen und sie an einen sauberen Ort bringen, damit nicht der heilige Name, wenn er sich vielleicht darauf finde, mit Füßen getreten werde. Wenn er den Namen Jesu aussprach oder hörte, erfüllte Jubel sein Herz. Dann schien er äußerlich ein anderer zu sein, als ob ein köstlicher Wohlgeschmack seinen Mund oder eine wundersame Melodie sein Ohr berührt hätte.

7. 
Drei Jahre vor seinem Heimgang beschloß er, bei dem Flecken Greccio das Fest der Geburt des Jesuskindes mit aller Feierlichkeit zu begehen, um die Andacht zu ihm neu zu beleben. Damit man ihm diese Feier aber nicht als Neuerung auslege, erbat er sich vom Papste die Erlaubnis dazu und erlangte sie auch. Dann ließ er eine Krippe herrichten, Heu herbeibringen und Ochs und Esel dorthin führen. Er rief seine Brüder herbei, das Volk strömte herzu, und der Wald hallte wider von ihren Gesängen. Jene denkwürdige Nacht wurde durch den Lichtschein der vielen Fackeln und den einmütigen Gesang der Loblieder zum strahlenden Festtag. Der Gottesmann stand voll heiliger Andacht bei der Krippe, war zu Tränen gerührt und selig vor Freude. An der Krippe wurde ein feierliches Hochamt gefeiert, und der Diakon Christi Franziskus sang das heilige Evangelium. Dann predigte er dem umstehenden Volke von der Geburt des armen Königs; wenn er dessen Namen aussprechen wollte, nannte er ihn aus zärtlicher Liebe das Kind von Bethlehem. Ein untadeliger und glaubwürdiger Ritter, der Herr Johannes von Greccio, der um der Liebe Christi willen dem irdischen Ritterdienst entsagt hatte und dem Gottesmann in herzlicher Freundschaft verbunden war, versicherte, er habe in der Krippe ein überaus schönes Kind liegen sehen, das schlief; der selige Vater Franziskus habe es in seine Arme geschlossen und aus dem Schlafe geweckt. Dieses Gesicht des frommen Ritters bezeugt die Heiligkeit dessen, der es sah, als glaubwürdig, doch auch das geschaute Gesicht bestätigt dies, und spätere Wunder haben es bekräftigt. Denn das Beispiel des Franziskus, das die Welt sah, weckte die Herzen der Menschen auf, die im Glauben an Christus erkaltet waren, und das Heu aus der Krippe, das vom Volk aufbewahrt wurde, brachte dem kranken Vieh wunderbare Genesung und hielt andere schlimme Seuchen von ihm fern. So hat Gott durch all dies seinen Diener verherrlicht, indem er die Macht seines heiligen Gebetes durch offenkundige Wunderzeichen sichtbar machte.

XI. Kapitel 
Sein Verständnis der Heiligen Schrift und sein Prophetengeist


1. 
Der unermüdliche Gebetseifer, verbunden mit ständiger Tugendübung, hatte den Gottesmann zu solcher Geistesklarheit geführt, daß er, erleuchtet von den Strahlen des ewigen Lichtes, das Verborgene der Heiligen Schrift mit seltener Geistesschärfe ans Licht brachte, obwohl er keine Kenntnisse in der Heiligen Schrift durch Unterricht erworben hatte. Denn sein Geist war von aller Befleckung rein geblieben und drang deshalb in die verborgensten Geheimnisse ein. Was sich nämlich der Schulweisheit entzieht, zu dem fand sein liebendes Herz einen Zugang. Bisweilen las er in den heiligen Büchern. Was dabei sein Geist einmal erfaßt hatte, prägte er für immer seinem Gedächtnis ein; denn nicht ohne Nutzen erfaßte er mit dem aufmerksamen Ohr des Geistes, was er immer wieder mit liebendem Eifer überdachte. Fragten ihn zuweilen die Brüder, ob jene, die als Gebildete in den Orden eingetreten seien, mit seiner Zustimmung sich dem Studium der Heiligen Schrift widmen sollten, so gab er zur Antwort: "Dies will ich schon, sofern sie nach dem Beispiel Christi, der nach dem Zeugnis der Schrift mehr gebetet als gelesen hat, nicht die Liebe zum Gebet verlieren und nicht nur studieren, um zu wissen, was sie reden, sondern wie sie das Gehörte selbst tun und, wenn sie es selbst getan haben, auch andern zur Befolgung vor Augen halten." "Ich will", fuhr er fort, "daß meine Brüder Schüler des Evangeliums seien und so in der Erkenntnis der Wahrheit fortschreiten, daß sie in der reinen Einfalt wachsen und Taubeneinfalt mit Schlangenklugheit verbinden, die auch der hehre Meister in seinen heiligen Worten zusammen genannt hat.

2. 
Ein Ordensmann und Doktor der heiligen Theologie fragte ihn zu Siena nach einigen schwerverständlichen Fragen. Da erschloß der Heilige ihm mit so klaren Worten die Geheimnisse der göttlichen Weisheit, daß dieser Gelehrte mächtig erstaunt war und voll Bewunderung erklärte: "Wahrhaftig, die Gottesgelehrtheit dieses heiligen Vaters erhebt sich wie mit Schwingen der Reinheit und Beschauung zur Höhe und gleicht in ihrem Fluge dem Adler; unser Wissen dagegen kriecht auf dem Bauche über den Boden." Wenn er nämlich auch in der Rede unerfahren war, so löste er doch durch seine tiefe Weisheit manche dunkle Frage und brachte das Verborgene zum Lichte. Es ist nicht verwunderlich, wenn Gott dem Heiligen Verständnis der Heiligen Schrift verliehen hat, da er als vollkommener Nachfolger Christi die in ihr enthaltene Wahrheit in die Tat umsetzte und dank der vollkommenen Salbung durch den Heiligen Geist den Lehrer dieser Wahrheit selbst im Herzen trug.

3. 
Auch der Geist der Propheten ward an ihm so hell sichtbar, daß er Zukünftiges vorhersagte, Geheimnisse der Herzen durchschaute, ferne Ereignisse sah, als sei er zugegen, und sich durch ein Wunder Abwesenden gegenwärtig zeigte. Als das Christenheer nämlich Damiette belagerte, war auch der Gottesmann zugegen, ausgerüstet mit seinem Glauben, nicht mit Waffen. Da nun am Tage der Schlacht die Christen sich für den Kampf rüsteten und der Diener Christi dies hörte, seufzte er tief und sagte zu seinem Gefährten: "Wenn es zur geplanten Schlacht kommt, wird sie für die Christen nicht gut ausgehen, wie der Herr mir geoffenbart hat. Sage ich dies aber, dann wird man mich für einen Narren halten. Wenn ich jedoch schweige, belaste ich mein Gewissen. Was meinst du dazu?" Da antwortete ihm der Gefährte: "Bruder, achte das Urteil der Menschen über dich für gering; denn nicht erst seit heute hält man dich für töricht. Entlaste also dein Gewissen und fürchte Gott mehr als die Menschen!" Bei dieser Antwort sprang der Herold Christi auf, redete mit heilsamen Mahnungen auf die Christen ein, untersagte ihnen die Schlacht und kündete ihre Niederlage an. Doch die Wahrheit wurde zum Gespött. Sie verhärteten ihre Herzen und wollten nicht umkehren. Man brach auf, es kam zur Schlacht, und man kämpfte, aber das ganze Christenheer wandte sich zur Flucht, und der Ausgang der Schlacht brachte ihnen Schmach und nicht Sieg. Diese furchtbare Niederlage schlug die Christen so, daß ungefähr sechstausend an Toten und Gefangenen verlorengingen. So wurde ganz klar, daß man die Weisheit dieses Armen nicht verachten dürfe; denn das Wissen des gerechten Mannes pflegt dem Menschen manchmal besser Auskunft zu geben als sieben Wächter, die auf hoher Warte Ausschau halten.

4. 
Als er ein anderes Mal nach seiner Rückkehr aus dem Orient zur Predigt nach Celano kam, lud ihn ein Ritter aus frommem Verlangen inständig zu sich zum Mahle ein. Er kam also in das Haus des Ritters, und die ganze Familie war überglücklich bei der Ankunft der armen Gäste. Ehe sie zu essen begannen, brachte der fromme Vater, wie er es gewohnt war, sein Gebet und Lob Gott dar; dabei stand er da und richtete seine Augen gen Himmel. Nach dem Gebete rief er liebevoll seinen guten Gastgeber beiseite und sagte zu ihm: "Sieh, Bruder Gastgeber, auf deine Bitten bin ich in dein Haus gekommen, um dort zu speisen. Folge du nun unverzüglich meiner Mahnung, denn du wirst nicht hier, sondern anderswo speisen! Bekenne in aufrichtigem Reueschmerz deine Sünden und offenbare alles in einem aufrichtigen Bekenntnis! Noch heute wird nämlich der Herr dir vergelten, weil du seine Armen mit solcher Ehrfurcht aufgenommen hast." Sogleich gehorchte jener Mann den Worten des Heiligen und bekannte einem von dessen Gefährten alle seine Sünden. Er bestellte sein Haus und bereitete sich, so gut er konnte, auf den Tod vor. Schließlich gingen sie zu Tisch. Während die übrigen zu essen begannen, hauchte der Gastgeber unerwartet seine Seele aus und verschied gemäß der Voraussage des Gottesmannes eines plötzlichen Todes. So empfing er nach dem Wort der ewigen Wahrheit dank seiner Gastfreundschaft und seinem Erbarmen den Lohn des Propheten, weil er einen Propheten aufgenommen hatte. Denn auf die Prophezeiung des Heiligen hin hat sich jener fromme Ritter auf seinen unerwarteten Tod vorbereitet; mit der Rüstung der Reue geschützt, entging er der ewigen Verdammnis und trat ein in die ewigen Wohnungen.

5. 
Als der Heilige zu Rieti krank dalag, war auch ein Pfründner namens Gedeon, ein ausschweifender und weltlich gesinnter Kleriker, in schwere Krankheit gefallen. Da er zu Bette lag, ließ er sich zum Heiligen tragen und bat ihn mit den Umstehenden unter Tränen, er möge ihn mit dem Kreuzzeichen segnen. Doch der Heilige entgegnete ihm: "Einst hast du nach den Gelüsten des Fleisches gelebt und Gottes Gerichte nicht gescheut. Wie kann ich dich da mit dem Kreuze segnen? Wegen der frommen Bitten deiner Fürsprecher will ich dich aber dennoch mit dem Kreuzzeichen im Namen des Herrn segnen. Das eine aber sollst du wissen: Wenn du zu dem zurückkehrst, was du ausgespien hast, wirst du noch Schlimmeres erleiden. Denn wegen der Sünde der Undankbarkeit werden Strafen folgen, die schlimmer sind als die ersten." Sobald als der Heilige das Kreuzzeichen über ihn gemacht hatte, erhob sich der, der vorher gelähmt daniedergelegen hatte, gesund von seinem Lager und brach zum Lobe Gottes in die Worte aus: "Ich bin geheilt." Viele hörten seine Hüftknochen krachen, wie wenn man mit der Hand dürres Holz bricht. Nach kurzer Zeit jedoch vergaß er Gott und gab sich wieder der Unzucht hin. Als er also eines Abends bei einem Kanoniker gespeist hatte und dort in der Nacht schlief, stürzte über allen das Dach des Hauses zusammen. Während aber alle andern mit dem Leben davonkamen, wurde jener Elende allein verschüttet und fand den Tod. Nach Gottes gerechtem Richterspruch wurden die letzten Dinge dieses Menschen wegen seiner Sünde des Undankes und seiner Verachtung Gottes schlimmer als die ersten. Denn es geziemt sich, für die erlangte Verzeihung dankbar zu sein, weshalb ein Rückfall in das Laster doppelten Abscheu verdient.

6. 
Ein anderes Mal kam eine adelige fromme Frau zum Heiligen, um ihm ihr Leid zu klagen und um Hilfe zu bitten. Sie hatte nämlich einen sehr grausamen Mann, der sie daran hinderte, Christus zu dienen. Darum bat sie den Heiligen, er möge für ihn beten, daß Gott in seiner Güte sein Herz milde stimme. Als er ihre Bitte vernahm, sagte er ihr: "Geh in Frieden und in der festen Zuversicht, daß du demnächst an deinem Mann eine große Freude erlebst!" Er fügte noch hinzu: "Sag ihm in Gottes und meinem Namen, jetzt sei noch die Zeit der Barmherzigkeit, dann die der Gerechtigkeit." Mit seinem Segen ging die Frau heim, traf ihren Mann und berichtete ihm, was der Heilige ihr aufgetragen hatte. Da kam der Heilige Geist über ihn und verwandelte ihn aus dem alten in den neuen Menschen; er ließ ihn in aller Sanftmut antworten: "Herrin, wir wollen dem Herrn dienen und unsere Seelen retten." Auf den Rat seiner heiligen Gattin führten beide mehrere Jahre hindurch ein enthaltsames Leben und gingen beide am gleichen Tag zum Herrn ein. Gewiß müssen wir an dem Gottesmann den machtvollen Prophetengeist bewundern; in ihm schenkte er den gelähmten Gliedern ihre Kraft zurück und führte verhärtete Herzen zur Frömmigkeit. Nicht minder erstaunenswert ist indes sein klarer Geist, der zukünftige Dinge vorherwußte. So durchschaute er auch die Geheimnisse der Menschenherzen, als ob er wie ein zweiter Elisäus den zweifachen Geist des Elias empfangen hätte.

7. 
Als er nämlich eines Tages zu Siena einem befreundeten Manne voraussagte, was am Ende über ihn kommen werde, hörte der Theologieprofessor, der sich nach dem oben erwähnten Bericht zuweilen mit ihm über die Heilige Schrift unterhielt, davon. Im Zweifel, ob der Heilige alles wirklich vorausgesagt habe, was ihm jener Mann erzählt hatte, fragte er den Heiligen selbst. Dieser bestätigte ihm, er habe es wirklich vorhergesagt. Zugleich prophezeite er dem, der nach dem Los des andern gefragt hatte, sein eigenes Ende. Um seinen Worten tieferen Glauben zu sichern, offenbarte er ihm auch einen geheimen Herzenszweifel, über den dieser Mann noch zu keinem andern ein Sterbenswörtchen gesagt hatte, und löste ihn, indem er ihm einen heilsamen Rat erteilte. Zur Beglaubigung dieser Vorhersage endete jener Ordensmann schließlich so, wie es ihm der Diener Christi vorhergesagt hatte.

8. 
In der Zeit, da der Heilige von seiner Fahrt über das Meer zurückkehrte, begleitete ihn auch ein Bruder namens Leonhard von Assisi. Ermüdet und kränklich ritt Franziskus nun ein Stück Wegs auf einem Esel. Der Gefährte folgte ihm und war selbst nicht wenig ermüdet. In echt menschlicher Weise kam ihm darum der Gedanke: "Seine und meine Eltern würden nicht schnell mitsammen gespielt haben. Nun reitet er, und ich kann zu Fuß seinen Esel führen." Da er noch so bei sich dachte, sprang der Heilige bereits vom Esel und sagte: "Bruder, es schickt sich nicht, daß ich reite und du zu Fuß gehst, denn in der Welt warst du angesehener und mächtiger als ich." Da erschrak der Bruder heftig und errötete, weil er sich ertappt fühlte, warf sich Franziskus zu Füßen, bekannte unter Tränen seine geheimen Gedanken und bat um Verzeihung.

9. 
Einem anderen Bruder, der Gott und dem Diener Christi fromm ergeben war, kam häufig der Gedanke, wen der Heilige besonders liebe, sei auch Gottes Gnade würdig, wen er aber als Fremden behandele, der zähle auch nicht zu Gottes Auserwählten. Da aber solche Grübeleien den Bruder häufig quälten, er des Heiligen Freundschaft sehnlichst wünschte, niemandem aber seine geheimen Gedanken anvertraute, rief der gute Vater ihn eines Tages zu sich und sprach zu ihm: "Mein Sohn, quäl dich nicht mit solchen Gedanken, denn du bist mir unter denen, die mir besonders lieb sind, am liebsten; gern schenke ich dir meine Freundschaft und Liebe." Der Bruder wunderte sich darüber sehr, und seine Frömmigkeit wuchs noch mehr, denn seine Liebe zum Heiligen nahm zu, und der Heilige Geist beschenkte ihn mit reicheren Gnadengaben. Als er sich einmal auf dem Berg La Verna als Einsiedler in einer Zelle aufhielt, wünschte einer seiner Gefährten sehnlichst, der Heilige möge ihm einige wenige Worte des Herrn mit eigener Hand aufschreiben. Er litt nämlich unter einer schweren, quälenden Versuchung - nicht des Fleisches, sondern des Geistes - und hoffte, sie dadurch zu überwinden oder wenigstens leichter zu ertragen. Obwohl dies Verlangen ihm keine Ruhe ließ, war er doch in Verlegenheit; denn er schämte sich sehr und wagte nicht, dem verehrten Vater alles zu offenbaren. Was jedoch der Mensch dem Heiligen nicht sagen wollte, das kündete ihm der Heilige Geist. Er hieß den erwähnten Bruder Papier und Tinte bringen und schrieb mit eigner Hand, wie der Bruder es gewünscht hatte, den "Lobpreis des Herrn" und am Ende den Segen für ihn. Dann sprach er: "Nimm dieses Blatt an dich und hebe es bis zu deinem Todestage sorgfältig auf!" Da nahm der Bruder das ersehnte Geschenk, und sogleich wich jegliche Versuchung von ihm. Dieses Blatt wurde aufgehoben und legte Zeugnis für das heilige Leben des Franziskus ab, da es später Wunder wirkte.

10. 
Da war ein Bruder, den, soviel man äußerlich sehen konnte, hohe Heiligkeit und ein außergewöhnlicher, wenn auch sonderbarer Lebenswandel auszeichnete. Er betete ohne Unterlaß und beobachtete ein so strenges Stillschweigen, daß er nicht mit Worten, sondern nur mit Zeichen beichtete. Da kam aber einmal der heilige Vater zu der Niederlassung, sah den Bruder und sprach mit den anderen Brüdern über ihn. Da alle über ihn des Lobes voll waren und ihn über die Maßen erhoben, antwortete der Gottesmann: "Hört auf, Brüder, und lobt an ihm nicht, was des Teufels Trug ist! Wisset nämlich, es handelt sich bei ihm um eine Teufelsversuchung und trügerische Verführung." Die Brüder vernahmen seine Worte voll Unwillen und hielten es für ausgeschlossen, daß sich hinter so vielen Zeichen von Vollkommenheit Verstellung und Täuschung verbergen könnten. Doch schon nach ein paar Tagen verließ der Bruder den Orden. Da ward allen offenkundig, wie der Heilige mit klaren Augen des Geistes seine geheimsten Gedanken durchschaut hatte. Genau so sagte er auch den Fall vieler, die zu stehen schienen, und die Bekehrung vieler Gottlosen zu Christus mit fester Sicherheit voraus. Er schien aus nächster Nähe den Spiegel des ewigen Lichtes zu schauen, in dessen wundersamem Glanz er im Geiste ferne Dinge, als seien sie zugegen, wie mit leiblichen Augen erblickte.

11. 
Einmal hielt nämlich sein Vikar Kapitel. Er aber betete in seiner Zelle und stand als Mittler zwischen Gott und den Brüdern. Unter dem Vorwand, er verteidige sich nur, wollte sich nun einer von ihnen nicht unter das Joch der klösterlichen Zucht beugen. Da der Heilige dies im Geiste schaute, rief er einen der Brüder zu sich und sagte ihm: "Bruder, ich sah den Teufel auf dem Rücken des Ungehorsamen sitzen und ihm den Hals zu halten. Und der die Zügel des Gehorsams nicht tragen will, folgt blind den Zügeln, wie dieser Reiter ihn lenkt. Als ich für den Bruder zu Gott betete, wich der Teufel sofort beschämt von ihm. Geh also zu dem Bruder und sag ihm, er möge unverzüglich seinen Nacken unter das Joch des heiligen Gehorsams beugen!" Durch diesen Boten gemahnt, bekehrte sich der Bruder sogleich zu Gott und warf sich demütig dem Vikar zu Füßen.

12. 
Ein anderes Mal kamen zwei Brüder von weit her zur Einsiedelei von Greccio, um den Gottesmann zu sehen und seinen Segen, nach dem sie sich schon lange gesehnt hatten, zu empfangen. Als sie ihn bei ihrer Ankunft nicht trafen, weil er sich schon aus der Gemeinschaft in seine Zelle zurückgezogen hatte, waren sie sehr traurig und gingen wieder fort. Siehe, da kam Franziskus, der auf menschliche Weise weder ihr Kommen noch ihr Weggehen bemerkt haben konnte, gegen seine Gewohnheit aus seiner Zelle, rief nach ihnen und erteilte ihnen im Namen Christi mit dem Kreuzzeichen seinen Segen, wie sie es gewünscht hatten.

13. 
Einmal kamen zwei Brüder aus Terra di Lavoro, von denen der ältere dem jüngeren öfters Ärgernis gegeben hatte. Als sie bei ihrem Vater ankamen, fragte er den jüngeren, wie sich der Gefährte unterwegs betragen habe, und erhielt die Antwort: "Ach, ziemlich gut." Doch der Heilige erwiderte: "Gib acht, Bruder, daß du nicht unter dem Schein der Demut lügst. Ich weiß nämlich alles. Doch warte ein wenig, und du wirst es sehen'" Da wunderte sich der Bruder sehr darüber, daß Franziskus im Geiste geschaut, was sich in der Ferne zugetragen hatte. Nach wenigen Tagen legte nun jener, der dem Bruder Ärgernis gegeben hatte, das Ordenskleid ab und ging fort, ohne den Ordensvater um Verzeihung gebeten und zur Besserung die gebührende Sühne erlangt zu haben. Sein Fall machte ein Zweifaches sichtbar, wie gerecht Gottes Urteilsspruch ist und daß der prophetische Geist des Franziskus alles durchschaute.

14. 
Aus unserem Bericht dürfte klar geworden sein, wie er seinen fernen Brüdern durch Gottes Macht erschienen ist. Denken wir nur daran, wie er auf feurigem Wagen verklärt, obwohl er anderswo war, den Brüdern erschien und wie er sich auf dem Kapitel zu Arles in Kreuzesgestalt zeigte. Nach unserer Überzeugung erschien er auf Anordnung Gottes dem Leibe nach gegenwärtig, um in wunderbarer Weise sichtbar zu machen, wie sehr seinem Geiste das Licht der Weisheit zugänglich und nahe war; denn die Weisheit ist beweglicher als jede Bewegung. Sie durchdringt alles ob ihrer Reinheit. Von Geschlecht zu Geschlecht in heilige Seelen einziehend, bereitet sie Freunde Gottes und Propheten. Der Lehrer im Himmel pflegt nämlich seine Geheimnisse gerade den Einfältigen und Kleinen zu offenbaren. Das sehen wir zunächst an dem großen Propheten David, dann an dem Apostelfürsten Petrus und schließlich an Franziskus, dem Armen Christi. Obwohl sie alle einfältig und ohne wissenschaftliche Bildung waren, wurden sie dank der Unterweisung durch den Heiligen Geist große Männer. David, der einst Hirte gewesen, sollte die Herde der Synagoge, die Gott aus Agypten herausgeführt hatte, weiden; Petrus, der einst Fischer gewesen, sollte das Netz der Kirche mit der Schar der Gläubigen füllen; Franziskus aber, der einst Kaufmann gewesen, sollte um Christi willen alles verkaufen und weggeben, um die Perle des Lebens nach dem Evangelium zu erwerben.

XII. Kapitel 
Seine machtvolle Predigt und seine Gabe der Krankenheilung

1. 
Christi getreuer Diener und Knecht Franziskus übte vornehmlich jene Tugenden, die er auf Eingebung des Heiligen Geistes als Gott besonders wohlgefällig erkannt hatte; er tat dies, um in allem möglichst getreu und vollkommen zu handeln. Daher geriet er in eine große Gewissensnot, die er seinen vertrauten Gefährten zur Entscheidung vorlegte, als er mehrere Tage später vom Gebet zu ihnen zurückkehrte. "Brüder, was ratet ihr mir", sagte er, "was erscheint euch lobenswerter? Soll ich nur dem Gebete leben oder als Prediger umherziehen? Ich bin zwar ein geringer, einfältiger und redeunkundiger Mann" und habe mehr die Gnade des Betens als die Gabe des Redens empfangen. Im Gebete gewinnt und sammelt man nach meiner Meinung reiche Gnaden, bei der Predigt jedoch teilt man solche Himmelsgaben aus. Das Gebet reinigt sodann die Kräfte der Seele, eint sie mit dem einen, wahren und höchsten Gut und macht stark in der Tugend, die Predigt aber macht die Füße des Geistes staubig, bringt vielfache Zerstreuung und Lockerung der Zucht mit sich. Endlich sprechen wir im Gebet mit Gott, hören seine Stimme, führen gleichsam das Leben der Engel und weilen bei den Engeln; bei der Predigt aber muß man in vielfacher Hinsicht zu den Menschen herabsteigen, nach Menschenart unter ihnen leben, menschliche Dinge denken, sehen, sprechen und hören. Eins steht dem entgegen und wiegt meines Erachtens vor Gott alle diese Gründe auf, nämlich, daß der eingeborene Sohn Gottes, die höchste Weisheit, um des Heiles der Seelen willen aus dem Schoße des Vaters auf die Erde herabstieg, um durch sein Beispiel die Welt zu unterweisen und das Wort des Heiles zu den Menschen zu sprechen; er hat sie um den Preis seines heiligen Blutes erkauft, im Bad des Wassers gereinigt und mit seinem Kelch genährt, indem er nichts für sich behielt, was er nicht selbstlos zu unserm Heile hingegeben hätte. Wir aber müssen alles genau nach dem Abbild machen, das wir in ihm wie auf einem hohen Berge schauen; darum scheint es mir Gott wohlgefälliger zu sein, wenn ich die Gebetsruhe unterbreche und in die Welt gehe, um dort tätig zu sein." Da er mit seinen Brüdern schon mehrere Tage hindurch Gespräche solcher Art geführt hatte, bekam er dennoch keine Sicherheit, welche von beiden Lebensweisen Christus wohlgefälliger sei und er darum wählen müsse. Wenn er auch durch seinen Prophetengeist wundersame Dinge erkannte, so konnte er doch in dieser Frage zu keiner endgültigen Klarheit gelangen. Denn Gottes Vorsehung lenkte es zum Besten, damit sie das Verdienst des Predigerlebens durch eine Entscheidung des Himmels kundtue und die Demut des Dieners Christi dabei wahre.

2. 
Als echter Minderbruder schämte er sich nicht, von Einfältigen selbst in minder wichtigen Dingen Rat zu erfragen, obwohl der höchste Meister ihn gar große Dinge gelehrt hatte. Mit besonderem Eifer suchte er zu erfahren, auf welchem Wege und in welcher Weise er Gott zu seinem Wohlgefallen vollkommener dienen könne. Dies war zeitlebens seine höchste Weisheit, dies sein höchstes Verlangen, Weise und Einfältige, Vollkommene und Unvollkommene, Kleine und Große um ihren Rat zu fragen, wie er zu höherer Tugend und zum Gipfel der Vollkommenheit gelangen könne. Daher rief er zwei seiner Brüder zu sich und sandte sie zu Bruder Silvester, der aus seinem Munde ein Kreuz hatte hervorgehen sehen und der damals auf dem Berge oberhalb Assisis in ständigem Gebete verweilte; er solle Gottes Antwort in seiner Gewissensfrage erforschen und sie ihm im Namen Gottes mitteilen. Den gleichen Auftrag gab er auch der heiligen Jungfrau Klara, sie möge mit den anderen Schwestern beten und durch eine besonders reine und einfältige Schwester, die unter ihrem Gehorsam stand, darüber den Willen des Herrn erforschen. Wie durch ein Wunder stimmten der ehrwürdige Priester und die gottgeweihte Jungfrau, denen der Heilige Geist Gottes Willen kundtat, darin überein, es gefalle Gott, daß er als Herold Christi zum Predigen ausziehe. Die Brüder kehrten also zurück und teilten ihm den Willen Gottes mit, wie er ihnen kundgegeben war. Sogleich stand Franziskus auf, umgürtete sich und machte sich unverzüglich auf den Weg. Er ging mit solchem Eifer daran, Gottes Auftrag zu erfüllen, und schritt so rüstig aus, als wäre die Hand des Herrn über ihn gekommen und als hätte er neue Kraft vom Himmel empfangen.

3. 
Als er sich Bevagna näherte, kam er an einen Ort, wo sich eine große Schar Vögel verschiedener Art niedergelassen hatte. Als der Heilige Gottes sie erblickte, ging er schnell auf sie zu und grüßte sie, als wären sie vernunftbegabte Geschöpfe. Alle schauten ihn an und wandten sich ihm zu. Dabei neigten jene, die in den Sträuchern saßen, als er sich ihnen näherte, ihre Köpfchen und schauten ihn in ungewohnter Weise an. Er kam bis zu ihnen heran und ermahnte sie alle eindringlich, auf das Wort Gottes zu hören, indem er sprach: "Meine Brüder Vögel! Voll Eifer sollt ihr euren Schöpfer loben, der euch euer Federkleid und Flügel zum Fliegen geschenkt hat. Er läßt euch in der reinen Luft leben und nimmt sich euer an, ohne daß ihr euch Sorgen zu machen braucht." Da er diese und ähnliche Worte zu ihnen sprach, zeigten die Vögel auf wunderbare Weise ihre Freude, reckten den Hals, spreizten ihre Flügel, öffneten ihren Schnabel und blickten ihn unverwandt an. In heller Begeisterung schritt er durch ihre Mitte und berührte sie mit seinem Habit, aber keines der Tiere wich von der Stelle. Schließlich spendete er ihnen durch das Kreuzzeichen den Segen, gab ihnen damit den Abschied, und sogleich flogen sie alle davon. Dies alles haben seine Gefährten beobachtet, die am Wege auf ihn warteten. Als der einfältige und reine Mann zu ihnen zurückkehrte, begann er sich der Nachlässigkeit zu zeihen, weil er bisher noch nicht den Vögeln gepredigt hatte.

4. 
Von dort aus zog er predigend durch die umliegenden Dörfer und kam zu einem Ort namens Alviano. Als dem versammelten Volk Schweigen geboten war, konnte man von dem Heiligen kaum ein Wort verstehen, weil Schwalben, die dort nisteten, mit ihrem Gezwitscher viel Lärm machten. Da redete der Gottesmann sie an, daß alle es hören konnten, und sprach: "Meine Schwestern Schwalben! Jetzt muß ich sprechen, denn bis jetzt habt ihr genug schwatzen können. Höret also Gottes Wort und seid still, bis des Herrn Rede zu Ende ist!" Als ob sie Verstand hätten, schwiegen sie sogleich und flogen von ihrem Ort nicht eher weg, bis die ganze Predigt beendet war. Alle aber, die dies miterlebt hatten, erfüllte Staunen, und sie priesen Gott. Die Kunde von diesem Wunder aber verbreitete sich allenthalben und erfüllte viele mit Verehrung für den Heiligen und förderte ihre gläubige Frömmigkeit. 

5. 
In der Stadt Parma widmete sich ein Student mit trefflichen Anlagen voll Eifer mitsamt seinen Kollegen dem Studium. Da ihn eine Schwalbe mit ihrem vorlauten Gezwitscher störte, sagte er zu seinen Gefährten: "Das ist eine von den Schwalben, die einst den Mann Gottes Franziskus bei der Predigt gestört haben, bis er ihnen Schweigen gebot." Zur Schwalbe gewandt, sagte er voller Glauben: "Im Namen des Gottesdieners Franziskus befehle ich dir, daß du sofort schweigst und zu mir kommst!" Kaum hörte die Schwalbe den Namen "Franziskus", da schwieg sie sofort, als hätte der Gottesmann sie unterwiesen, und flog dem Studenten in die Hand, als ob sie dort sich in guter Obhut wüßte. Der erstaunte Student aber gab sie gleich wieder frei und hörte künftig ihr Gezwitscher nicht mehr.

6. 
Ein anderes Mal predigte der Diener Gottes zu Gaeta am Meeresufer, und die Volksscharen drängten sich voll Verehrung an ihn heran, um ihn zu berühren. Da der Diener Christi solche Huldigungen des Volkes nicht liebte, sprang er allein in einen Kahn, der am Ufer angebunden war. Als ob der Kahn Verstand und eine innere Antriebskraft besitze, fuhr er vor den staunenden Augen aller eine Strecke weit vom Ufer weg, ohne daß jemand sich ans Ruder setzte. Als er aber ein Stück vom Land weg auf die hohe See hinausgefahren war, verharrte er unbeweglich auf den Wogen, solange der Heilige der am Ufer harrenden Menge predigte. Als aber die Menge, die seinen Worten gelauscht, das Wunder gesehen und seinen Segen empfangen hatte, fortging, ohne ihn weiter zu belästigen, da fuhr der Kahn aus eigenem Antrieb zum Ufer zurück. Wer möchte da noch verstockt und ungläubig sein und die Predigt des Franziskus verachten, wo seine Wundermacht die vernunftlosen Geschöpfe zwang, ihm gehorsam zu sein, und selbst die leblosen Dinge seiner Predigt dienten, als ob sie lebten?

7. 
Der Heilige Geist, der ihn gesalbt und gesandt hatte, wohin er auch gehe, und Christus, Gottes Kraft und Weisheit, waren nämlich mit ihrem Diener Franziskus; darum verfügte er über Worte voll rechter Lehre und glänzte durch Wunder voll erstaunlicher Gewalt. Sein Wort war nämlich wie loderndes Feuer, es drang bis in das Innerste der Menschen und erfüllte die Herzen aller mit Bewunderung; denn er bot ihnen nicht schöne Worte, wie sie menschliche Klugheit erfindet, sondern seine Rede zeigte, daß ihm Gottes Offenbarung zuteil geworden. Als er nämlich einmal vor dem Papst und den Kardinälen predigen sollte, hatte er auf Rat des Herrn von Ostia mit viel Mühe eine schöne Predigt ausgearbeitet und sie seinem Gedächtnis eingeprägt. Als er dann vor sie hintrat, um sie durch seine Predigt zu erbauen, hatte er alles vergessen, so daß er kein Wort hervorzubringen wußte. Er gestand dies dann auch offen ein und rief des Heiligen Geistes Gnade an. Dann strömten aus seinem Munde so machtvolle Worte, daß er die Gemüter dieser erlauchten Herren zur Einkehr zwang und allen klar ward, hier rede nicht er, sondern der Geist des Herrn.

8. 
Was er andern bei der Predigt empfahl, hatte er zuerst selbst geübt und sich vertraut gemacht. Darum fürchtete er auch keinen Tadel und verkündete mit voller Zuversicht die Wahrheit. Er verstand sich nicht darauf, die Fehler gewisser Menschen zu beschönigen, wohl aber zu geißeln, nicht das Leben der Sünder zu entschuldigen, sondern durch heftigen Tadel zu erschüttern. Mit gleichem Freimut redete er zu groß und klein und mit gleich freudiger Bereitschaft zu wenigen wie zu vielen. Jedes Alter und Geschlecht waren begierig, den neuen Menschen, den der Himmel gesandt hatte, zu sehen und zu hören. Er aber durchzog die verschiedensten Gegenden und verkündete voll Eifer die Frohbotschaft; der Herr indes wirkte mit ihm und bekräftigte sein Wort durch die Wunderzeichen, die es begleiteten.

Denn in seinem Namen trieb der Herold der Wahrheit Franziskus die Teufel aus, heilte die Kranken, und, was noch mehr bedeutet, die Gewalt seiner Worte bewog die verstockten Herzen zur Buße und verlieh ihnen zugleich Gesundheit für Leib und Seele. Einige seiner Taten, die wir im folgenden zur Erhärtung berichten, tun dies als Beispiele kund.

9. 
In der Stadt Toscanella nahm ihn ein Ritter aus Verehrung bei sich als Gast auf. Auf dessen inständige Bitten nahm er seinen von Geburt an gelähmten Sohn bei der Hand und machte ihn dadurch im Augenblick gesund; da konnten die Anwesenden miterleben, wie in alle Glieder seines Körpers Kraft kam. Der Junge aber, der gesund und kräftig geworden war, erhob sich sogleich, ging und sprang umher und lobte Gott. In der Stadt Narni bezeichnete er auf Bitten des Bischofs einen Gichtbrüchigen, der seine Glieder nicht mehr gebrauchen konnte, von Kopf bis zu den Füßen mit dem Kreuzzeichen und gab ihm die volle Gesundheit zurück. Im Bistum Rieti war ein Junge seit vier Jahren so angeschwollen, daß er seine eigenen Beine nicht mehr sehen konnte. Als die Mutter ihn unter Tränen dem Heiligen zeigte, wurde er im gleichen Augenblick, da der Heilige ihn mit seinen heiligen Händen anrührte, geheilt. Bei der Stadt Orte war ein Junge so verkrümmt, daß sein Kopf auf den Füßen lag und einige Knochen gebrochen waren. Als er auf Bitten der weinenden Eltern das Kreuzzeichen vom Heiligen empfangen hatte, streckte sich plötzlich sein Körper und war sogleich von dem Übel befreit.

10. 
In der Stadt Gubbio war eine Frau, deren beide Hände so gelähmt waren, daß sie nichts mit ihnen arbeiten konnte. Als der Heilige im Namen des Herrn das Kreuzzeichen über sie gemacht hatte, erlangte sie die volle Gesundheit. Sogleich eilte sie nach Hause und bereitete dort mit eigenen Händen, wie einst die Schwiegermutter des Simon, für ihn und die Armen ein Mahl.
In dem Städtchen Bevagna war ein Mädchen beiderseitig des Augenlichtes beraubt. Nachdem der Heilige im Namen der heiligsten Dreifaltigkeit dreimal dessen Augen mit seinem Speichel berührt hatte, erlangte es das ersehnte Augenlicht.

Eine Frau in der Stadt Narni war mit Blindheit der Augen geschlagen. Durch das Kreuzzeichen des Heiligen erlangte sie die Sehkraft ihrer Augen. Zu Bologna hatte ein Junge ein Auge mit einem Flecken so bedeckt, daß er auf diesem Auge nichts sehen und kein Heilmittel ihm helfen konnte. Als der Knecht des Herrn ihn vom Kopf bis zu den Füßen mit dem Kreuzzeichen gesegnet hatte, wurde dies Auge so klar, daß er später nach seinem Eintritt in den Minderbrüderorden erklärte, er sehe auf dem ehemals kranken Auge besser als auf dem andern, das immer gesund geblieben war. In dem Städtchen San Gemini nahm ein frommer Mann den Knecht Gottes gastlich bei sich auf. Dessen Frau wurde von einem bösen Geist geplagt. Als Franziskus gebetet hatte, befahl er dem Teufel kraft des Gehorsams, von ihr auszufahren. In der Kraft Gottes trieb er ihn so plötzlich aus, daß allen kund ward, der Macht des heiligen Gehorsams vermöge auch die Bosheit des Teufels nicht zu widerstehen. Zu Citta di Castello hatte ein rasender und schlimmer Geist eine Frau völlig in seiner Gewalt. Als der Heilige diesem im Gehorsam geboten hatte, fuhr er erbost von ihr aus und verließ die vordem an Leib und Seele besessene Frau.

11. 
Ein Bruder litt an einer so schrecklichen Krankheit, daß viele sie eher für eine Züchtigung des Teufels als für ein natürliches Leiden hielten. Denn er war ihr ganz verfallen und wälzte sich, mit Schaum vor dem Munde, am Boden. Bald waren die Glieder seines Körpers verkrampft, bald ausgestreckt, dann verschlungen und dann verdreht, bald waren sie starr und dann wieder steif. Zuweilen, wenn er ganz ausgestreckt und steif dalag, schnellte er mit Kopf und Füßen zugleich in die Luft und schlug dann schrecklich auf den Boden auf. Erfüllt von Erbarmen, hatte der Diener Christi Mitleid mit seiner schrecklichen, unheilbaren Krankheit und ließ ihm ein Stückchen von jenem Brot bringen, von dem er gerade aß. Der Genuß dieses Brotes gab dem Kranken solche Kraft, daß er künftig keine Beschwerde durch diese Krankheit mehr verspürte. In der Grafschaft Arezzo lag eine Frau schon mehrere Tage in Geburtswehen und war dem Tode nahe. Man hatte sie bereits aufgegeben, und es gab kein anderes Heilmittel mehr für sie als Gottes Hilfe. Als der Diener Christi nun wegen seiner leiblichen Krankheit zu Pferde durch diese Gegend ritt, führte man das Tier auch durch jenes Dorf, in dem die Frau so schwer litt. Als die Leute des Ortes nun das Pferd erblickten, auf dem der Heilige gesessen hatte, zogen sie ihm das Zaumzeug ab, um es der Frau aufzulegen. Durch dessen wundertätige Berührung wich von der Frau jegliche Gefahr, und sie brachte ihr Kind sogleich heil zur Welt. Ein frommer, gottesfürchtiger Mann aus Citta della Pieve trug einen Strick bei sich, mit dem sich der heilige Vater umgürtet hatte. Als aber in dieser Stadt viele Männer und Frauen an verschiedenen Krankheiten litten, ging er in die Häuser der Kranken, tauchte den Strick in Wasser und gab den Leidenden davon zu trinken. Auf diese Weise wurden viele geheilt. Es aßen aber auch viele Kranke von dem Brot, das der Gottesmann berührt hatte, und erlangten dank der Macht Gottes schnell Heilung von ihren Leiden.

12. 
Da der Herold Christi bei seiner Predigt durch diese und andere Wunderzeichen erstrahlte, achtete man auf seine Worte, als redete ein Engel des Herrn. Das überragende Ausmaß seiner Tugenden, der Geist der Weissagung, seine Wunderkraft, der göttliche Auftrag zu predigen, der Gehorsam der vernunftlosen Geschöpfe, die plötzliche Umkehr der Menschen beim Anhören seiner Worte, seine alle Menschengelehrsamkeit übersteigende Unterweisung durch den Heiligen Geist, die auf himmlische Offenbarung erteilte Predigterlaubnis des Papstes, ferner seine von demselben Stellvertreter Christi bestätigte Ordensregel, worin die Predigtweise näher umschrieben ist, und endlich die Malzeichen des höchsten Königs, die wie ein Siegel seinem Leibe eingeprägt wurden: sie beweisen als zehn unbezweifelbare Zeugnisse der ganzen Welt: Der Herold Christi Franziskus ist wegen seiner Sendung verehrungswürdig, wegen seiner Lehre glaubwürdig, wegen seiner Heiligkeit bewundernswürdig und hat so als echter Sendbote Gottes das Evangelium Christi gepredigt:

XIII. Kapitel
Diel Heiligen Wundmale

1. 
Niemals vom Guten abzulassen, war dem engelgleichen Manne Franziskus zur lieben Gewohnheit geworden. Wie die Himmelsgeister stieg er vielmehr auf der Jakobsleiter zu Gott empor oder zum Nächsten hernieder. Denn er wußte die Zeit, die ihm zu verdienstlichen Werken geschenkt war, so klug einzuteilen, daß er einen Teil zur Mühe der Seelsorge an dem Nächsten, den andern aber auf die Ruhe gottergebener Beschauung verwandte. Wenn er darum, wie Ort und Zeit es geboten, sich dem Nächsten, um sein Heil zu fördern, zugewandt hatte, verließ er die ruhelose Menge bald wieder und suchte die Stille der Einsamkeit und einen ruhigen Ort auf, um dort frei für den Herrn zu leben und sich von dem Staub zu reinigen, der ihm vielleicht durch seinen Wandel unter den Menschen anhaftete. Zwei Jahre, ehe er seinen Geist dem Himmel zurückgab, führte ihn Gottes Vorsehung so nach mannigfachen Mühen abseits auf einen hohen Berg, der La Verna heißt. Nach seiner Gewohnheit begann er hier zu Ehren des heiligen Erzengels Michael eine vierzigtägige Fastenzeit. In reichlicherem Maße als sonst erfüllten ihn dort die Wonnen überirdischer Beschauung, und mächtiger erfaßte ihn die Feuersglut himmlischer Sehnsucht. Und er fühlte dabei, wie Gott reichlicher denn je seine Gnadengaben über ihn ausgoß. Er erhob sich zur Höhe, nicht um wie ein Neugieriger Gottes Majestät zu ergründen und von seiner Herrlichkeit erdrückt zu werden, sondern wie ein getreuer und, kluger Knecht wollte er den Willen Gottes erkunden, dem gleichförmig zu werden er auf diese Weise mit größtem Eifer verlangte.

2. 
Gottes Offenbarung gab ihm darum ein, Christus werde ihm beim Aufschlagen des Evangelienbuches zeigen, was Gott an ihm und durch ihn am wohlgefälligsten sei. Als er mit großer Inbrunst gebetet hatte, nahm er das heilige Evangelienbuch vom Altar und hieß einen Gefährten, einen gottgeweihten frommen Mann, es im Namen der heiligsten Dreifaltigkeit öffnen. Als er beim dreimaligen Aufschlagen stets auf den Leidensbericht des Herrn stieß, erkannte der von Gott erfüllte Mann, er müsse, bevor er aus dieser Welt scheide, Christus in der Bedrängnis und in dem schmerzvollen Leiden ähnlich werden, wie er ihn zeitlebens in seinem Handeln nachgeahmt hatte. Mochte er auch durch sein früheres strenges Leben und sein ständiges Tragen des Kreuzes Christi seinen Leib bereits geschwächt haben, so erschrak er doch keineswegs, sondern fühlte sich noch mächtiger angetrieben, das Martyrium auf sich zu nehmen. Denn die unüberwindliche Glut seiner Liebe zum guten Jesus hatte sich so zu einem ledernden Feuer und zur Flamme entfacht, daß noch so viele Wasserströme seine starke Liebe nicht auslöschen konnten.

3. 
Glühendes Verlangen trug ihn wie einen Seraph zu Gott empor, und inniges Mitleiden gestaltete ihn dem ähnlich, der aus übergroßer Liebe den Kreuzestod auf sich nahm. Als er nun eines Morgens um das Fest Kreuzerhöhung am Bergeshang betete, sah er einen Seraph mit sechs feurigen, leuchtenden Flügeln von des Himmels Höhen herabschweben. Da er in blitzschnellem Fluge dem Orte nahegekommen war, wo der Gottesmann betete, schaute Franziskus zwischen den Flügeln die Gestalt eines Gekreuzigten, dessen Hände und Füße zur Kreuzesgestalt ausgestreckt und ans Kreuz geheftet waren. Zwei Flügel waren über dem Haupte ausgespannt, zwei zum Fluge ausgebreitet, und zwei verhüllten den ganzen Körper. Bei diesem Anblick war Franziskus sehr bestürzt; Freude und Trauer zugleich erfüllten sein Herz. Die liebevolle Erscheinung, bei der er Christi Blick auf sich ruhen sah, durchströmte ihn mit Freude; doch der Anblick seines Kreuzleidens durchbohrte seine Seele mit dem Schwert schmerzlichen Mitleidens. Als er jene , geheimnisvolle Erscheinung hatte, wunderte er sich sehr, Wußte er doch, daß Leidensfähigkeit keineswegs mit der Unsterblichkeit eines Seraphs vereinbar sei. Schließlich erkannte er durch eine Offenbarung des Herrn, die göttliche Vorsehung lasse ihm deswegen diese Erscheinung zuteil werden, damit er schon jetzt wisse, nicht der Martertod des Leibes, sondern die Glut des Geistes müsse ihn als Freund Christi ganz zum Bild des gekreuzigten Christus umgestalten. Als sich das Gesicht seinen Augen entzogen hatte, blieb in seinem Herzen jenes wunderbare Feuer zurück, prägte aber auch seinem Leibe ein nicht minder wunderbares Bild der Wundmale ein. Sogleich wurden nämlich an seinen Händen und Füßen die Wundmale der Nägel sichtbar, wie er sie soeben an jenem Bild des Gekreuzigten geschaut hatte. Hände und Füße schienen in ihrer Mitte von Nägeln durchbohrt; ihr Kopf zeigte sich an den Handflächen und an den Risten der Füße, ihre Spitze aber an der Gegenseite. Die Nagelköpfe an Händen und Füßen waren rund und schwarz, ihre Spitzen länglich, etwas gebogen und gleichsam umgeschlagen; sie wuchsen aus dem Fleisch heraus und ragten darüber hinaus. An der rechten Seite klaffte eine rote Wunde, als wäre sie von einer Lanze durchstochen; aus ihr floß oft Blut hervor, so daß sein Habit und seine Hose davon benetzt wurden.

4. 
Der Diener Christi erkannte, daß die Wundmale seinem Leibe sichtbar so eingeprägt waren, daß er sie vor seinen vertrauten Gefährten nicht verbergen konnte, dennoch fürchtete er sich, das Geheimnis des Herrn zu offenbaren; darum quälten ihn bange Zweifel, ob er das, was er geschaut hatte, verkünden oder verschweigen solle. Deshalb rief er einige seiner Brüder zu sich, legte ihnen mit ganz allgemeinen Worten seinen Zweifel dar und bat sie um ihren Rat. Einer von ihnen, Illuminatus, der durch Gottes Gnade und seinem Namen nach ein Erleuchteter war, erkannte, daß Franziskus wunderbare Dinge geschaut hatte, weil er so verstört war. Er sprach darum zu ihm: "Bruder, wisse, daß Gott dich nicht nur deinet -, sondern auch deiner Mitmenschen wegen zuweilen göttliche Geheimnisse schauen läßt. Wenn du nun das, was du zu Nutz und Frommen vieler empfängst, geheimhältst, mußt du mit Recht fürchten, Gott werde dich einmal beim Gericht tadeln, daß du sein Talent vergraben hast". Obwohl er sonst zu sagen pflegte: "Mein Geheimnis gehört mir", so bewegte ihn doch das Wort dieses Bruders, und er erzählte mit großer Furcht den ganzen Hergang der erwähnten Erscheinung; er fügte aber hinzu, der ihm erschienen sei, habe einiges gesagt, was er zeitlebens keinem Menschen anvertrauen könne. Wir müssen daher wohl annehmen, jene Worte des Seraphs, der ihm auf wunderbare Weise am Kreuze erschien, seien so geheimnisvoll, daß sie auszusprechen keinem Menschen verstattet ist.

5. 
Als die wahre Liebe Christi also den Liebenden in dessen Bild umgestaltet hatte, vollendete er die vierzig Tage, wie er es geplant hatte, in der Einsamkeit. Da aber das Fest des Erzengels Michael kam, stieg der engelgleiche Mann Franziskus vom Berge herab. Er trug dabei das Bild des Gekreuzigten an sich, das nicht Künstlerhand auf Tafeln aus Stein oder Holz gemeißelt, sondern der Finger des lebendigen Gottes den Gliedern seines Leibes eingeprägt hatte. Da es aber gut ist, das Geheimnis des Königs zu wahren, verbarg er wie ein Mann, dem der König sein Geheimnis anvertraut hat, jene heiligen Wundmale, so gut er konnte. Da aber Gott die Großtaten, die er vollbringt, zu seiner Verherrlichung offenbart, ließ der Herr selbst, der ihm jene Malzeichen in der Verborgenheit eingedrückt hatte, durch sie einige Wunder in aller Öffentlichkeit geschehen; dadurch sollte die verborgene und staunenswerte Kraft der Wundmale in glänzenden Zeichen offenkundig werden.

6. 
In der Provinz Rieti wütete nun eine gar schlimme Pest, die Rinder und Schafe so erbarmungslos hinwegraffte, daß man mit keinem Heilmittel dagegen ankam. In einem nächtlichen Gesicht erhielt jetzt ein gottesfürchtiger Mann die Weisung, zur Einsiedelei der Brüder zu eilen und von dem Wasser, in dem sich der Diener Gottes Franziskus, der sich damals dort aufhielt, Hände und Füße gewaschen hatte, über alles Vieh auszusprengen. Er stand also morgens auf und ging dorthin. Ohne, daß der Heilige darum wußte, erhielt er von den Gefährten jenes Wasser und besprengte damit die kranken Schafe und Rinder. Welch ein Wunder! Kaum hatten nur wenige Wassertropfen die siechen und auf der Erde liegenden Tiere berührt, erlangten sie ihre frühere Kraft zurück, erhoben sich sogleich und eilten zur Weide, als ob die Seuche sie nie befallen hätte. So vertrieb die wunderbare Kraft jenes Wassers, das mit den heiligen Wundmalen in Berührung gekommen war, jene Seuche völlig und befreite das Vieh von jener verheerenden Pest.

7. 
Ehe der Heilige auf dem erwähnten Berg La Verna zu weilen pflegte, lagerte über dem Bergesgipfel oft eine Gewitterwolke, und ein gewaltiger Hagelschlag verwüstete dann gewöhnlich die Feldfrüchte. Nach jener beseligenden Erscheinung aber hörte zur Verwunderung der Bewohner jener Gegend der Hagel auf. Auf diese Weise offenbarte der Himmel selbst, der durch ein Wunder wieder heiter wurde, jene erhabene Erscheinung des Himmels und die Kraft der Wundmale, die Gott dem Franziskus auf dem Berge einprägte. Als er zur Winterszeit wegen seines kranken Körpers und der schlechten Wege auf dem Esel eines armen Mannes ritt, mußte er unter dem Schutz eines überhängenden Felsens übernachten und sich gegen die Unbill des Schnees und der hereinbrechenden Nacht schützen. So konnte er nicht zur Gaststätte gelangen. Als aber der Heilige merkte, wie jener Mann sich unter verhaltenen Klagen und Seufzern hin- und herwälzte und, weil er nur ein dünnes Gewand trug, bei der bitteren Kälte nicht schlafen konnte, streckte er, von der Glut der Gottesliebe erfüllt, seine Hand nach ihm aus und rührte ihn an. Gewiß war es ein Wunder! Denn kaum fühlte er sich von der Hand des Heiligen, die die glühende Kohle des Seraphs trug, angerührt, da spürte er keine Kälte mehr, und er empfand innerlich und äußerlich solche Wärme, als ob eine Feuersglut aus einem Ofen ihm entgegenstrahle. An Seele und Leib gestärkt, schlief er dort zwischen Felsen und Schnee bis zum Morgen besser, als er je in seinem eigenen Bett geschlafen hatte. Er selbst hat dies später bezeugt. Diese Zeichen tun sicher kund, daß die Macht Gottes, der durch das Wirken der Seraphim reinigt, erleuchtet und entflammt, jene heiligen Wundmale eingeprägt hat. Denn sie befreien von der Seuche und schenken Gesundheit, verleihen auf wunderbare Weise dem Leibe Wohlsein und Wärme. Noch augenfälligere Wunder haben dies auch nach seinem Tode erwiesen, wie wir bei späterer Gelegenheit berichten müssen.

8. 
Obwohl Franziskus ängstlich den im Acker gefundenen Schatz zu verbergen suchte, konnte er doch nicht verhüten, daß einige die Wundzeichen an Händen und Füßen sahen, wenn er auch seine Hände fast stets bedeckt hielt und von dieser Zeit an immer Schuhe trug. Mehrere Brüder schauten sie, da der Heilige noch lebte. Obschon diese Männer wegen ihrer außergewöhnlichen Heiligkeit allzeit unbedingten Glauben verdienten, haben sie doch, um jeden Zweifel auszuschließen, ihre Hand dafür auf das heilige Evangelium gelegt und eidlich versichert, daß es sich mit den Wundmalen so verhalte und daß sie diese so geschaut hätten. Auch einige Kardinäle haben sie aufgrund ihrer Freundschaft, die sie mit dem Heiligen verband, gesehen. Sie haben durch Wort und Schrift der Wahrheit Zeugnis gegeben und das Lob der heiligen Wundmale der Wahrheit entsprechend in Sequenzen, Hymnen und Antiphonen verkündet, die sie zu seiner Ehre verfaßt haben. Selbst Papst Alexander IV. hat in einer Predigt zum Volke, in Anwesenheit vieler Brüder und meiner selbst, versichert, er habe zu Lebzeiten des Heiligen jene heiligen Wunden mit eigenen Augen geschaut. Mehr als fünfzig Brüder, die gottgeweihte Jungfrau Klara und mit ihr die übrigen Schwestern und zahllose Weltleute haben sie nach seinem Tode gesehen. Wie wir noch an anderer Stelle7 berichten müssen, haben sehr viele von ihnen sie sogar in frommer Verehrung geküßt und mit ihren Händen berührt, um sich von der Wahrheit zu überzeugen. Seine Seitenwunde aber hat der Heilige so behutsam verborgen gehalten, daß nur einzelne sie während seines Lebens verstohlen sehen konnten. Ein Bruder nämlich, der ihn eifrig bediente und ihm mit frommer Schonung nahelegte, er möge seinen Habit ausziehen, damit er ihn ausschlagen könne, schaute aufmerksam hin und sah die Wunde; schnell legte er dabei drei Finger darauf und konnte so durch Hinschauen und Berühren die Größe der Wunde feststellen. Mit ähnlicher Behutsamkeit sah sie auch jener Bruder, der damals sein Vikar war. Sein Gefährte, ein Mann von bewunderswerter Einfalt, mußte ihm einmal während seiner Krankheit die schmerzenden Schultern abreiben und fuhr mit seiner Hand durch die Kapuze unter seinen Habit; ohne es zu wollen, berührte er dabei die heilige Wunde und bereitete ihm dadurch großen Schmerz. Aus diesem Grunde trug Franziskus von dieser Zeit an Hosen, die bis zu den Achseln reichten und die Seitenwunde bedeckten. Auch jene Brüder, die sie wuschen oder seinen Habit von Zeit zu Zeit ausschlugen, fanden sie von Blut gerötet; durch diesen sicheren Beweis erlangten sie eine Kenntnis von der heiligen Wunde, die keinen Zweifel zuließ. Nach seinem Tode schauten sie später die Wunde unverhüllt, da sie diese mit vielen andern betrachten und verehren konnten.

9. 
Wohlan, tapferer Ritter Christi, trage die Waffen deines unbesiegten Herzogs! Unter ihrem trefflichen Schutz wirst du alle Gegner niederringen. Trage das Banner des allerhöchsten Königs, dessen Anblick allen Streitern im Heere Gottes Mut verleiht! Trage ebenso das Siegel des Hohenpriesters Christus, um dessentwillen alle Menschen deine Worte und Taten als wahr und beglaubigt anerkennen, wie es billig ist! Allein schon wegen der Wundmale des Herrn Jesus, die du an deinem Leibe trägst, darf niemand dich schmähen; jeder Diener Christi soll dich vielmehr lieben und verehren. Diese sicheren Zeichen haben ja nicht nur die zwei oder drei notwendigen, sondern über Gebühr viele Zeugen als verbürgt bestätigt; in dir und durch dich ward Gottes verheißenes Wort verläßlich erfunden. Sie nehmen den Ungläubigen jeden Schein von Entschuldigung, bestärken die Gläubigen in ihrem Glauben, weisen sie in Vertrauen und Hoffnung nach oben und entflammen sie durch das Feuer der Liebe.

10. 
Schon ist das erste Gesicht erfüllt, das dir vor Augen stand, daß nämlich die Waffen Gottes und das Zeichen des Kreuzes dir als künftigem Herzog der Heerschar Christi Kennzeichen und Zier sein sollten. Der Anblick des Gekreuzigten, der gleich zu Anfang deiner Umkehr deine Seele mit dem Schwert des Mitleidens durchbohrte, und auch die erhabene Stimme vom Kreuze, die gleichsam vom Throne Christi und von der verborgenen Sühnestätte ausging, halte man für unverbrüchlich wahr, weil du es durch deinen heiligen Mund versichert hast. Auf dem Höhepunkt deines Lebens schaute Bruder Silvester, wie aus deinem Munde wunderbar ein Kreuz hervorkam. Der, heilige Bruder Pazifikus erblickte Schwerter, die in Form eines Kreuzes dein Innerstes verwundeten. In Kreuzesgestalt schwebtest du in der Luft, als Antonius über die Kreuzesinschrift predigte, wie der engelgleiche Bruder Monaldus gewahrte; man glaubte und bekannte aber, daß nicht Trugbilder, sondern eine Enthüllung durch Gott all dies schauen ließ. Gegen deines Lebens Ende sahst du schließlich in einer Erscheinung das erhabene Bild des Seraphs und die niedrige Gestalt des Gekreuzigten; zugleich entflammte sie deine Seele und bezeichnete sie deinen Leib als jenen zweiten Engel, der vom Aufgang der Sonne kommt. So trägst du an dir das Zeichen des lebendigen Gottes. Das gibt unserem Glauben Sicherheit über das Berichtete und verleiht ihm das Zeugnis der Wahrheit. Siehe, im Laufe der Zeit hat Gott auf wunderbare Weise an dir und in Verbindung mit dir sieben Erscheinungen des Kreuzes Christi dargeboten und gezeigt; so bist du gleichsam auf sechs Stufen zu dieser siebten gelangt, auf der du schließlich Ruhe finden solltest. Denn zu Beginn deiner Bekehrung hast du Christi Kreuz vor Augen gesehen und es auf dich genommen; von da an hast du es im Laufe deiner Erdentage in einem vorbildlichen Leben ständig an dir getragen und anderen als Beispiel vor Augen gestellt. Darum gewährt es uns die sichere Überzeugung, daß du schließlich den Gipfel evangelischer Vollkommenheit erreicht hast. Einen solchen Beweis christlicher Weisheit, der an deinem sterblichen Leibe sichtbar wurde, darf kein wirklich Frommer verwerfen, kein wirklich Gläubiger bestreiten, kein wirklich Demütiger verachten; denn Gott selbst hat ihn erbracht, und er ist aller Annahme wert.

XIV. Kapitel 
Seine Geduld und sein Heimgang im Tode

1. 
Franziskus, mit Christus dem Fleische und dem Geiste nach ans Kreuz geschlagen, erglühte nicht allein in seraphischer Liebe zu Gott, sondern dürstete auch mit Christus dem Gekreuzigten danach, daß eine große Schar gerettet werde. Da er wegen der Nägel, die an seinen Füßen aus dem Fleische hervortraten, nicht mehr gehen konnte, ließ er seinen halbtoten Körper durch Städte und Dörfer herumführen, um die Mitmenschen zu ermahnen, Christi Kreuz zu tragen. Auch sagte er öfter zu seinen Brüdern: "Brüder, fangen wir an, Gott unserem Herrn zu dienen, denn bisher haben wir kaum Fortschritte gemacht!" Mit großem Verlangen brannte er darauf, zu dem demütigen Leben der ersten Jahre zurückzukehren; wie zu Anfang wollte er den Aussätzigen dienen und seinen Leib, den mannigfache Mühen entkräftet hatten, zur früheren Dienstbarkeit zwingen. Er nahm sich vor, unter Christi Führung gewaltige Taten zu vollbringen; mochten auch seine Glieder ermattet sein, sein Geist war voll Kraft und Glut und hoffte, in neuen Kämpfen über den Feind zu triumphieren. Denn wo der Sporn der Liebe zu stets größeren Taten antreibt, finden Trägheit und Müßiggang keinen Zutritt. Der Einklang zwischen Fleisch und Geist war aber bei ihm so vollkommen, so groß auch sein unverzüglicher Gehorsam, daß das Fleisch keinerlei Widerstreben zeigte, sondern sogar vorauszueilen suchte, wo er jegliche Heiligkeit zu erringen trachtete.

2. 
Damit der Gottesmann die Menge der Verdienste, die erst durch Geduld ihre Vollendung bekommen, vermehrte, begannen vielerlei Krankheiten ihn so schwer heimzusuchen, daß an ihm kaum ein Glied von unsagbar schmerzhaften Leiden verschont blieb. Vielfaches, langes und ununterbrochenes Kranksein brachte ihn schließlich dahin, daß sein Fleisch hinschwand und fast nur noch seine Haut an den Knochen klebte. Obwohl grausame Schmerzen seinen Körper quälten, nannte er diese Qualen nicht Peinen, sondern Schwestern. Als die rasenden Schmerzen ihn einmal außergewöhnlich peinigten, meinte ein einfältiger Bruder: "Bruder, flehe zum Herrn, er möge gnädiger mit dir verfahren, denn Gott hat wohl allzu schwer seine Hand auf dich gelegt". Als der Heilige dies jedoch hörte, brach er in Klagen aus und sprach: "Kennte ich deine reine Einfalt nicht, dann verabscheute ich von jetzt an deine Nähe, weil du gewagt hast, Gottes Gericht an mir tadelnswert zu nennen". Und obwohl er durch sein langes schweres Siechtum völlig geschwächt war, warf er sich auf die Erde, so daß sein kranker Körper hart aufschlug. Dann küßte er den Boden und sprach: "Herrgott, ich danke dir für alle diese meine Schmerzen und bitte dich, mein Herr, schicke mir hundertmal mehr, wenn es dir gefällt. Das soll mir das Liebste sein, wenn du mich mit Peinen heimsuchst und meiner nicht schonst, denn deinen heiligen Willen zu erfüllen ist mein größter Trost." Daher glaubten die Brüder, in ihm einen zweiten Job zu schauen, da sein Geist in dem gleichen Maße an Kraft gewann, als die Qualen seines Körpers zunahmen. Lange wußte er schon seine Todesstunde voraus. Als aber der Tag seines Heimgangs bevorstand, teilte er seinen Brüdern mit er werde das Zeit seines Leibes bald abbrechen"', wie Christus es ihm geoffenbart hatte.

3. 
Zwei Jahre nach dem Empfang der heiligen Wundmale, nämlich zwanzig Jahre nach seiner Bekehrung, erlitt er durch viele Krankheiten Heimsuchung und Prüfung; gleich einem Stein, der beim Bau des himmlischen Jerusalem verwandt werden sollte, meißelten ihn diese Schläge zurecht, und gleich einem handgetriebenen Kunstwerk gaben die Hammerschläge mannigfacher Bedrängnisse ihm die Vollendung. Da bat er, man möge ihn nach Santa Maria zu Portiunkula tragen, damit er dort, wo er den Geist der Gnade empfangen hatte"', auch den Odem des Lebens dem Schöpfer zurückgebe. Dort angelangt, legte er sich in jener schweren Krankheit, die alle Schwäche enden sollte, in heiliger Begeisterung gänzlich entblößt auf den nackten Boden' um nach dem Beispiel der ewigen Weisheit anzuzeigen, daß er nichts mit der Welt gemein habe; so wollte er in seiner letzten Stunde, da der böse Feind noch gegen ihn wüten konnte, nackt mit dem Nackten ringen. Als er seines ärmlichen Gewandes entkleidet so auf dem Boden lag, erhob er seine Augen, wie er es gern tat, voll Erwartung der glorreichen Herrlichkeit gegen den Himmel und bedeckte mit seiner Linken die Wunde an seiner rechten Seite, damit sie niemand sähe. Dann sagte er zu den Brüdern: "Was ich tun konnte, habe ich getan; möge nun Christus euch lehren, was ihr tun sollt".

4. 
Da weinten die Gefährten des Heiligen, und außergewöhnliches Mitleid durchbohrte sie wie ein Pfeil. Einer von ihnen, den der Gottesmann seinen Guardian nannte, erkannte da auf göttliche Eingebung seinen Wunsch; er erhob sich, nahm Habit, Strick und Hosen und reichte sie dem Armen Christi mit den Worten: "Dies leihe ich dir, weil du arm bist'; du aber nimm es kraft des heiligen Gehorsams an!" Da frohlockte der Heilige und jauchzte in herzlicher Freude auf, denn er sah, daß er der Herrin Armut bis zum Tode die Treue bewahrt hatte. Er erhob seine Hände gegen den Himmel und pries seinen Christus, weil er nun aller irdischen Dinge ledig unbeschwert zu ihm ging. Er hatte nämlich dies alles aus Liebe zur Armut getan, daß er nun einen Habit haben wollte, den ein anderer ihm geliehen hatte. Er wollte sicherlich in allem Christus dem Gekreuzigten gleichförmig sein, der arm, leidend und entblößt am Kreuze gehangen hatte. Darum stand er zu Beginn seiner Bekehrung entblößt vor dem Bischof und wollte am Ende seines Lebens entblößt aus der Welt scheiden. Darum befahl er auch den umstehenden Brüdern kraft des Gehorsams und der Liebe, sie sollten ihn, wenn sie sähen, daß er verschieden sei, so lange entblößt auf dem Boden liegen lassen, wie jemand benötige, wenn er ohne Hast eine Meile weit zu gehen habe. Wie war doch der ein vollkommener Christ, der in seinem Leben dem lebenden, in seinem Sterben dem sterbenden und in seinem Tode dem toten Christus in vollkommener Gleichförmigkeit nachfolgen wollte und den darum mit Recht eine vollkommene Ebenbildlichkeit mit ihm zierte.

5. 
Als schließlich die Stunde seines Hinscheidens nahte, ließ er alle Brüder der Niederlassung zu sich rufen, redete ihnen angesichts des Todes in tröstlichen Worten zu und ermahnte sie väterlich zur Liebe Gottes. Dann sprach er weiter von der Geduld, der Armut und dem Glauben der Heiligen Römischen Kirche und gab dem heiligen Evangelium vor allen übrigen Anordnungen den Vorzug. Als nun alle Brüder um ihn versammelt waren, legte er seine Arme in Kreuzesform übereinander - dieses Zeichen hatte er stets geliebt - und breitete über sie die Hände aus; in der Kraft und im Namen des Gekreuzigten segnete er alle seine Brüder, die gegenwärtigen und die abwesenden. Dann fügte er hinzu: "Lebt wohl, alle meine Söhne, in der Furcht des Herrn und verharrt allezeit in ihr! Da aber künftig Versuchung und Prüfung näherkommen, werden jene selig sein, die bei dem verharren, mit dem sie begonnen haben. Ich aber eile zu Gott, dessen Gnade ich euch alle empfehle." Als er diese väterliche Ermahnung beendet hatte, ließ sich der Freund Gottes das Evangelienbuch bringen und wünschte, man solle das Evangelium nach Johannes lesen, wo die Worte stehen: "Vor dem Osterfeste"'. Dann brach er, soweit seine Kräfte es gestatteten, in die Psalmworte' aus: "Laut schreie ich zum Herrn, laut flehe ich zum Herrn um Gnade', und konnte den Psalm noch zu Ende singen. "Dann umringen die Frommen mich freudig, betete er, "wenn du mir Gutes getan.

6. 
Als sich alle Geheimnisse an ihm erfüllt hatten, löste sich seine heiligste Seele vom Leibe und entschwebte in den Abgrund göttlicher Herrlichkeit. So verschied er selig im Herrn. Einer von seinen Jüngern und Brüdern sah, wie jene glückliche Seele in Gestalt eines helleuchtenden Sternes auf einer kleinen Wolke über viele Wasser hinweg geraden Wegs in den Himmel getragen wurde; da er im Glanze höchster Heiligkeit erstrahlte und himmlische Weisheit und reiche Gnaden ihn erfüllten, durfte der Heilige an den Ort des Lichtes und des Friedens gelangen, wo er mit Christus den Frieden ohne Ende besitzt. Provinzial der Brüder in Terra di Lavoro war damals Bruder Augustinus, ein heiliger und gerechter Mann, der auch im Sterben lag. Obwohl er schon lange nicht mehr hatte sprechen können, hörten die Umstehenden ihn plötzlich ausrufen: "Warte auf mich, Vater, warte auf mich, denn ich gehe mit dir!" Als die Brüder ihn fragten und sich sehr wunderten, daß er so vertraut sprach, gab er zur Antwort: "Seht ihr denn nicht unseren Vater Franziskus, der in den Himmel eingeht?" Sogleich verließ seine heilige Seele den Leib und folgte ihrem heiligen Vater. Der Bischof von Assisi befand sich damals gerade auf einer Wallfahrt im Heiligtum des heiligen Erzengels Michael vom Berge Gargano. Am Abend seines Heimganges erschien ihm der heilige Franziskus und sprach: "Siehe, ich verlasse die Welt und gehe zum Himmel". Als er am nächsten Morgen aufstand, erzählte er seinen Gefährten, was er geschaut hatte; nach seiner Rückkehr nach Assisi erkundigte er sich genau und vernahm von glaubwürdigen Menschen, der selige Vater sei zur gleichen Stunde, da er ihm in einem Gesicht erschienen war, von dieser Erde geschieden. Obwohl die Lerchen das Licht lieben und die Dämmerung scheuen, flogen sie in der Todesstunde des Heiligen, da schon die Dämmerung der folgenden Nacht angebrochen war, in großen Scharen über dem Dach des Hauses und schwebten lange mit ungewöhnlichem Jubilieren hin und her; so gaben sie ihr frohes und untrügliches Zeugnis von der Verherrlichung des Heiligen, der sie so oft zum Lobe Gottes eingeladen hatte.

XV. Kapitel 
Seine Heiligsprechung und Überführung

1. 
Franziskus, Diener und Freund des Allerhöchsten, Gründer und Lenker des Minderbrüderordens, Künder der Armut, Vorbild der Buße, Herold der Wahrheit, Spiegel der Heiligkeit und Inbegriff der ganzen evangelischen Vollkommenheit, gelangte also mit Hilfe himmlischer Gnade Schritt für Schritt von der untersten zur höchsten Stufe. Dieser bewundernswerte Mann war in seiner Armut reich, in seiner Demut erhaben, in seiner Abtötung voller Leben, in seiner Einfalt klug und in jeglicher edlen Tugend ein Vorbild. Ihn, den Gott während seines Lebens zu einem wunderbaren Licht gemacht hatte, ließ er in seinem Tode zu einem unvergleichbar strahlenderem Licht werden. Denn als der Heilige aus dieser Welt schied, und seine heilige Seele in das Haus der Ewigkeit ging, schöpfte er in vollen Zügen aus dem Quell des Lebens und ward verherrlicht. Darum zeigte er an seinem Leibe gewisse Zeichen der künftigen Herrlichkeit. Sein heiliges Fleisch, das, mitsamt den Leidenschaften gekreuzigt, ein neues Geschöpf geworden war, trug die einzigartige Auszeichnung, Abbild des Leidens Christi zu sein und durch ein neues Wunder die glorreiche Auferstehung vorwegzunehmen.

2. 
An jenen gesegneten Gliedern konnte man die Nägel sehen, die Gottes Macht durch ein Wunder aus seinem Fleische gebildet hatte. Ja, sie waren so in sein Fleisch hineingewachsen, daß sie, wenn man sie an der einen Seite berührte, sofort wie zusammenhängende und harte Sehnen auf der anderen hervortraten. An seinem Leibe konnte man auch die Seitenwunde, die keine Menschenhand ihm beigebracht oder verursacht hatte, deutlich sehen; sie war der Wunde der Seite des Erlösers gleich, die das Sakrament der Erlösung und der Wiedergeburt der Menschen am Leibe unseres Erlösers hervorgebracht hat. Die Nachbildung der Nägel war schwarz wie Eisen, die Wunde an seiner Seite aber war rot und glich einer herrlichen Rose, da sich das Fleisch ringsum zusammenzog. Während sein übriger Leib früher von Natur und infolge der Krankheit eher dunkel war, leuchtete er jetzt in strahlendem Weiß und zeigte die Herrlichkeit himmlischer Verklärung.

3. 
Seine Glieder fühlten sich so weich und geschmeidig an, als hätten sie die Zartheit des Kindesalters zurückerlangt; andern erschienen sie mit den sichtbaren Zeichen der Sündenlosigkeit geziert. Da von seinem schneeweißen Fleische die schwarzen Nägel abstachen, die Seitenwunde aber wie eine blühende rote Rose aufflammte, braucht sich niemand zu wundern, daß dieser schöne und unerklärliche Anblick alle, die seiner zuteil wurden, mit Jubel und Staunen erfüllte. Seine Söhne weinten zwar, weil ihnen ihr guter Vater entrissen war; doch durchströmte sie auch wieder große Freude, wenn sie die Malzeichen des höchsten Königs an seinem Leibe küssen durften. Dieses neue Wunder wandelte ihre Trauer in Jubel und alles wißbegierige Forschen in Staunen. Denn allen, die es schauten, bot sich ein gar ungewohntes und auffallendes Schauspiel, das ihren Glauben stärkte und ihre Liebe entflammte; alle aber, die davon hörten, waren verwundert und hegten den Wunsch, es gleichfalls zu sehen.

4. 
Auf die Nachricht von dem Heimgang des seligen Vaters und nach dem Bekanntwerden des Wunders strömten die Volksscharen eilends zu dem Ort. Sie wollten mit leiblichen Augen sehen, was ihrem Herzen jeden Zweifel banne und zur Liebe die Freude füge. Unzählige Bürger aus Assisi ließ man darum zu, damit sie jene Wundmale mit ihren Augen sähen und mit ihren Lippen küßten.
Einer von ihnen, ein gebildeter und kluger Ritter, ein bekannter und berühmter Mann namens Hieronymus, hatte lange an diesen heiligen Zeichen gezweifelt und war ungläubig wie Thomas; dann aber bewegte er in seiner Kühnheit und seinem Eifer die Nägel und berührte des Heiligen Hände, Füße und Seitenwunde mit seiner Hand, um aus seinem und aller anderen Herzen jegliche "Wunde des Zweifels zu entfernen", da er jene wirklichen Zeichen der Wunden Christi berühren durfte. Deshalb trat er später mit den übrigen Zeugen entschieden für ihre Echtheit ein, da er sich so genau vergewissert hatte, und beschwor dies durch einen Eid auf das heilige Evangelium.

5. 
Des Heiligen Brüder und Söhne aber, die zum Heimgang ihres Vaters herbeigerufen waren, verbrachten mit der Menge des Volkes jene Nacht, da der hehre Bekenner Christi verschieden war, so im Lobe Gottes, daß eher Engel zu wachen schienen als daß man Totenwache hielt. Am andern Morgen aber eilten die Volksscharen mit Baumzweigen und vielen Kerzenlichtern herbei und geleiteten mit Hymnen und Lobgesängen den heiligen Leib zur Stadt Assisi. Als der Zug an der Kirche San Damiano vorbeikam, wo damals die edle Jungfrau Klara sie ist jetzt im Himmel verherrlicht mit ihren Jungfrauen in Zurückgezogenheit lebte, hielt man dort für eine kurze Weile an, um den heiligen Jungfrauen Gelegenheit zu geben, den heiligen Leichnam, der mit himmlischen Edelsteinen geziert war, zu sehen und zu küssen. Als man schließlich unter dem Jubel der Menge in die Stadt gelangt war, trug man den kostbaren Schatz in die Kirche San Giorgio und setzte ihn dort in aller Ehrfurcht bei. Dort hatte er als Kind zuerst das Lateinische gelernt, dort zum ersten Male später gepredigt, dort endlich auch seine erste Ruhestätte gefunden.

6. 
Der ehrwürdige Vater ging im Jahre 1226 nach der Menschwerdung des Herrn, am 4. Oktober, am Abend des Samstags, aus dieser Welt und wurde am Sonntag beigesetzt.

Sogleich erglänzte der Heilige, weil Gottes Antlitz gnädig auf ihn herabschaute, durch viele und große Wunder. So wollte Gott seine vollendete Heiligkeit, die er während seines irdischen Lebens durch das Beispiel vollkommener Gerechtigkeit zur Besserung der Sitten der Welt kundgetan hatte, jetzt, da er bereits mit Christus herrschte, zur Festigung des Glaubens durch Wunder seiner Allmacht vom Himmel aus bestätigen. In den verschiedenen Ländern der Erde haben seine glorreichen Wunder und zahlreiche durch ihn erlangte Gebetserhörungen viele zur Liebe Christi entflammt und zur Verehrung des Heiligen bewogen. Da viele Worte und Taten für ihn ein beredtes Zeugnis ablegten, drang die Kunde von all diesen Großtaten, die der Herr durch seinen Diener Franziskus vollbrachte, bis zu den Ohren des Heiligen Vaters Papst Gregor IX.

7. 
Dieser Hirte der Kirche hatte des Heiligen außergewöhnliche Heiligkeit nicht allein aus den Wundern, die nach dem Tode des Heiligen ihm zu Ohren gekommen waren, voll Glauben als echt erkannt, sondern schon zu dessen Lebzeiten selbst erfahren sowie mit eigenen Augen gesehen und mit seinen Händen betastet; deshalb zweifelte er keineswegs daran, daß der Herr ihn im Himmel erhöht habe. Um es Christus, dessen Stellvertreter er war, gleichzutun, kam er nach frommer Überlegung zu dem Entschluß, ihn auf Erden als Heiligen zu verherrlichen, den alle verehren sollten. Da er aber dem ganzen Erdkreis volle Sicherheit Über die Verherrlichung des Heiligen im Himmel geben wollte, ließ er alle seine Wunder, die er erfahren konnte, aufzeichnen, durch geeignete Augenzeugen erhärten und durch jene Kardinäle prüfen, die seinem Vorhaben weniger wohlwollend gegenüberstanden. Sobald diese alles sorgfältig geprüft und einstimmig gutgeheißen hatten, beschloß er auf einmütige Empfehlung und Zustimmung seiner Kardinäle und aller Kirchenfürsten, die damals an seiner Kurie weilten, ihn heiligzusprechen. Daher kam er persönlich nach Assisi und trug den heiligen Vater im Jahre 1228, am 16. Juli, einem Sonntag, mit größter Feierlichkeit, die zu schildern zu weit führen würde, in das Verzeichnis der Heiligen ein.

8. 
Als im Jahre 1230 die Brüder zur Feier des Generalkapitels zu Assisi versammelt waren, wurde am 25. Mai sein gottgeweihter Leib in die zu seiner Ehre erbaute Basilika übertragen. Da man jenen heiligen Schatz, den das Siegel des höchsten Königs besiegelt hatte, übertrug, hat jener, dessen Bild er trug, in seiner Huld viele Wunder gewirkt, damit durch seinen heilbringenden Duft die Gläubigen in Liebe zu Christus eilen sollten. Gott hatte ihm im Leben seine Huld und seine Liebe geschenkt und wie einst Henoch durch die Gnade der Beschauung ins Paradies geführt; wie Elias hatte er ihn durch sein liebendes Verlangen auf feurigem Wagen in den Himmel aufgenommen, so war es denn wahrhaft geziemend, daß er seine heiligen Gebeine, die schon unter den himmlischen Blüten der Frühlingsaus weilten, von ihrer Stätte aus aufs Neue wunderbar sprießen ließ.

9. 
Wie jener Heilige während seines Lebens durch außergewöhnliche Wundermacht erstrahlte, so glänzt er, den Gottes Macht verherrlicht, vom Tag seines Heimgangs bis zur Stunde in verschiedenen Ländern der Erde durch auffallende Wunder zeichen. Denn Blinden und Tauben, Stummen und Lahmen, Wassersüchtigen und Gichtbrüchigen, Besessenen und Aussätzigen, Schiffbrüchigen und Gefangenen schenkt Gott um seiner Verdienste willen Hilfe und wendet aller Art Krankheit, Gefahr und Not von den Menschen ab. Sogar viele Tote erweckte Gott durch ihn wunderbar zum Leben. Indem Gott seinen Liebling verherrlicht, wird den Gläubigen die erhabene Macht des Allerhöchsten offenbar, dem Ehre und Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeiten gebühren. Amen.

Hier endet das Leben des heiligen Franziskus.

 

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