Das Große Franziskusleben

des hl. Bonaventura

INDEX

Vorwort
       ERSTE BUCH

I. Kapitel

Das Leben des Heiligen Franziskus in der Welt

II. Kapitel

Seine vollkommene Hinwendung zu Gott und die Wiederherstellung dreier Kirchen

III. Kapitel

Die Errichtung des Ordens und die Gutheißung der Regel

IV. Kapitel

Die Entwicklung des Ordens unter seiner Leitung und die Bestätigung der früher Gutgeheißenen Regel

V. Kapitel

Sein strenges Leben und der Trost, den ihm die Geschöpfe bereiteten

VI. Kapitel

Seine Demut, sein Gehorsam und die von Gott erlangten Herablassungen

VII. Kapitel

Seine Liebe zur Armut und Gottes wunderbare Hilfe in der Not

      ZWEITES BUCH 

VIII. Kapitel

Seine innige Frömmigkeit und wie die vernunftlosen Geschöpfe ihm anhingen

IX. Kapitel

Seine innige Liebe und seine Sehnsucht nach dem Martyrium

X. Kapitel

Sein eifriges und machtvolles Beten

XI. Kapitel

Sein Verständnis der Heiligen Schrift und sein Prophetengeist

XII. Kapitel

Seine machtvolle Predigt und seine Gabe der Krankenheilung

XIII. Kapitel

Diel Heiligen Wundmale

XIV. Kapitel

Seine Geduld und sein Heimgang im Tode

XV. Kapitel

Seine Heiligsprechung und Überführung

    DRITTES BUCH 

    Wunder nach seinem Tode

I. Kapitel

Die Macht seiner Heiligen Wundmale

II. Kapitel

Totenerweckungen

III. Kapitel

Errettung aus Lebensgefahr

IV. Kapitel

Errettung aus Schiffbruch

V. Kapitel

Befreiung aus Banden und Kerker

VI. Kapitel

Befreiung von gefährlicher Geburt

VII. Kapitel

Heilung von Blinden

VIII. Kapitel

Heilung mannigfacher Krankheiten

IX. Kapitel

Bestrafung derer, die das Fest des Heiligen nicht hielten und ihn nicht verehrten

X. Kapitel

Einige andere Wunder verschiedener Art

 

 

Vorwort


Hier beginnt das Vorwort zum Leben des heiligen Franziskus


1. 
In diesen jüngsten Tagen ist die Güte Gottes, unseres Erlösers, in seinem Diener Franziskus allen wahrhaft Demütigen und allen Freunden der heiligen Armut erschienen', die in ihm Gottes überreiches Erbarmen verehren und durch sein Beispiel lernen, Bosheit und weltliches Begehren gänzlich abzulegen, Christus gleichförmig zu leben und unermüdlich nach der seligen Hoffnung zu dürsten. Denn auf ihn als wahrhaft Armen und Zerknirschten hat der erhabene Gott in so gütiger Herablassung herabgeschaut, daß er nicht bloß den Elenden aus dem Staube weltlichen Lebenswandels erhoben', nein auch zum Lehrer, Führer und Herold der evangelischen Vollkommenheit bestellt, den Gläubigen zum Leitstern gegeben hat. Er sollte von dem Lichte Zeugnis geben und für den Herrn den Weg des Lichtes und des Friedens zu den Herzen der Gläubigen bereiten'. Er hat nämlich gleich dem Morgenstern inmitten der Wolken strahlend im Glanz seines Lebens und seiner Lehre denen, die in Finsternis und Todesschatten wohnen, als helleuchtender Stern den Weg zum Lichte gewiesen und gleich dem Regenbogen in den Wolken der Herrlichkeit als Zeichen des Gottesbundes und Engel des wahren Friedens den Menschen Frieden und Heil verkündet. Denn Gott hat ihn nach dem Vorbild und in Nachahmung des Vorläufers Johannes dazu bestimmt, durch Beispiel und Wort Buße zu predigen und so der allerhöchsten Armut in der Wüste den Weg zu bereiten. Zuerst mit himmlischen Gnadengaben bedacht, dann mit den Verdiensten unübertrefflicher Tugend gekrönt, ja mit Prophetengeist erfüllt, zu Engeldienst erwählt, ganz von seraphischer Glut entflammt und als hierarchischer Mann auf feurigem Wagen emporgetragen, wurde er, wie der Lauf seines Lebens deutlich bezeugt, mit Recht als ein Mann erfunden, der da erschienen ist im Geist und in der Kraft des Elias. Daher heißt es nicht zu Unrecht, ein anderer Freund des Bräutigams, der Apostel und Evangelist Johannes, habe ihn treffend in einer Weissagung unter dem Bild des Engels bezeichnet, der vom Aufgang der Sonne aufsteigt und das Zeichen des lebendigen Gottes trägt. "Bei der Öffnung des sechsten Siegels" sagt Johannes in der Geheimen Offenbarung - "sah ich einen anderen Engel vom Aufgang der Sonne aufsteigen, der das Zeichen des lebendigen Gottes trug."

2. 
Daß dieser Gottesbote, der für Christus liebenswert ist, uns als Beispiel und der Welt zur Bewunderung diente, der Knecht Gottes Franziskus gewesen sei, erfassen wir in unerschütterlichem Glauben, wenn wir an ihm die einmalig große Heiligkeit betrachten; denn durch sie ahmte er schon inmitten der Menschen die Reinheit der Engel nach und ward dadurch denen, die Christus vollkommen nachfolgen, zum Vorbild gegeben. Zu dieser frommen Erkenntnis im Glauben aber führt uns ein Doppeltes: einmal das Amt, zum Weinen und Wehklagen, zum Scheren des Hauptes und zum Bußgewand aufzurufen und den wohklagenden und trauernden Männern das Tau - Zeichen auf die Stirn zu prägen, das ihm aufgetragen wurde, der selbst durch das Zeichen des Kreuzes der Buße und seines Gewandes dem Kreuze ähnlich war; sodann als unverbrüchlich wahres Zeugnis das Siegel der Ebenbildlichkeit mit dem lebendigen Gott, mit dem gekreuzigten Christus, das ihm nicht die Kraft der Natur oder ein schlauer Betrug, sondern die wunderbare Macht des lebendigen Gottes dem Leibe nach eingeprägt hat.

3. 
Da ich mich gänzlich unwürdig und unfähig erachte, das für alle überaus nachahmenswerte Leben dieses verehrungswürdigen Mannes zu schildern, hätte ich mich dessen niemals erkühnt, wenn nicht das brennende Verlangen der Brüder mich dazu angeregt, der einmütige Wunsch des Generalkapitels damit beauftragt und die Verehrung, die ich dem heiligen Vater schulde, dazu bewogen hätte, bin ich doch in meinen Kindestagen, wie ich mich dessen lebhaft erinnern kann, durch seine verdienstvolle Anrufung dem Rachen des Todes entrissen worden; man würde mich aber, fürchte ich, als undankbar einer Verfehlung beschuldigen, wenn ich nicht daraufhin sein Lob verkündete. Das war der Hauptgrund dafür, mich dieser Mühe zu unterziehen. Hat doch Gott mir das Leben des Leibes und der Seele um seinetwillen erhalten, wie ich dankbar anerkenne, und mich seine Wundermacht an mir selbst erfahren lassen. Darum will ich also, obwohl meine Kraft dazu nicht ausreicht, seine Tugenden, Handlungen und Worte, die teilweise in Vergessenheit geraten, teilweise nur hier und dort bekannt sind, als kostbare Stücke sammeln, damit sie nicht beim Tode jener Gefährten, die mit ihm zusammen gelebt haben, völlig verloren gehen.

4. 
Um aber das Leben des Heiligen, das ich der Nachwelt überliefern soll, wie es tatsächlich verlaufen ist, sicherer und klarer vor Augen zu haben, habe ich die Stätte seiner Geburt, seines Lebens und seines Heimgangs aufgesucht und mich mit seinen vertrauten Gefährten, die noch am Leben sind, eingehend unterhalten, vor allem mit denen, die am besten seine Heiligkeit erkannt und nachgeahmt haben und denen wir ob ihrer anerkannten Wahrheitsliebe und ihres bewährten Tugendlebens uneingeschränkten Glauben schulden. Bei der Schilderung der Begebenheiten, die Gott in seiner Güte durch seinen Diener gewirkt hat, glaube ich, auf allen gewählten und prunkvollen Stil verzichten zu sollen, weil eher schlichte als kunstvoll gepflegte Worte den Leser erbauen. Auch habe ich die Geschichte seines Lebens nicht immer der zeitlichen Abfolge gemäß dargeboten, um den Leser nicht zu verwirren; ich habe mich vielmehr bemüht, eine Ordnung einzuhalten, die dem sachlichen Zusammenhang der Begebenheiten seines Lebens gerecht wird, weil nach meiner Ansicht manche Ereignisse, die sich zur gleichen Zeit zugetragen haben, unter verschiedenen Gesichtspunkten, und andere, die zu verschiedenen Zeiten geschehen sind, unter derselben Rücksicht zu betrachten sind.

5. 
Seines Lebens Beginn, Verlauf und Vollendung lege ich nun in fünfzehn verschiedenen Kapiteln dar, die nun folgen. Ich behandle nämlich:

I. Seinen Wandel in der Welt.
II. Seine vollkommene Hinwendung zu Gott und die Wiederherstellung dreier Kirchen.
III. Die Errichtung des Ordens und die Gutheißung der Regel.
IV. Die Entwicklung des Ordens unter seiner Leitung und die Bestätigung der früher gutgeheißenen Regel.
V. Sein strenges Leben und den Trost, den ihm die Geschöpfe bereiteten.
VI. Seine Demut, seinen Gehorsam und die von Gott erlangten Herablassungen.
VII. Seine Liebe zur Armut und Gottes wunderbare Hilfe in der Not.
VIII. Seine innige Frömmigkeit, und wie die vernunftlosen Geschöpfe ihm anhingen.
IX. Seine innige Liebe und seine Sehnsucht nach dem Martyrium.
X. Sein eifriges und machtvolles Beten.
XI. Sein Verständnis der Heiligen Schrift und seinen Prophetengeist.
XII. Seine machtvolle Predigt und seine Gabe der Krankenheilung.
XIII. Seine heiligen Wundmale.
XIV. Seine Geduld und seinen Heimgang im Tode.
XV. Seine Heiligsprechung und die Übertragung seiner Gebeine.

Endlich füge ich noch einiges über seine Wunder an, die nach seinem seligen Hinscheiden geschehen sind.

Hier endet das Vorwort


ERSTE BUCH

I. Kapitel 
Das Leben des Heiligen Franziskus in der Welt

1. 
In der Stadt Assisi lebte ein Mann namens Franziskus. Sein Andenken ist gesegnet, weil Gott in seiner Güte ihm mit reichstem Segen zuvorkam, ihn den Gefahren des gegenwärtigen Lebens gnädig entriß und reichlich mit himmlischen Gnadengaben bedachte. Denn da er in seinen Jugendjahren unter eitlen Menschenkindern für die eitle Welt erzogen und nach kurzer Unterweisung in der Wissenschaft für den einträglichen Beruf eines Kaufmanns bestimmt wurde, gab er unter dem Beistand von oben inmitten seiner ausschweifenden Jugendgefährten bei allem Frohsinn doch nicht dem Drängen des Fleisches nach und jagte inmitten erwerbsgieriger Kaufleute trotz dem Streben nach Gewinn nicht dem Golde nach.

Gott hatte nämlich in das Herz des jungen Franziskus freigebiges Erbarmen gegen Arme gesenkt, das von Jugend an mit den Jahren zunahm und sein Denken mit solcher Güte erfüllte, daß er sein Ohr dem Evangelium nicht verschloß und sich vornahm, jedem, der ihn bitte, zu geben, zumal wenn er es um der Liebe Gottes willen tat.

Als ihn aber eines Tages ein Armer um der Liebe Gottes willen um ein Almosen bat und er diesen im Drange der Geschäfte gegen seine Gewohnheit mit leeren Händen weggeschickt hatte, ging es ihm sogleich zu Herzen. Er eilte ihm nach, gab ihm voll Liebe das Almosen und versprach Gott dem Herrn, er werde in Zukunft, sofern er es nur könne, keinem etwas abschlagen, wenn er ihn um der Liebe Gottes willen bitte; da er dies Versprechen in nie ermüdender Hilfsbereitschaft bis zu seinem Tode gehalten hat, ließ Gott ihn zum Lohne dafür in der Liebe zu ihm und in seiner Gnade mehr und mehr wachsen. Später, als er bereits Christus gänzlich angezogen hatte, sagte er oft, er habe schon damals, als er noch in der Welt lebte, kaum einmal das Wort "um der Liebe Gottes willen" hören können, ohne daß sich sein Herz bewegt fühlte. Indes sein freundliches Wesen, verbunden mit edlen Sitten, seine Geduld und außergewöhnliche Leutseligkeit, seine großzügige Mildtätigkeit, die oftmals seine Mittel und Möglichkeiten überstieg und die schon an dem jungen Franziskus als Zeichen einer guten Veranlagung betrachtet wurde, all das schien ein Vorspiel dafür zu sein, daß sich später Gottes Segen in noch reicherer Fülle über ihn ergießen werde. Als nämlich Franziskus eines Tages einem gar einfältigen Mann aus Assisi auf der Straße begegnete, zog dieser wohl auf Eingebung Gottes seinen Mantel aus, breitete das Gewand vor Franziszi Füßen aus' und verkündete, Franziskus verdiene alle Ehre, weil er schon bald große Dinge vollbringe und darum von allen Gläubigen hoch zu verehren sei.

2. 
Franziskus kannte jedoch damals noch nicht Gottes Absichten. Weil er nach dem Willen seines Vaters in irdischen Geschäften aufging und ihn die Erbschuld abwärts zog, hatte er noch nicht gelernt, himmlische Dinge zu betrachten, und war noch nicht gewohnt, das Göttliche zu kosten. Da aber die Heimsuchung dem Ohr des Geistes Einsicht verleiht, kam die Hand des Herrn über ihn und es änderte sich des Allerhöchsten Walten, indem Er seinen Leib mit langwährender Krankheit schlug, um seinen Geist für die Salbung des Heiligen Geistes zu bereiten. Als er sich dann nach seiner Genesung, wie er es liebte, vornehme Kleider machen ließ, begegnete er einem edlen, aber armen und schlecht gekleideten Ritter. In aufrichtigem Mitleid mit dessen Armut zog er seine Kleider aus und bekleidete ihn damit, so übte er ein doppeltes Werk der Barmherzigkeit, indem er zunächst des edlen Ritters Blöße bedeckte und ferner dem armen Menschen aus der Not half.

3. 
Während er dann in der folgenden Nacht schlief, zeigte ihm der Herrgott einen herrlichen, großen Palast voller Waffen, die mit dem Zeichen des Kreuzes Christi geziert waren; Gott wollte ihn dadurch belehren, das Werk der Barmherzigkeit, das er dem armen Ritter aus Liebe zum höchsten König erwiesen hatte, verdiene unvergleichlichen Lohn. Als er daher fragte, wem dies gehöre, ward ihm vom Himmel die Antwort zuteil, alles werde ihm und seinen Streitern gehören. Darum hielt er dieses ungewöhnliche Gesicht, als er am Morgen erwachte, für ein Vorzeichen großen Wohlstandes, war doch sein Geist in der Durchdringung göttlicher Geheimnisse noch unerfahren und er außerstande, von den sichtbaren Zeichen zur Schau der unsichtbaren Wahrheit fortzuschreiten. Da er Gottes Absicht noch nicht erkannte, beschloß er, sich zu einem edlen Grafen nach Apulien zu begeben, in dessen Dienst er den geachteten Stand eines Ritters zu erlangen hoffte, so wie es ihm das geschaute Gesicht verheißen hatte. Als er sich kurz darauf auf den Weg machte und bis zur nächsten Stadt gekommen war, hörte er, wie der Herr nachts vertraulich zu ihm sprach: "Franziskus, wer kann dir mehr bieten, der Herr oder der Knecht, der Reiche oder der Arme?" Als Franziskus zur Antwort gab, der Herr und der Reiche könnten ihm mehr schenken, fuhr die Stimme fort: "Warum verläßt du dann den Herrn: um des Knechtes, den Reichen um des Armen willen?" Darauf Franziskus: "Was willst du, Herr, das ich tun soll?" Und wieder der Herr: "Kehre in dein Land zurück, denn das geschaute Gesicht deutet auf eine geistige Erfüllung, die sich nicht nach menschlicher, sondern nach göttlicher Anordnung an dir vollziehen soll". Als daher der Morgen anbrach, kehrte er eilends voll Zuversicht und Freude nach Assisi zurück und harrte, schon zum Vorbild des Gehorsams geworden, was der Wille des Herrn von ihm verlangte.

4. 
Von dieser Zeit an zog er sich von dem unruhigen öffentlichen Handelstreiben zurück und flehte ergeben zum gütigen Gott, er möge ihm gnädig zeigen, was er tun solle. Da aber durch sein eifriges Beten sein glühendes Verlangen nach dem Himmel mehr und mehr wuchs und er aus Liebe zum himmlischen Vaterland schon alle irdischen Güter für nichts erachtete, wurde er inne, daß er einen verborgenen Schatz gefunden habe, und trachtete als kluger Kaufmann danach, alle Habe zu verkaufen und die gefundene Perle zu erwerben. Er wußte jedoch noch nicht, wie er dies beginnen sollte; nur ward ihm innerlich kundgetan, jener geistige Handel müsse mit der Verachtung der Welt und die Ritterschaft Christi mit dem Sieg über sich selbst beginnen.

5. 
Als er nun eines Tages durch die Ebene ritt, die zu Füßen der Stadt Assisi liegt, kam ihm ein Aussätziger entgegen, bei dessen unerwarteter Begegnung ihn nicht geringer Ekel überkam. Da er sich jedoch auf seinen Vorsatz, ein vollkommenes Leben zu führen, besann und bedachte, daß er zuerst sich selbst überwinden müsse, wolle er ein Ritter Christi werden, sprang er vom Pferd und eilte ihm entgegen, um ihn zu küssen. Als der Aussätzige seine Hand ausstreckte, wie um eine Gabe zu empfangen, gab Franziskus ihm mit einem Kusse eine Geldsumme. Dann bestieg er wieder sein Pferd und, als er sich gleich nach allen Seiten umsah, erblickte er keine Spur mehr von dem Aussätzigen, obwohl die Ebene nach jeder Richtung offen vor ihm lag. Voll Staunen und Freude begann er mit Andacht das Lob des Herrn zu singen und nahm sich vor, von nun an stets zu Höherem emporzusteigen. Von nun an suchte er entlegene Gegenden, die Heimstätten der Trauer, auf; während er dort immerzu mit unaussprechlichen Seufzern betete, verdiente er, daß sein inständiges Flehen vom Herrn erhört wurde. Als er nämlich eines Tages so ganz einsam betete und sich dank seiner übergroßen Glut ganz in Gott verloren hatte, erschien ihm Jesus Christus wie ans Kreuz geheftet. Bei seinem Anblick stockte ihm der Atem, und das Andenken an Christi Leiden prägte sich so tief in das Innerste seines Herzens, daß er sich von da an nur mit Mühe äußerlich der Tränen und Seufzer erwehren konnte, wenn er der Kreuzigung Christi gedachte. Dies hat er später selbst vertraulich seinen Gefährten mitgeteilt, als er seiner letzten Stunde entgegensah. Daraus ersah nämlich der Mann Gottes, daß jenes Wort des Evangeliums an ihn selbst gerichtet war: "Wenn du mir nachfolgen willst, so verleugne dich selbst und nimm dein Kreuz auf dich und folge mir nach!"

6. 
Von dieser Zeit an zog er den Geist der Armut, den demütigen Sinn und das Streben herzlichen Erbarmens an. Wenn ihn nämlich früher nicht nur beim Umgang mit Aussätzigen, sondern schon bei deren Anblick aus der Ferne heftiger Ekel überkam, so erwies er nun rein um der Liebe des gekreuzigten Christus willen, der nach des Propheten Wort wie ein Aussätziger verachtet erschien, den Aussätzigen in wohltätigem Erbarmen Dienste der Demut und Hilfsbereitschaft, um sich selbst vollständig zu verachten. Häufig suchte er sie nämlich in ihren Häusern auf, schenkte ihnen reichliche Almosen und küßte aus tiefem Mitleid ihre Hände und den Mund. Auch den armen Bettlern wollte er nicht bloß die Gaben, sondern auch sich selbst schenken; zuweilen zog er seine Kleider aus, trennte sie auf oder zerschnitt sie, um sie ihnen zu geben, wenn er gerade nichts anderes zur Hand hatte. Auch armen Priestern kam er mit großer Ehrerbietung und Liebe zu Hilfe, zumal bei der Ausstattung der Altäre, um am Gottesdienst teilzuhaben und der Armut des Gottesdienstes abzuhelfen. Als er nun damals in frommer Andacht die Kirche des Apostels Petrus besuchte und die große Schar der Armen vor den Kirchtüren erblickte, gab er einem der Ärmsten von ihnen teils aus herzlichem Mitgefühl, teils aus Liebe zur Armut seine Kleider und bekleidete sich mit dessen ärmlichen Fetzen; so verweilte er in außergewöhnlicher Fröhlichkeit des Geistes an jenem Tag inmitten der Armen, um die Ehre dieser Welt zu verachten und Stufe für Stufe zur Vollkommenheit des Evangeliums emporzusteigen. Voll Eifer suchte er die Abtötung des Fleisches, um Christi Kreuz, das er im Herzen trug, auch äußerlich an seinem Körper zu tragen. Dies alles aber tat der Gottesmann Franziskus, als er sich noch nicht durch Kleidung und Lebenswandel von der Welt getrennt hatte.


II. Kapitel 
Seine vollkommene Hinwendung zu Gott und die Wiederherstellung dreier Kirchen


1. 
Da der Knecht des Allerhöchsten aber in diesen Dingen keinen andern Lehrmeister als Christus hatte, so tat der gütige Gott ein weiteres und suchte ihn mit der Wonne seiner Gnade heim. Als er nämlich eines Tages aufs Feld hinausgegangen war, um nachzudenken, und in die Nähe des Kirchleins San Damiano kam, das vor Alter einzustürzen drohte, ging er vom Geiste getrieben hinein, um zu beten; er warf sich vor dem Bild des Gekreuzigten nieder und ward beim Gebet mit überreichem geistlichem Trost erfüllt. Als er mit Tränen in den Augen zum Kreuze des Herrn aufschaute, hörte er mit seinen leiblichen Ohren, wie vom Kreuze her dreimal eine Stimme also zu ihm sprach: "Franziskus, geh hin und stelle mein Haus wieder her, das ganz zerfällt, wie du siehst." Erschrocken, weil er doch ganz allein in der Kirche war, staunte er über den Klang der wunderbaren Stimme, und, da sein Herz die Kraft des göttlichen Wortes erfuhr, ward er im Geiste entrückt. Als er dann wieder zu sich gekommen war, schickte er sich an, gehorsam zu folgen. Er begann, nach der Weisung das steinerne Kirchlein wiederherzustellen, wenngleich sich der vornehmliche Sinn des Wortes auf jene Kirche bezog, die sich Christus mit seinem Blute erworben, wie ihn der Heilige Geist lehrte und er es selbst später seinen Brüdern kundgetan hat. Er stand aber auf, bezeichnete sich mit dem Zeichen des Kreuzes, lud Ballen von Handelstuch auf und ritt eilends nach der Stadt, die Foligno heißt; dort verkaufte er alles Tuch, das er mitgebracht hatte, und veräußerte auch das Pferd, auf dem er dorthin geritten war, und nahm als glücklicher Kaufmann das Geld in Empfang. Dann ging er heim nach Assisi und betrat voll Ehrfurcht jene Kirche, die wiederherzustellen ihm aufgetragen war. Dort traf er einen armen Priester, den er mit gebührender Ehrerbietung begrüßte, bot ihm das Geld für die Wiederherstellung der Kirche und die Armen an und bat ihn voll Demut darum, er möge ihm erlauben, eine Zeitlang bei ihm zu bleiben. Der Priester erklärte sich mit seinem Vorhaben einverstanden, nahm aber aus Furcht vor den Eltern das Geld nicht an; in echter Verachtung des Geldes warf Franziskus dieses in eine Fensternische und achtete es nur noch als Staub.

2. 
Als der Diener Gottes bereits einige Zeit bei dem Priester geweilt und der Vater davon erfahren hatte, kam er aufgebracht an jenen Ort geeilt. Da Franziskus, der als Streiter Christi noch unerfahren war, von den Drohungen der Verfolger erfuhr und ihr Kommen vorauswußte, wollte er dem Zorngerichte Gottes Raum geben und versteckte sich in einer verborgenen Höhle; dort hielt er sich einige Tage verborgen und bat unablässig unter Tränen den Herrn, er möge ihn den Händen der Verfolger entreißen und das fromme Vorhaben, das er ihm ins Herz gegeben, in Huld und Gnade zur Vollendung bringen. Daher ward er mit unermeßlicher Freude erfüllt und begann sich Vorwürfe zu machen, weil er so kleinmütig und feige gewesen war; dann warf er alle Furcht von sich ab, verließ die Höhle und machte sich auf den Weg zur Stadt Assisi. Als die Bürger sein entstelltes Antlitz sahen und die Sinnesänderung erkannten, hielten sie ihn für einen Irren, warfen mit Straßenkot und Steinen nach ihm und verhöhnten ihn laut wie einen Geisteskranken und Narren. Der Diener Gottes ließ sich jedoch durch keine Schmähung irremachen oder umstimmen und ging seines Weges, wie wenn er dies alles nicht hörte. Als aber der Vater davon erfuhr, kam er sogleich herbeigelaufen, nicht um ihn zu befreien, sondern um ihn zu verderben: Ohne jedes Erbarmen zerrte er ihn ins Haus und setzte ihm zuerst mit Worten, dann mit Schlägen zu und sperrte ihn ein. Doch all dies machte Franziskus noch mehr bereit, durchzuführen, was er begonnen, und gab ihm noch größere Kraft, da er das Wort des Evangeliums beherzigte: "Selig sind, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich."

3. 
Als der Vater kurz darauf die Heimat verließ, löste die Mutter seine Fesseln und ließ ihn frei, denn sie billigte nicht das Vorgehen ihres Gatten und hoffte nicht mehr, die unbeugsame Entschlossenheit ihres Sohnes erweichen zu können. Dieser begab sich nun - dem allmächtigen Gott danksagend - an den Ort zurück, an dem er vorher geweilt hatte. Als dann der Vater von seiner Reise zurückkehrte und ihn zu Hause nicht mehr fand, machte er seiner Gattin heftige Vorwürfe und eilte wütend zu jenem Ort, um Franziskus, wenn er ihn schon nicht von seinem Vorhaben abbringen könne, wenigstens aus dem Lande zu verjagen. Von Gott gestärkt, ging Franziskus aber mutig dem rasenden Vater entgegen und rief mit lauter Stimme, er achte nicht seiner Fesseln und Schläge, und beteuerte dazu, er werde alle Unbill um des Namens Christi willen mit Freuden auf sich nehmen. Da nun der Vater einsah, daß er ihn von seinem Vorhaben nicht abbringen könne, wollte er wenigstens sein Geld von ihm zurückfordern; als er es schließlich in der Fensternische fand, legte sich sein Zorn ein wenig, da der Durst seiner Habgier durch das Geld in etwa gestillt war.

4. 
Dann machte der leibliche Vater den Versuch, den Sohn der Gnade, der alles Geld von sich getan hatte, vor den Bischof der Stadt zu bringen, damit er in dessen Hände auf das väterliche Erbe verzichte und alles, was er hatte, zurückgebe. Weil dieser aber die Armut aufrichtig liebte, erklärte er sich dazu gern bereit und erschien vor dem Bischof. Dort zeigte er kein Zaudern und kein Zögern wegen irgend etwas und wartete weder auf ein Wort noch sprach er selbst, sondern zog ohne Verzug seine Kleider aus und gab sie dem Vater zurück. Da sah man nun, daß der Gottesmann unter seinen vornehmen Gewändern auf bloßem Leibe ein Bußkleid trug. Ja, das wunderbare Feuer des Geistes machte ihn so trunken, daß er auch seine Unterkleider zurückgab und vor allen Leuten ganz entblößt stand und an seinen Vater die Worte richtete: "Bis heute habe ich dich auf Erden meinen Vater genannt, jetzt aber kann ich voll Vertrauen sprechen: Unser Vater, der du bist im Himmel, bei dem ich all meine Schätze hinterlegt und auf den ich meine ganze Hoffnung und Zuversicht gesetzt habe." Als der Bischof das sah und erkannte, wie der Gottesmann vor übergroßer Liebe zum Herrn glühte, erhob er sich und schloß Franziskus weinend in seine Arme; da er aber ein liebevoller und gütiger Mann war, schlug er den Mantel, den er trug, um ihn und gebot dem Gesinde, man möge ihm etwas brin-gen, um die Blöße seines Leibes zu bedecken. Da brachte man das ärmliche und billige Kleid eines Bauern, der beim Bischof in I3iensten stand. Voll Dank nahm Franziskus dieses Gewand an, zeichnete mit eigener Hand mit Kalk ein Kreuz darauf und machte es zum Kleid für einen gekreuzigten Menschen und halbnackten Armen. So also wurde der Knecht des allerhöchsten Königs von allem entblößt, um dem entblößten gekreuzigten Herrn nachzufolgen, den er so sehr liebte; er wappnete sich denn mit dem Kreuze, um seine Seele dem Holz des Heiles auszuliefern und dadurch dem Schiffbruch der Welt zu entkommen.

5. 
Von dieser Zeit an war er, der die Welt verachtete, frei von den Banden weltlicher Begierden. Er verließ die Stadt und suchte sorglos und frei Einsamkeit und Stille, um in Zurückgezogenheit und Schweigen auf die geheimnisvolle Stimme von oben zu lauschen. Als der Gottesmann Franziskus so einmal durch einen Wald ging und frohen Herzens dem Herrn in französischer Sprache Loblieder sang, sprangen Räuber aus dem Versteck hervor und fielen ihn an. Als sie den Gottesmann drohend fragten, wer er sei, gab er ihnen voll Zuversicht und mit prophetischer Stimme Antwort und sagte: "Ich bin ein Herold des großen Königs." Da verprügelten sie ihn, warfen ihn in eine Grube voll Schnee und riefen ihm zu: "Da sollst du liegen, du dummer Herold Gottes!" Er aber sprang, als sie weggegangen waren, aus der Grube heraus, und von großer Freude erfüllt begann er mit noch lauterer Stimme dem Schöpfer aller Dinge auf seinem Wege durch die Wälder zu lobsingen.

6. 
Dann kam er zu einem Kloster, das in der Nähe lag, bat als Bettler um ein Almosen und empfing es, unbekannt und verachtet. Von dort ging er nach Gubbio, wo ihn ein Freund von ehedem erkannte, ihn aufnahm und als Armen Christi mit einem armen Gewand bekleidete. Weil er die Demut von ganzem Herzen liebte, begab er sich von dort zu den Aussätzigen und weilte unter ihnen, wobei er ihnen um des Herrn willen voll Eifer diente. Er wusch ihnen die Füße, verband ihre Schwären, entfernte den Eiter aus ihren Wunden und reinigte sie von aller Unreinigkeit, ja, er, der bald ein Arzt gemäß dem Evangelium werden sollte, küßte sogar in wunderbarer Ergriffenheit ihre eitrigen Wunden. Darum erlangte er von Gott eine solche Macht, daß er bei der wunderbaren Heilung geistiger und körperlicher Krankheiten erstaunlichen Erfolg erzielte. Aus der Fülle will ich nur ein Beispiel herausgreifen, das sich später zugetragen hat, als der Ruf des Gottesmannes schon weiter verbreitet war. Es geschah, daß eine schreckliche Krankheit einem Mann aus der Grafschaft Spoleto Mund und Wangen völlig zerfressen hatte und keine Arznei ihm helfen konnte. Um die Hilfe der Heiligen anzurufen, besuchte er die Gräber der Apostel und begegnete auf seiner Heimkehr von der Pilgerreise dem Knechte Gottes. Als er aus Verehrung seine Fußspuren küssen wollte, duldete dies Franziskus in seiner Demut nicht und küßte den, der ihm die Füße küssen wollte, auf den Mund. Als aber Franziskus, der Diener der Aussätzigen, mit seinem heiligen Mund in bewundernswertem Mitleid jene schreckliche Wunde berührte, wich jene Krankheit plötzlich, und der Kranke erlangte die ersehnte Gesundheit wieder. Ich weiß nicht, was man hier zu Recht mehr bewundern soll, seine tiefe Demut in dem so gütigen Kusse oder die herrliche Macht, die sich in einem so staunenswerten Wunder offenbarte.

7. 
Franziskus, der schon in Christi Demut fest begründet war, dachte wieder an das Gebot, das Kirchlein San Damiano wiederherzustellen, wie es ihm vom Kreuze her auferlegt war. Daher kehrte er in echtem Gehorsam nach Assisi zurück, um wenigstens durch erbettelte Almosen der Stimme Gottes zu willfahren. Aus Liebe zum armen Gekreuzigten überwand er alle Scheu, bettelte bei jenen, unter denen er einst in Überfluß gelebt, und belud seinen schwachen Körper, der dazu durch Fasten geschwächt war, mit der Last der Steine. Als er die genannte Kirche mit der Hilfe Gottes und der frommen Gläubigen wiederhergestellt hatte, begann er auch eine Kirche des heiligen Petrus aufzubauen, die weiter von der Stadt entfernt lag, damit sein Leib nach getaner Arbeit nicht in Untätigkeit erschlaffe; er tat dies aus besonderer Verehrung für den Fürsten der Apostel, die er im reinen, aufrichtigen Glaubens in seinem Herzen trug.

8. 
Nachdem auch diese Kirche vollendet war, begab er sich an einen Ort, Portiunkula genannt; dort stand ein Kirchlein der allerseligsten Jungfrau und Gottesgebärerin, die schon in alten Zeiten erbaut, jetzt aber verlassen und von niemand betreut war. Als der Gottesmann es so verlassen sah, ließ er sich dort nieder, um es instand zu setzen, weil er die Herrin der Welt besonders verehrte. Da er aber entsprechend dem Namen dieses Kirchleins, mit dem es von alters her "Maria von den Engeln" genannt wurde, ahnte, daß dieser Ort häufig von Engeln besucht werde, nahm er dort aus Verehrung für die Engel und aus besonderer Liebe für die Mutter Christi festen Wohnsitz. Diesen Ort liebte der Heilige mehr als alle andern auf Erden. Hier begann er nämlich in aller Demut sein Werk, hier machte er in den Tugenden Fortschritte, hier gelangte er zu seinem seligen Ende, und sterbend empfahl er diesen Ort seinen Brüdern, weil er der Jungfrau über alles teuer sei. Ein gottesfürchtiger Bruder hatte über diesen Ort vor seiner Bekehrung ein Gesicht, das erzählenswert ist. Er sah, wie viele Menschen, die von Blindheit geschlagen waren, das Antlitz gen Himmel richteten und auf den Knien liegend um dieses Kirchlein versammelt waren. Sie alle hielten ihre Hände erhoben, riefen unter Tränen zum Herrn und baten um Erbarmen und das Augenlicht. Und siehe da: Vom Himmel ergoß sich ein hellstrahlender Glanz über alle, der jedem das Augenlicht schenkte und die ersehnte Gesundheit brachte. Dies ist jener Ort, an dem der heilige Franziskus auf Geheiß einer Gottesoffenbarung den Orden der Minderbrüder ins Leben rief. Denn nach dem Ratschluß der göttlichen Vorsehung, die den Diener Christi stets führte, errichtete Franziskus drei Kirchen aus Stein, bevor er durch die Gründung seines Ordens das Evangelium verkündete; so sollte er nicht nur vom sinnlich Wahrnehmbaren zum Geistigen, vom Niederen zum Höheren in geordnetem Aufstieg fortschreiten, sondern auch nach außen durch ein sichtbares Werk geheimnisvoll andeuten, was er in Zukunft tun werde. Wie der Heilige nämlich drei Bauten wiederhergestellt hat, so sollte er auch die Kirche Christi nach der von ihm gegebenen Form, Regel und Lehre Christi in dreifacher Weise und durch eine dreifache siegreiche Heerschar der zu Rettenden erneuern, wie wir es jetzt auch erfüllt sehen.

III. Kapitel 
Die Errichtung des Ordens und die Gutheißung der Regel

1. 
Da also der Knecht der jungfräulichen Gottesmutter bei ihrer Kirche weilte und zu ihr, die das Wort voll der Gnade und Wahrheit empfangen hatte, mit unablässigen Seufzern flehte, sie möge huldvoll seine Schutzherrin werden, da empfing er selbst auf die Verdienste der Mutter der Barmherzigkeit hin den Geist des wahren Evangeliums und schenkte ihn der Welt. Als er nämlich eines Tages andächtig die Messe zu Ehren der Apostel hörte, wurde jenes Evangelium gelesen, in dem Christus seine Jünger zur Predigt aussandte und ihnen die Lebensform des Evangeliums gab, daß sie nämlich weder Gold noch Silber, noch Geld in ihrem Gürtel, auch keine Tasche auf dem Weg und keine zwei Röcke haben und keine Schuhe und keinen Stab tragen sollten. Da Franziskus, der die apostolische Armut liebte, nun diese Worte hörte, erfaßte und seinem Gedächtnis einprägte, wurde er sogleich von unsagbarer Freude erfüllt und rief aus: "Das ist es, was ich begehre, das ist es, wonach ich von ganzem Herzen verlange!" Darum löste er die Schuhe von seinen Füßen, warf seinen Stab weg, verachtete Ranzen und Geld, war mit einem einzigen geringen Gewand zufrieden, legte auch den Lederriemen ab und umgürtete sich mit einem Strick. Alles Streben seines Herzens richtete er nur darauf, wie er das Gehörte in die Tat umsetzen und das vorbildliche Leben der Apostel zur Richtschnur seines eigenen Lebens machen könne.

2. 
Von da an begann der Mann Gottes unter dem Antrieb von oben ein Eiferer für die Vollkommenheit des Evangeliums zu sein und auch andere zur Buße einzuladen. Seine Worte aber waren weder leer noch verachtenswert, sondern voll der Kraft des Heiligen Geistes; sie drangen ins Innerste der Herzen und brachten die Zuhörer sehr zum Staunen. Bei jeder Predigt verkündete er den Frieden und begrüßte zu Beginn die Zuhörer, indem er sagte: "Der Herr gebe euch den Frieden?" Wie er später bezeugte, hat der Herr ihn durch eine Offenbarung diesen Gruß gelehrt. So kam es, daß er nach dem Wort des Propheten und selbst vom Geist der Propheten berührt, den Frieden verkündigte, das Heil der Seelen predigte und durch heilsame Ermahnungen viele zum wahren Frieden führte, die vorher von Christus getrennt und darum dem Heile fern waren.

3. 
Als daher die Echtheit der einfachen Lehre und Lebensweise des Gottesmannes bei vielen bekannt wurde, fühlten sich einige durch sein Beispiel zu einem Leben der Buße angeregt; sie verließen alles und suchten sich ihm in Kleidung und Lebensweise anzugleichen. Der erste von ihnen war Bernhard, ein ehrenhafter Mann, der dieser göttlichen Berufung teilhaft wurde und der Erstgeborene unseres seligen Vaters zu werden verdiente, und zwar der Zeit nach wie auch durch seine besondere Heiligkeit. Als er nämlich die Heiligkeit des Knechtes Christi erkannt und beschlossen hatte, nach seinem Vorbild die Welt vollständig zu verachten, bat er um seinen Rat, wie er es ausführen solle. Als der Diener Gottes das hörte, wurde er mit dem Trost des Heiligen Geistes erfüllt, weil er seinen ersten Sohn empfangen hatte, und sprach: "Wir müssen diesen Rat von Gott selbst erbitten." Als es Morgen geworden war, gingen sie deshalb in die Kirche des hl. Nikolaus und beteten dort zuerst. Dann schlug Franziskus, der die Dreifaltigkeit sehr verehrte, dreimal das Evangelienbuch auf und bat dabei Gott, er möge durch ein dreifaches Zeugnis den heiligen Entschluß Bernhards gutheißen. Als er das Buch zum ersten Male aufschlug, fand er das Wort: "Wenn du vollkommen sein willst, verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen." Beim zweiten Male: "Nehmt nichts mit auf den Weg!" Beim dritten Male schließlich: "Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, er nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach"! Da sprach der Heilige: "Dies ist unser Leben und unsere Regel sowie aller derer, die sich unserer Gemeinschaft anschließen wollen. Wenn du also vollkommen sein willst, dann gehe hin und vollführe, was du gehört hast"!

4. 
Nicht lange danach hat der Geist noch fünf andere Männer gerufen, so daß sich die Zahl der Franziskussöhne auf sechs belief; unter ihnen kam an dritter Stelle der heilige Vater Ägidius, ein Mann, ganz von Gott erfüllt und eines ehrenvollen Gedenkens wert. Ihn hat später die Übung hoher Tugenden berühmt gemacht und, wie der Knecht Gottes das von ihm vorausgesagt hatte, gelangte er zu dem Gipfel höchster Beschauung, obwohl er ein ungelehrter und einfacher Mann war. Als er nämlich lange Zeit unermüdlich bedacht gewesen war, seinen Geist zu Gott zu erheben, wurde er, wie ich selbst als Augenzeuge erlebt habe, so häufig in Ekstase zu Gott entrückt, daß er unter den Menschen mehr das Leben eines Engels als eines Menschen zu leben schien. 

5. 
Um diese Zeit ward einem Priester der Stadt Assisi, der Silvester hieß und ein ehrenhaftes Leben führte, durch Gott ein Gesicht zuteil, das ich nicht verschweigen darf. Da er nach menschlichem Denken die Lebensweise und den Weg des Franziskus und seiner Gefährten verabscheute, schaute Gottes Gnade auf ihn herab und suchte ihn heim, damit er nicht durch sein vermessentliches Urteil in Gefahr komme. Er sah nämlich im Traume die ganze Stadt Assisi von einem großen Drachen belagert, der in seiner gewaltigen Größe ein furchtbares Ende für das ganze Land ahnen ließ. Dann sah er, wie aus dem Munde des Franziskus ein goldenes Kreuz hervorging, dessen Spitze den Himmel berührte und dessen Arme breit ausgestreckt bis zu den Enden der Erde zu reichen schienen. Sein strahlender Anblick scheuchte den scheußlichen und furchtbaren Drachen fort. Da ihm dies dreimal gezeigt wurde, erkannte er es als ein Zeichen vom Himmel und erzählte dem Gottesmann und seinen Brüdern alles der Reihe nach. Kurze Zeit danach verließ er die Welt und wandelte so beharrlich auf den Spuren Christi, daß sein Leben im Orden jenes Gesicht, das er in der Welt gehabt hat, als echt erwies.

6. 
Die Erzählung von jenem Gesicht verleitete aber den Gottesmann nicht zu menschlicher Ehrsucht, sondern er erkannte die Güte Gottes an in seinen Wohltaten und wurde dadurch nur noch mehr in seinem Vorhaben bestärkt, die List des alten Feindes abzuwehren und den Ruhm des Kreuzes Christi zu verkünden. Als er eines Tages an einem einsamen Ort seine Jahre in Schmerz überdachte und beweinte, da kam des Heiligen Geistes Freude über ihn und gab ihm die Gewißheit, daß ihm alle Fehler restlos vergeben seien. Danach ward er über sich selbst erhoben und gänzlich von einem wunderbaren Licht umgeben; der Blick seines Geistes weitete sich, und er schaute klar, was mit ihm und seinen Brüdern geschehen werde. Alsdann kehrte er zu seinen Brüdern zurück und sprach zu ihnen: "Seid stark, geliebte Brüder, und freuet euch im Herrn! Seid nicht traurig, weil ihr nur wenige seid, noch bedrücke euch meine und eure Einfalt; denn wie er mir in Wahrheit gezeigt hat, läßt der Herr uns zu einer großen Schar wachsen und mit dem Segen seiner Gnade in alle Welt ausbreiten".

7. 
Zur gleichen Zeit trat ein anderer frommer Mann in den Orden ein, und die gesegnete Jüngerschar des Gottesmannes stieg auf sieben an. Da rief der gute Vater alle seine Söhne zu sich, sprach zu ihnen gar vieles über das Reich Gottes, die Verachtung der Welt, die Verleugnung des Eigenwillens und die Buße des Leibes und eröffnete ihnen seine Absicht, sie in die vier Richtungen der Welt zu senden. Denn die unfruchtbare und arme Einfalt des heiligen Vaters hatte schon sieben Söhne geboren, und er wollte alle Gläubigen für Christus den Herrn gebären, indem er sie zur Bußtrauer berief. "Geht", so sprach der gütige Vater zu seinen Söhnen, "verkündet den Menschen den Frieden und predigt Buße zur Vergebung der Sünden! Seid in der Trübsal geduldig, im Gebet wachsam, bei der Arbeit fleißig, im Reden bescheiden, in euren Sitten ernst und dankbar für Wohltaten, denn zum Lohn für all dies wird euch das ewige Reich bereitet. Jene warfen sich dann vor dem Gottesknecht demütig zu Boden nieder und nahmen in der Freude des Geistes den Auftrag des heiligen Gehorsams entgegen. Er aber sprach zu jedem einzelnen von ihnen: "Wirf all deine Sorge auf den Herrn, und er wird dich ernähren"! Dies Wort pflegte er stets zu gebrauchen, sooft er einen Bruder im Gehorsam aussandte. Weil er wußte, daß er selbst den andern zum Beispiel gegeben war, damit er zuvor selbst tue, was er andere lehre, machte auch er sich mit einem Gefährten zu einer Himmelsrichtung auf, sobald er die anderen sechs in Kreuzesform in die übrigen drei Richtungen gesandt hatte. Doch schon nach kurzer Zeit sehnte sich der gute Vater nach dem Zusammensein mit seinen geliebten Söhnen zurück. Da er sie selbst nicht zusammenrufen konnte, bet er jenen, dies zu tun, der die zerstreuten Kinder Israels zusammenführt. So geschah es: Ohne daß ein Mensch sie gerufen hatte, kamen alle durch Gottes gütige Fügung unerwartet zusammen, wie er es gewünscht hatte, und sie selbst wunderten sich darüber. Da sich ihnen damals aber noch vier andere achtbare Männer anschlossen, wuchs ihre Zahl auf zwölf an.

8. 
Als nun der Diener Christi sah, wie die Zahl der Brüder allmählich wuchs, schrieb er mit einfachen Worten für sich und seine Brüder eine Form des Lebens, bei der er die Befolgung des heiligen Evangeliums zur unumstößlichen Grundlage machte und nur weniges hinzufügte, was für eine einheitliche Lebensweise unerläßlich schien. Da er aber das, was er geschrieben hatte, gern vom Papste bestätigen lassen wollte, faßte er den Entschluß, mit der Schar seiner einfältigen Gefährten zum Apostolischen Stuhl zu gehen; dabei vertraute er allein der Führung Gottes. Und Gott schaute aus der Höhe auf sein Begehren herab; da nämlich die Gemüter seiner Gefährten in Anbetracht ihrer Einfalt voll Sorge waren, stärkte Gott sie durch folgendes Gesicht, das er dem Gottesmann zeigte. Ihm schien, er gehe seinen Weg, an dem ein sehr hoher Baum stand. Als er auf ihn zuging und, unter ihm stehend, über seine Höhe staunte, fühlte er sich plötzlich von göttlicher Kraft so hoch in die Höhe erhoben, daß er seinen Wipfel erfassen und seine Krone ganz leicht nach unten biegen konnte. Der von Gott erfüllte Mann erkannte klar die Vorbedeutung dieses Gesichtes: daß der Inhaber der apostolischen Würde sich seiner Bitte geneigt zeigen werde. Darum ward er frohen Sinnes, stärkte im Herrn auch seine Brüder und trat mit ihnen die Reise an.

9. 
Als er aber an die Römische Kurie gekommen war, (wurde er vor den Papst geführt. Der Stellvertreter Christi aber weilte im Lateranpalast und erging sich in jenem Teil, der Speculum heißt. Da er hohen Gedanken nachhing, wies er den Diener Christi, den er nicht kannte, unwillig zurück. Dieser ging demütig weg; doch ward dem Papst in der nächsten Nacht von Gott folgende Offenbarung zuteil. Er sah, wie vor seinen Füßen langsam eine Palme emporwuchs und sich zu einem herrlichen Baum entfaltete. Als er sich verwundert fragte, was dieses Gesicht wohl zu bedeuten habe, brachte ein Licht vom Himmel dem Geist des Statthalters Christi die Erkenntnis, jene Palme versinnbilde den Armen Christi, den er tags zuvor zurückgewiesen habe. Am folgenden Morgen ließ er daher diesen Armen durch seine Diener in der Stadt suchen. Als man ihn im Hospital des heiligen Antonius neben dem Lateranpalast gefunden hatte, ließ er ihn sogleich zu sich rufen. Da er vor den Papst geführt wurde, erklärte er ihm sein Vorhaben und bat demütig und inständig, er möge ihm die erwähnte Lebensregel gutheißen. Weil aber der Statthalter Christi, ein durch Weisheit ausgezeichneter Mann, die bewundernswerte Reinheit im einfältigen Herzen des Gottesmannes, seine beharrliche Entschlossenheit und den glühenden Eifer seines heiligen Vorhabens erkannte, war er geneigt, huldvoll seiner Bitte zu willfahren. Er erfüllte jedoch die Bitte, die jener Arme Christi vortrug, nicht sofort, weil sie einigen Kardinälen als Neuerung und als zu schwer für menschliche Kraft erschien. Unter den Kardinälen war aber ein sehr verehrungswürdiger Mann, Johann von St. Paul, Bischof von S. Sabina, der jegliches heilige Leben liebte und dem Armen Christi beistand. Entflammt vom Heiligen Geiste, sprach er zum Papst und zu seinen Brüdern: "Wenn wir die Bitte dieses Armen als etwas zu Schweres und als Neuerung ablehnen, obwohl er die Form des Lebens nach dem Evangelium bestätigt haben möchte, müssen wir uns hüten, daß wir uns nicht am Evangelium Christi versündigen. Denn wer behauptet, in der Beobachtung und dem Gelübde der evangelischen Vollkommenheit liege eine Neuerung, sie seien unvernünftig und unmöglich zu erfüllen, der lästert ohne Zweifel Christus, den Urheber des Evangeliums." Nach diesen Worten wandte sich der Nachfolger des Apostels Petrus dem Armen Christi zu und sprach zu ihm: "Mein Sohn, bete zu Christus, er möge uns zeigen, was er mit dir vorhat; wenn wir seinen Willen klarer erkennen, können wir mit größerer Zuversicht dein frommes Begehren erfüllen."

10. 
Der Diener des allmächtigen Gottes widmete sich damals ganz dem Gebet und erlangte dadurch, was er selbst mit Worten vorbringen und was der Papst dabei in seinem Herzen empfinden sollte. Er trug ihm nämlich ein Gleichnis vor. Ein reicher König vermählte sich prunkvoll mit einer schönen, aber armen Frau, und sie schenkte ihm Kinder, die die Züge ihres königlichen Vaters trugen und deshalb an seinem Tisch ernährt wurden. Als er das Gleichnis, wie Gott es ihm eingegeben, vorgetragen hatte, fügte er zu dessen Erklärung hinzu: "Ihr braucht keine Furcht zu haben, daß die Kinder und Erben des ewigen Königs vor Hunger umkommen, die von der armen Mutter durch die Kraft des Heiligen Geistes nach dem Bild des Königs Christus geboren sind und die durch den Geist der Armut in unserm armen Orden noch geboren werden. Denn wenn der König des Himmels denen, die ihm nachfolgen, das ewige Reich verspricht, um wieviel eher wird er das geben, was er ohne Unterschied den Guten und Bösen gewährt'. Als nun der Stellvertreter Christi gespannt das Gleichnis und dessen Erklärung angehört hatte, wunderte er sich gar sehr und erkannte, daß ohne Zweifel Christus aus diesem Manne gesprochen habe. Auch ein Gesicht, das der Himmel ihm in jener Zeit gezeigt hatte, werde an jenem Manne in Erfüllung gehen, wie er selbst auf Eingebung des Heiligen Geistes bezeugte. Er sah nämlich im Traume - so hat er es selbst berichtet -, wie die Laterankirche dem Einsturz nahe war; doch ein armer Mann, bescheiden und verachtet, stützte sie mit seiner Schulter, damit sie nicht zusammenfalle, und hielt sie. "Wahrlich", sagte er, "das ist jener Mann, der durch sein Werk und seine Lehre die Kirche Christi erhalten wird." Durch diese Vision gewann er vor allem eine große Verehrung für Franziskus, erfüllte seine Bitte in allen Stücken, und er liebte den Diener Christi stets mit besonderer Liebe. Daher gewährte er das Erbetene und versprach, ihm noch mehr zu gewähren. Er bestätigte seine Regel, gab ihm den Auftrag, Buße zu predigen und ließ allen Laien, die den Gottesknecht begleitet hatten, kleine Tonsuren scheren, damit sie das Wort Gottes ungehindert verkünden könnten.

IV. Kapitel 
Die Entwicklung des Ordens unter seiner Leitung und die Bestätigung der früher Gutgeheißenen Regel

1. 
Im Vertrauen auf Gottes Gnade und des Papstes Gutheißung machte sich Franziskus voll Zuversicht auf den Weg zum Spoletotal, um Christi Evangelium zu leben und zu lehren. Während er aber auf dem Weg mit seinen Gefährten darüber sprach, wie sie die Regel, die sie empfangen hatten, getreu halten, in aller Heiligkeit und Gerechtigkeit vor Gott wandeln, selbst Fortschritte machen und andern zum Beispiel dienen könnten, zog sich die Unterhaltung länger hin, und die Zeit verging. Da sie schon von der Anstrengung ermüdet und hungrig waren, machten sie in einer einsamen Gegend halt. Schon fehlte jede Möglichkeit, sich das zum Leben Notwendige zu besorgen, da kam ihnen alsbald Gottes Vorsehung zu Hilfe. Denn unerwartet erschien ein Mann mit einem Brot in der Hand, das er den Armen Christi schenkte, und verschwand plötzlich wieder, ohne daß jemand sagen konnte, woher er gekommen war und wohin er ging. Die armen Brüder erkannten aber daran, daß in der Nachfolge des Gottesmannes die Hilfe von oben mit ihnen sei, und sie stärkten sich mehr durch das Geschenk der göttlichen Freigebigkeit als durch die Nahrung für ihren sterblichen Leib. Von göttlichem Troste erfüllt, faßten sie überdies den festen Entschluß und versprachen für alle Zeit, durch keine Not und Trübsal sich von der heiligen Armut abbringen zu lassen.

2. 
Da sie mit diesem heiligen Vorsatz in das Spoletatal zurückgekehrt waren, hielten sie Rat, ob sie unter den Menschen wirken oder sich in die Einsamkeit zurückziehen sollten. Der Diener Gottes Franziskus baute aber nicht auf seine oder der Mitbrüder Einsicht, sondern versuchte, durch inständiges Beten den Willen Gottes in dieser Frage zu erkunden. Durch eine Offenbarung Gottes erleuchtet, erkannte er, der Herr habe ihn dazu gesandt, für Christus Seelen zu gewinnen, die ihm der Teufel zu entreißen suchte. Darum wollte er lieber für alle als für sich allein leben, angeleitet durch das Beispiel dessen, der allein für alle zu sterben sich gewürdigt hat.

3. 
Daher zog sich also der Gottesmann mit seinen Gefährten in eine verlassene Hütte bei Assisi zurück', wo sie nach der Lebensweise der heiligen Armut in großer Entbehrung und Not ihr Leben fristeten, indem sie eher Tränen als körperliche Stärkung zu ihrem täglichen Brot wählten. Unaufhörlich flehten sie zu Gott. Sie beteten aber mehr mit dem Herzen als mit dem Munde, da sie noch keine kirchlichen Bücher besaßen, um das vorgeschriebene Stundengebet singen zu, können. Vielmehr lasen sie statt in diesen Büchern unaufhörlich bei Tag und Nacht im Buch des Kreuzes Christi, durch das Beispiel und Wort ihres Vaters belehrt, der oft zu ihnen vom Kreuze Christi sprach. Als die Brüder ihn dann baten, er möge sie beten lehren, gab er ihnen zur Antwort: "Wenn ihr betet, so sprechet: ,Unser Vater, und: ,Wir beten dich an, Christus, in allen Kirchen, die auf der ganzen Welt sind, und preisen dich, weil du durch dein heiliges Kreuz die Welt erlöst hast". Er unterwies sie auch, Gott in allen und mit allen Geschöpfen zu loben, mit besonderer Ehrerbietung den Priestern zu begegnen, dem wahren Glauben, wie ihn die heilige römische Kirche lehre und halte, unerschütterlich anzuhangen und ihn schlicht zu bekennen. Die Brüder beobachteten aber in allem die Lehren ihres heiligen Vaters und, wenn sie von ferne Kirchen oder Kreuze erblickten, warfen sie sich in Demut nieder und beteten in der Weise, die er sie gelehrt hatte.

4. 
Während nun die Brüder an den genannten Orten verweilten, betrat der heilige Gottesmann an einem Samstag die Stadt Assisi, um Sonntag früh, wie er es gewöhnlich tat, in der Kathedrale zu predigen. Während nun der Gottesmann in einer Hütte im Garten der Kanoniker beim Gebete die Nacht verbrachte und dem Leibe nach fern von seinen Brüdern weilte, siehe, da kam ungefähr um die Stunde der Mitternacht, da einige Brüder schliefen, andere aber noch im Gebete verweilten, ein feuriger Wagen von wunderbarer Helle durch die Türe des Hauses und fuhr dreimal durch den Raum hin und her; auf dem Wagen aber schwebte eine leuchtende Kugel, die der Sonne glich und die Nacht erhellte. Die noch wachenden Brüder ergriff Staunen, die aus dem Schlaf geweckten Schrecken, da sie nicht min der die Helle der Seele als des Leibes gewahrten, denn in der Kraft dieses wunderbaren Lichtes lag eines jeden Gewissen für den andern offen da. Weil ein jeder im Herzen des andern lesen konnte, erkannten sie alle zusammen, der Herr habe ihnen den heiligen Vater, der zwar dem Leibe nach fern, seinem Geiste nach aber gegenwärtig war, unter diesem Bild verklärt und durch übernatürliche Kraft in dem leuchtenden und glühenden Wagen vom himmlischen Licht umstrahlt und von himmlischer Glut entflammt gezeigt, damit sie ihm als wahre Israeliten folgen sollten; hat doch Gott ihn als zweiten Elias den geistlichen Männern zum Wagen und Lenker gegeben. Wir müssen daher glauben, daß Gott auf Franziszi Gebet hin die Augen jener einfältigen Männer geöffnet hat, damit sie Gottes Großtaten sähen; so hat er auch einst die Augen des Jungen geöffnet, damit er sehe, wie der Berg rings um Elisäus voll von feurigen Rossen und Wagen war. Als nun der Heilige zu seinen Brüdern zurückkehrte, begann er ihre Herzensgeheimnisse zu erforschen, sie durch diese wunderbare Erscheinung zu trösten und vieles über das Wachsen des Ordens in der Zukunft vorauszusagen. Da er ihnen vieles offenbarte, was über menschliche Fassungskraft hinausgeht, erkannten die Brüder in Wahrheit, der Geist des Herrn ruhe in solcher Fülle auf seinem Diener Franziskus, daß ihnen das Leben nach seiner Lehre und seinem Leben als der sicherste Weg erschien.

5. 
Auf Anregung der Gnade Gottes führte danach Franziskus, der Hirt der kleinen Herde, seine zwölf Brüder nach Santa Maria von Portiunkula, damit der Orden der Minderbrüder unter dem Beistand der Gottesmutter dort wachse, wo er auf ihre Verdienste hin seinen Anfang genommen hatte. Von dort zog er als Herold des Evangeliums durch die Städte und Dörfer und verkündete nicht mit gelehrten Worten menschlicher Weisheit, sondern im Beweis von Geist und Kraft das Reich Gottes. Denen, die ihn sahen, erschien er als Mensch aus der anderen Welt, wie einer, der alle Menschen nach oben zu führen trachtet, indem er selbst Herz und Antlitz gen Himmel gerichtet hat. Dadurch begann der Weinberg Christi, Schößlinge voll lieblichen Wohlgeruchs für den Herrn zu treiben, liebliche Blüten an Ehre und Ansehen hervorzubringen und reiche Früchte zu tragen.

6. 
Durch seine feurige Predigt begeistert, verpflichteten sich nämlich viele zu einem Leben der Buße nach der Weise, die ihnen der Gottesmann gewiesen; diese Lebensweise nannte dieser Diener Christi "Orden der Brüder von der Buße ". Wie nämlich für alle, die nach dem Himmel streben, nur der gleiche Weg der Buße gilt, so umfaßte auch diese Lebensweise Kleriker und Laien, Jungfrauen und Eheleute beiderlei Geschlechtes. Wie verdienstvoll aber dieses Leben vor Gott ist, erhellt aus den zahlreichen Wundern, die einige aus diesem Orden gewirkt haben. Auch Jungfrauen bekehrten sich zu ständiger Ehelosigkeit; unter ihnen war die Gott überaus wohlgefällige Jungfrau Klara. Als erste Pflanze des heiligen Franziskus gab sie gleich einer leuchtenden Frühlingsblume ihren Duft und erstrahlte wie ein funkelnder Stern. Nun ist sie im Himmel verherrlicht und wird mit Recht von der Kirche auf Erden verehrt, da sie in Christus eine Tochter des armen heiligen Vaters Franziskus war und die Mutter der "Armen Frauen".

7. 
Von Andacht ergriffen und vom Verlangen nach der Vollkommenheit Christi erfüllt, verachteten auch viele alle Eitelkeit der Welt und folgten den Spuren des Franziskus. Von Tag zu Tag wuchs ihre Zahl, und sie drangen schnell vor bis an die Grenzen der Erde. Denn die heilige Armut, die allein ihr ganzer Reichtum war, machte sie willig für jeglichen Dienst des Gehorsams, stark für die Arbeit und fähig zu den Mühen der Reisen. Und weil sie nichts Irdisches besaßen, hing ihr Herz an nichts, und sie brauchten sich nicht zu fürchten, etwas zu verIieren; darum fühlten sie sich überall in Sicherheit. Von keiner Furcht geängstigt und durch keine Sorge zerstreut, konnten sie ohne Plage des Geistes leben und ohne Besorgnis den kommenden Tag oder die Unterkunft für die Nacht erwarten. Als verachtete und unbekannte Menschen erlitten sie zwar in einigen Gegenden mancherlei Schmähung, doch hatte die Liebe zum Evangelium Christi sie so in der Geduld gefestigt, daß sie lieber dort weilten, wo sie leibliche Verfolgungen erduldeten, als dort, wo man ihre Heiligkeit kannte und sie sich in irdischer Ehrsucht hätten rühmen können. Selbst der häufige Mangel am Allernotwendigsten erschien ihnen als Oberfluß, da ihnen nach dem Rat des Weisen das Kleinste als etwas Großes gefiel. Als einige von den Brüdern ins Land der Ungläubigen gekommen waren, geschah es, daß ein Sarazene aus Mitleid Geld für den notwendigen Lebensunterhalt schenken wollte. Da sie es aber nicht annehmen wollten, wunderte sich dieser Mann, sah er doch, daß sie arm waren. Als er jedoch erfuhr, daß sie sich aus Liebe zu Gott arm gemacht hätten und kein Geld besitzen wollten, wurde seine Liebe zu ihnen so groß, daß er sich erbot, alles Notwendige zu beschaffen, solange er noch etwas übrig habe. Welch kostbarer Schatz ist doch die Armut, deren wunderbare Kraft selbst das Gemüt eines Barbaren zu solch zartem Mitleid geführt hat! Wie schrecklich und gottlos hingegen ist das Verbrechen, wenn ein Christ diese kostbare Perle mit Füßen tritt, wohingegen der Sarazene sie so hoch geehrt hat!

8. 
Zu jener Zeit lag ein Ordensmann aus dem Orden der Kreuzträger, namens Morikus, in einem Krankenhaus bei Assisi und litt bereits so lange an einer schweren Krankheit, daß ihn die Ärzte schon aufgegeben hatten. Da sandte er zu dem Gottesmann und bat ihn flehentlich, er möge für ihn zum Herrn beten. Der selige Vater willfahrte seiner Bitte, verrichtete das Gebet, nahm einige Brotkrumen, tränkte sie mit Öl aus der Lampe, die vor dem Altar der allerseligsten Jungfrau brannte, und sandte sie durch seine Brüder wie ein Mus zu dem Kranken. "Bringt diese Medizin", sagte er dazu, "unserem Bruder Morikus! Durch sie wird ihn Christi Kraft nicht nur vollständig gesund, sondern auch zu einem tapferen Kämpfer machen und ihn unserer Heerschar zuführen." Kaum aber hatte der Kranke jene Arznei, die ihm der Heilige auf Antrieb des Heiligen Geistes bereitet hatte, genossen, so stand er gesund auf und erlangte von Gott solche Kraft des Geistes und Leibes, daß er kurz danach in den Orden des Heiligen trat, nur noch ein Gewand anzog, unter dem er lange Zeit auf bloßem Leibe einen Panzer trug, und sich mit ungekochten Speisen, nämlich Kräutern, Körnern und Früchten zufrieden gab, ja lange Jahre hindurch weder Brot noch Wein genoß und trotzdem bei Kraft und Gesundheit blieb.

9. 
Da auch die verdienstlichen Tugenden bei den in Christus Kleinen wuchsen, verbreitete sich ihr guter Ruf allenthalben und zog viele aus den verschiedensten Teilen der Welt an, die den heiligen Vater sehen wollten. Unter diesen befand sich auch ein bekannter Dichter weltlicher Lieder, der deswegen vom Kaiser gekrönt worden war und darum "König der Verse" hieß. Auch er wollte den Gottesmann, der alle irdischen Dinge verachtete, aufsuchen. Als er ihn in einem Kloster bei dem Dorf San Severino bei der Predigt angetroffen hatte, kam die Hand des Herrn über ihn, und er sah, wie Franziskus, dieser Prediger des Kreuzes Christi, von zwei funkelnden Schwertern bezeichnet war, die in Kreuzesform übereinander lagen; dabei reichte ihm das eine Schwert vom Haupt bis zu den Füßen, das andere von der einen Hand über die Brust bis zur anderen Hand. Er kannte den Knecht Gottes noch nicht von Angesicht, aber er erkannte ihn sogleich, da er ihm durch ein solches Wunder gezeigt wurde. Von Staunen bei dieser Erscheinung ergriffen, faßte er sogleich den Entschluß, sein Leben zu bessern; als dann noch die Gewalt seiner Worte ihn erschütterte, wie wenn ein geistiges Schwert, das aus des Heiligen Mund kam, ihn durchbohrte, da sagte er aller Ehre der Welt Lebewohl und schloß sich dem seligen Vater durch das Gelübde an. Als der Heilige sah, wie er sich von der unruhigen Welt vollkommen zum Frieden Christi bekehrte, nannte er ihn deshalb Bruder Pazifikus. Später gelangte er zu großer Heiligkeit und übte als erster in Frankreich das Amt des Provinzialministers aus. Bevor er jedoch diese Aufgabe übernahm, ward er wiederholt gewürdigt, auf Franziszi Stirn ein großes Tau zu sehen, das durch seine Farbenpracht dem Antlitz des Heiligen eine seltene Schönheit verlieh. Dies Zeichen verehrte der Heilige mit besonderer Liebe. Oft empfahl er es in seinen Unterweisungen und setzte es eigenhändig unter seine kleinen Briefe, die er verschickte, als ob sein ganzes Streben darauf gerichtet sei, das Tau auf die Stirn der Männer zu zeichnen, die seufzen und trauern, wie der Prophet sagt, d.h. der Menschen, die sich in Wahrheit zu Jesus Christus bekehrt haben.

10. 
Als sich im Laufe der Zeit die Zahl der Brüder vermehrt hatte, begann der wachsame Hirte sie nach Santa Maria von Portiunkula zum Generalkapitel zu berufen, um jedem nach dem Maßstab göttlicher Verteilung im Lande des Elends seinen Teil an Gehorsam zuzuteilen. Obwohl dort an allem Notwendigen Mangel herrschte, kam dort die Brüderschar - zuweilen mehr als fünftausend - zusammen, aber Gottes Güte half ihnen; stets war genügend zum Leben da, und es fehlte nicht an körperlicher Gesundheit und geistlicher Freude. An den Provinzkapiteln konnte Franziskus zwar nicht persönlich teilnehmen, doch war er im Geiste durch seine eifrige Hirtensorge, sein inständiges Beten und seinen wirksamen Segen zugegen, obwohl er zuweilen dank der Wunderkraft Gottes auch sichtbar den Brüdern erschien. So predigte nämlich einmal der ausgezeichnete Prediger Antonius, den wir jetzt als berühmten Bekenner Christi verehren, auf dem Kapitel zu Arles für die Brüder über die Aufschrift des Kreuzes: "Jesus von Nazareth, König der Juden". Als dabei auf Gottes Geheiß ein in der Tugend erprobter Bruder namens Monald zur Tür des Kapitelsaales schaute, sah er mit seinen leiblichen Augen, wie Franziskus in der Luft schwebend mit in Kreuzesform ausgebreiteten Händen die Brüder segnete. Da fühlten sich alle Brüder mit so großer und außergewöhnlicher Tröstung des Geistes erfüllt, daß der Geist ihnen Zeugnis über die wirkliche Gegenwart des heiligen Vaters gab. Überdies haben das später nicht nur einsichtige Zeichen, sondern auch die Worte des heiligen Vaters selbst auch rein äußerlich bestätigt. Wir dürfen daher glauben, die allesvermögende Kraft Gottes, die einst den heiligen Bischof Ambrosius beim Begräbnis des glorreichen Martinus zugegen sein und den heiligen ;Bischof durch sein frommes Gebet verehren ließ, habe auch seinen Diener Franziskus bei der Predigt seines getreuen Herolds Antonius anwesend sein lassen und dadurch dessen Worte als wahr erwiesen, besonders jene über das Kreuz Christi, dessen Träger und Diener Franziskus war.

11. 
Da sich nun der Orden ausbreitete, beschloß er, die von Papst Innozenz gutgeheißene Lebensform durch seinen Nachfolger Honorius für alle Zeit bestätigen zu lassen. Dazu wurde er durch eine Offenbarung Gottes aufgefordert. Es kam ihm vor, er lese vom Boden ganz kleine Brotkrumen auf und müsse sie den hungrigen Brüdern, die ihn umstanden, zu essen geben. Da er aber fürchtete, die Brosamen könnten seiner Hand entfallen, wenn er sie austeile, sprach eine Stimme vom Himmel zu ihm: "Franziskus, mach aus all diesen Brosamen eine Hostie und verteile sie unter jene, die davon genießen wollen!" Das tat er auch. Wer jedoch ohne Andacht davon aß oder die empfangene Gabe verachtete, wurde bald durch Anzeichen von Aussatz sichtlich geschlagen. Am anderen Morgen erzählte der Heilige seinen Brüdern alles und bedauerte nur, daß er den geheimnisvollen Sinn des Geschauten nicht verstehe. Als er jedoch am folgenden Tag in wachem Zustand dem Gebete oblag, hörte er, wie vom Himmel her eine Stimme also zu ihm sprach: "Franziskus, die Brosamen, die du in der letzten Nacht geschaut hast, versinnbilden die Worte des Evangeliums, die Hostie die Regel und der Aussatz die Bosheit." Die Ordensregel war tatsächlich eine Zusammenstellung von Worten des Evangeliums und sehr umfangreich. Als er sie daher zur Bestätigung in eine knappere Form, wie ihn das Gesicht belehrt hatte, bringen wollte, begab er sich mit zwei Gefährten auf Antrieb des Heiligen Geistes auf einen Berg, wo er mit Wasser und Brot zufrieden war und unter Fasten sie so niederschreiben ließ, wie der Heilige Geist es ihm während des Gebetes eingab. Als er dann vom Berge heruntergekommen war, gab er sie seinem Vikar; doch dieser versicherte nach wenigen Tagen, er habe sie aus Unachtsamkeit verloren. Daher begab der Heilige sich abermals in die Einsamkeit, schrieb die Regel dort sogleich wie vorher nieder, als wenn er aus Gottes Mund die Worte empfinge, und erlangte von dem genannten Papst Honorius im achten Jahre seiner päpstlichen Regierung die Bestätigung. Um aber die Brüder zu ihrer Beobachtung kräftig anzuspornen, pflegte er zu sagen, er habe nichts nach eigener Erfindung hineingesetzt, sondern alles so aufschreiben lassen. wie es ihm von Gott geoffenbart worden sei. Damit seine Worte aber durch Gottes Zeugnis noch mehr bekräftigt würden, empfing er schon nach wenigen Tagen aus der Hand des lebendigen Gottes die Wundmale des Herrn Jesus. Sie sind gleichsam die Bulle des Hohenpriesters Christus, die in aller Form die Regel bestätigen und ihren Verfasser empfehlen sollte. Davon müssen wir aber noch später an anderer Stelle sprechen, wenn wir zuvor von seinen Tugenden berichtet haben.

V. Kapitel 
Sein strenges Leben und der Trost, den ihm die Geschöpfe bereiteten

1. 
Da der Gottesmann Franziskus sah, wie auf sein Beispiel hin viele begeistert ihr Kreuz mit Freuden trugen, suchte auch er als guter Führer der Heerschar Christi eifrig durch außergewöhnliches, unübertreffliches Tugendleben die Siegespalme zu erlangen. Darum beherzigte er jenes Apostelwort: "Die aber Christus angehören, haben ihr Fleisch mitsamt den Leidenschaften und Gelüsten ans Kreuz geschlagen!" Um an seinem Leibe die Rüstung des Kreuzes zu tragen, nahm er die sinnlichen Gelüste in so strenge Zucht, daß er sich kaum gestattete, was zur Erhaltung seines Lebens erforderlich war. Schwer sei es, sagte er oft, dem Körper das Notwendige zu gewähren, ohne zugleich auch dem Verlangen der Sinne nachzugeben. War er darum gesund, dann gestattete er sich kaum oder selten gekochte Speisen; nahm er sie aber zu sich, so mischte er Asche darunter oder machte sie - wie er es meist tat - durch Begießen von Wasser unschmackhaft. Muß ich überhaupt vom Genuß des Weines sprechen, da er doch kaum genug Wasser trank, wenn ihn brennender Durst quälte? Stets fand er neue Wege, um größere Enthaltsamkeit zu üben, und durch die Übung gelangte er von Tag zu Tag zu größerer Meisterschaft. Obgleich er schon den Gipfel der Vollkommenheit erreicht hatte, übte er, als wenn er immer erst begänne, etwas Neues und hielt durch Züchtigung des Fleisches die Begierlichkeit in Schach.

Weilte er außerhalb des Klosters, paßte er sich, wie es das Evangelium lehrt, in der Art der Speise seinen Gastgebern an, doch nach seiner Rückkehr ins Kloster beobachtete er wieder genau sein strenges Fasten und Entsagen. So war er gegen sich streng, gegen den Mitmenschen milde, gegen das Evangelium in allen Stücken gehorsam und gab nicht allein, wenn er fastete, sondern auch, wenn er aß, ein erbauliches Beispiel. Oft diente der nackte Boden seinem müden Körper als Ruhestätte. Nicht selten schlief er im Sitzen, wobei er sein Haupt auf ein Stück Holz oder einen Stein stützte. Er trug ein einziges, ärmliches Gewand und diente dem Herrn in Blöße und Kälte. 

2. 
Als man ihn einmal fragte, wie er sich bei so dünner Kleidung gegen die grimmige Kälte im Winter schätzen könne, gab er im Eifer des Geistes zur Antwort: "Wenn unser Herz vor Sehnsucht nach dem himmlischen Vaterland brennte, ertrüge unser Leib diese Kälte leicht." Weichliche Kleider verabscheute, rauhe liebte er und wies darauf hin, daß der Mund Gottes deswegen den Täufer Johannes gelobt habe. Schenkte man ihm ein Gewand, das nach seiner Meinung nicht rauh genug war, so brachte er von innen Stricke an; nach dem Wort der Wahrheit habe man nämlich weichliche Kleider nicht in den Hütten der Armen, sondern in den Palästen der Reichen zu suchen. Aus eigener Erfahrung hatte er nämlich die Gewißheit gewonnen, ein rauhes Gewand entmutige den Teufel, ein üppiges und weiches reize ihn aber zu heftigen Nachstellungen. 

Als daher eines Nachts wegen seines Kopf- und Augenleidens sein Haupt gegen seine Gewohnheit auf einem Federkissen ruhte, drang der Teufel in dieses, ließ ihm bis zur Morgenstunde keine Ruhe und störte ihn auf vielfache Weise beim Gebet. Schließlich rief er seinen Gefährten und ließ das Kissen samt dem Teufel aus der Zelle weit wegschaffen. Kaum hatte der Bruder mit dem Kissen die Zelle verlassen, verlor er die Kraft und den Gebrauch aller seiner Glieder, bis er auf das Wort des Heiligen Vaters, der im Geiste alles geschaut hatte, die gewohnte Gewalt über seinen Geist und seinen Körper völlig zurückgewann.

3. 
Durch strenge Zucht stand er auf der Warte über sich selbst und wandte alle erdenkliche Mühe auf, um die Reinheit seines inneren und äußeren Menschen zu wahren. Zu Anfang seiner Umkehr warf er sich deshalb nicht selten zur Winterszeit in eine Grube mit Schnee und wälzte sich darin hin und her. Dadurch wollte er den Feind in seinem Innern völlig bezwingen und das strahlende Gewand der Reinheit vor der glühenden Begierlichkeit schützen. Unvergleichlich leichter sei es für einen geistlichen Menschen, sagte er, an seinem Leibe bittere Kälte als in seinem Herzen das Feuer auch nur geringer fleischlicher Lust zu ertragen.

4. 
Als er aber eines Nachts bei der Einsiedelei Satriano betend in einer Zelle weilte, rief ihn der alte Feind dreimal mit Namen: "Franziskus, Franziskus, Franziskus!" Als er ihn fragte,. was er wolle, meinte dieser hinterhältig: "Auf der ganzen Welt gibt es keinen Sünder, dem Gott nicht verziehe, wenn er sich bekehrt. Wer sich aber durch harte Buße zugrunde richtet, wird in Ewigkeit kein Erbarmen finden." Sogleich erkannte der Gottesmann durch Offenbarung des Feindes Arglist, der ihn zu einem bequemen Leben verleiten wollte. Denn das bewies das folgende Ereignis. Gleich nach der Einflüsterung dessen, der mit seinem Fauchen Kohlen entfacht, kam eine heftige Versuchung des Fleisches über ihn. Sobald der Freund eines makellosen Lebens das gewahrte, warf er seinen Habit ab und begann, sich mit seinem Strick heftig zu geißeln. "Jetzt, Bruder Esel", sagte er, "mußt du aushalten, jetzt sollst du Schläge bekommen. Das Ordenskleid gehört dem Orden, es deutet auf ein heiliges Leben, und kein Lüsterner darf es rauben. Wenn du jetzt noch weiter Gelüste hast, dann wage sie nur zu zeigen!" 

Von außerordentlicher Glut des Geistes ergriffen, öffnete er weiterhin die Tür seiner Zelle, ging hinaus in den Garten, warf seinen bereits entblößten Körper in den tiefen Schnee und begann mit vollen Händen sieben Klumpen aus Schnee zu bilden. Dann stellte er sich davor und sprach zu seinem äußeren Menschen also: "Sieh, dieser größere ist deine Gattin, diese vier sind deine beiden Söhne und Töchter, die beiden anderen dein Knecht und deine Magd, die zum Dienste nötig sind. Nun bekleide sie schnell, denn sie sterben vor Kälte! Dünkt dich aber die vielfache Sorge eine zu große Last, dann diene voll Eifer dem einen Herrn!" Da schlich sich sogleich der Versucher beschämt von dannen, und der Heilige kehrte als Sieger in seine Zelle zurück; denn als sein Körper zur Strafe die Kälte zu spüren bekam, erlosch in seinem Herzen die Glut der Begierde, so daß sie sich künftig nicht mehr regte. Ein bestimmter Bruder, der gerade im Gebete weilte, konnte dies alles beim klaren Mondschein beobachten. Als der Gottesmann erfuhr, jener habe in dieser Nacht alles gesehen, erzählte er ihm den Verlauf jener Anfechtung; dann befahl er ihm, keinem Menschen etwas von dem Gesehenen zu sagen, solange er noch am Leben sei.

5. 
Er belehrte aber seine Brüder, sie müßten nicht allein die Fleischessünden meiden und das Verlangen danach durch Abtötung in Zucht halten, sondern auch die äußeren Sinne, durch die der Tod in die Seele eindringe, mit größter Umsicht bewachen. Vertraulichkeit mit Frauen, Unterhaltungen mit ihnen und deren Anblick, der für viele Anlaß zur Sünde sei, befahl er, ängstlich zu meiden; er versicherte ihnen, alles dies bringe einen schwachen Geist zu Fall und mache sogar einen starken oft schwach. Mit ihnen zusammenzusein und der Gefahr entrinnen, sei, wenn es sich nicht um einen erprobten Mann handle, genauso schwer, wie nach dem Wort der Schrift auf glühenden Kohlen zu wandeln, ohne sich die Füße zu verbrennen. Er selbst hielt seine Augen so abgewandt, um nicht so Eitles zu sehen, daß er fast keine von Angesicht kannte, wie er einmal seinem Gefährten gestand. Denn er hielt es nicht für ungefährlich, ihre Wohlgestalt auf sich einwirken zu lassen, da dies selbst die bezähmte Sinnlichkeit wieder anfachen oder den Glanz eines reinen Geistes trüben könne. 

Auch versicherte er, wer sich mit Frauen unterhalte, handle vermessen, sofern es nicht um das Bußsakrament oder eine kurze Unterweisung gehe, die ihrem ewigen Heile diene und dem Anstand entspreche. "Was hat schon ein Ordensmann", sagte er. "mit einer Frau zu verhandeln, wenn sie nicht aus Frömmigkeit das Bußsakrament oder einen Rat zur Lebensbesserung erbittet? Zu großes Sicherheitsgefühl unterschätzt den Feind, und der Teufel dreht uns schnell einen Strick daraus, wenn er von uns nur ein Haar erwischen kann."

6. 
Er lehrte auch, den Müßiggang als Nährboden aller schlimmen Gedanken nach Kräften zu fliehen. Er zeigte nämlich durch sein Beispiel, wie man den widerstrebenden und trägen Leib durch ständige Zucht und nutzbringende Arbeit im Zaum halten müsse. Darum nannte er seinen Leib "Bruder Esel", weil er schwere Lasten tragen, häufig Schläge erhalten und minderwertiges Futter bekommen müsse. Wenn er aber sah, wie ein Bruder müßig umherging und sich von der Arbeit der anderen ernähren wollte, nannte er ihn "Bruder Mücke", weil ein solcher selbst nichts Gutes tue, das Gute anderer verderbe und sich dadurch bei allen ehrlos und verächtlich mache. Darum sagte er eines Tages: "Ich will, daß alle meine Brüder arbeiten und sich mühen, damit sie sich nicht dem Müßiggang ergeben und Herz und Zunge sich nicht in dem ergehen, was verboten ist." Er wollte auch, daß alle Brüder nach dem Evangelium Schweigen beobachteten, damit sie sich allzeit ängstlich vor jedem müßigen Wort hüteten, weil sie am Tage des Gerichtes darüber Rechenschaft ablegen müßten. Traf er aber einen Bruder an, der unnütze Reden hielt, tadelte er ihn heftig. Er sagte dann, bescheidenes Schweigen sei für ein reines Herz der beste Schutz und keine geringe Tugend; Tod und Leben stünden in der Zunge Gewalt nicht so sehr wegen der Genußsucht als wegen der Sucht zu reden.

7. 
Mochte er auch sein Bestes tun, um die Brüder zu einem strengen Leben anzuleiten, so gefiel ihm doch nicht jene unnahbare Strenge, die kein herzliches Erbarmen kennt und nicht mit dem Salz klugen Maßhaltens gewürzt ist. Denn als eines Nachts ein Bruder wegen seines zu strengen Fastens so vom Hunger gequält wurde, daß er keine Ruhe fand, und der gütige Hirt erkannte, seinem Schäflein drohe Gefahr, rief er den Bruder, brachte Brot herbei und begann, um ihm die Scheu zu nehmen, als erster zu essen und forderte ihn liebevoll zum Essen auf. Da überwand der Bruder alle Verlegenheit, nahm von der Speise und freute sich gar sehr, daß die umsichtige Milde seines Hirten ihn von körperlichem Weh befreit und ihm zur Erbauung ein nicht alltägliches Beispiel gegeben hatte. Am anderen Morgen aber rief der Gottesmann seine Brüder zu sich und berichtete ihnen, was sich in der Nacht zugetragen hatte. Dann schloß er mit der weitschauenden Mahnung: "Brüder, nehmt euch nicht das Essen, sondern die Liebe zum Vorbild!" Er lehrte sie auch, stets kluges Maßhalten zu üben, um das Tugendleben zu lenken', freilich nicht jenes, das unser Leib, sondern das Christus anrät, der in seinem heiligsten Leben sich als Ieuchtendes Vorbild jeglicher Vollkommenheit erwiesen habe.

8. 
Da der Mensch mit dem schwachen Fleische bekleidet ist, kann er dem makellosen, gekreuzigten Lamm nicht nachfolgen, ohne daß er sich irgendwie beschmutzt. Darum gab er ihnen die feste Mahnung, alle, die nach einem vollkommenen Leben strebten, müßten sich täglich im Strome ihrer Tränen reinigen. Obwohl er schon zu einer staunenswerten Reinheit des Herzens und des Leibes gelangt war, läuterte er doch unaufhörlich durch Ströme von Tränen die Augen seines Geistes, ohne darauf zu achten, daß er damit seinen leiblichen Augen schade. Als er sich nämlich durch sein ständiges Weinen eine sehr schwere Augenerkrankung zugezogen hatte, riet ihm der Arzt, er solle sich der Tränen enthalten, wolle er völliger Erblindung entgehen. Doch der Heilige gab zur Antwort: "Bruder Arzt, das Augenlicht haben wir mit den Mücken gemeinsam. Darum dürfen wir ihm zuliebe nicht die geringste Heimsuchung des ewigen Lichtes zurückweisen, denn der Geist hat nicht um des Fleisches, sondern das Fleisch um des Geistes willen die Gabe des Augenlichtes empfangen." Er wollte nämlich lieber auf das Licht der leiblichen Augen verzichten, als die Tränen auf Kosten seiner innigen Frömmigkeit unterdrücken, denn sie reinigen die Augen des Geistes, damit er Gott schauen kann.

9. 
Einmal gaben ihm die Ärzte den Rat, und auch die Brüder baten ihn dringend, er möge sich zur Heilung seines Augenleidens dem Brennen unterziehen. In seiner Demut stimmte der Gottesmann zu, weil er es als heilsam für seine Augen und als schmerzhaft zugleich erachtete. Der Wundarzt wurde gerufen und legte das Brenneisen ins Feuer, um das Brennen vorzunehmen. Zuerst durchfuhr ein Schrecken den Körper des Heiligen, dann faßte er wieder Mut und sagte zum Feuer: "Mein Bruder Feuer, der Allerhöchste hat dich vor anderen Geschöpfen an Schönheit reicher bedacht und dich kraftvoll, schön und nützlich erschaffen. Sei mir in dieser Stunde geneigt, sei gut zu mir! Ich bitte den großen Herrn, der dich geschaffen hat, er möge deine Glut bei mir lindern und so schonend brennen, daß ich es aushalten kann." Als er sein Gebet beendet hatte, machte er über das im Feuer erglühte Brenneisen das Kreuzzeichen und hielt dann ohne Furcht aus. Zischend grub sich das Eisen tief in sein zartes Fleisch, und der Arzt machte eine Brandwunde vom Ohr bis zu den Augenbrauen. Was jenes Brennen ihm an Schmerzen bereitet hat, hat der Heilige selbst verraten. "Lobt den Allerhöchsten", sagte er zu seinen Brüdern, "denn ich sage euch die Wahrheit: Ich habe weder des Feuers Glut noch irgendeinen Schmerz an meinem Körper empfunden." Und zum Ärzte gewandt, sagte er: "Wenn mein Fleisch noch nicht genug gebrannt ist, drücke das Eisen nochmals hinein!" Der Arzt, der an diesem kranken Leib solche Kraft des Geistes gewahrte, wunderte sich und pries dieses Wunder Gottes mit den Worten: "Brüder, ich sage euch: Ich habe heute unglaubliche Dinge gesehen". 

Da Franziskus eine solche Reinheit erlangt hatte, daß sein Leib mit dem Geiste und sein Geist mit Gott in wunderbarer Eintracht verbunden waren, geschah es nach Gottes Anordnung, daß die Kreatur, die ihrem Schöpfer ganz untertan ist, sich auch des Heiligen Willen und Befehl wunderbar unterworfen zeigte.

10. 
Als der Knecht Gottes ein anderes Mal bei der Einsiedelei. Sankt Urbano schwer krank darniederlag und er in einem Schwächeanfall um einen Becher Wein bat, antwortete man ihm, es sei kein Wein da, den man ihm reichen könne. Da ließ er sich Wasser bringen und segnete es durch das Kreuzzeichen. Was vorher klares Wasser gewesen, wurde sogleich bester Wein, und was ihm die arme Einsiedelei nicht geben konnte, erlangte die Reinheit des Heiligen von Gott. Durch diesen Trunk wurde er wie durch ein Wunder sogleich gesund; daß er vollkommen den alten Menschen ausgezogen und den neuen angezogen hatte, bewies damals ein doppeltes Zeugnis: Gott veränderte den Geschmack des Wassers und machte ihn gesund, indem der Trank und der Trinkende durch das Wunder zugleich verändert wurden.

11. 
Dem Diener Gottes diente nicht allein das Geschöpf aufs Wort; seinem Wunsche willfahrte auch allenthalben die Vorsehung des Schöpfers. Als nämlich einmal viele Krankheiten zugleich seinen Körper quälten, hätte er gern irgendeine liebliche Musik gehört, um seinen Geist froh zu stimmen. Aus Schicklichkeitsgründen wollte er aber dazu keinen Menschen in Anspruch nehmen. Darum kamen Engel, um seinen Wunsch zu erfüllen. Als er nämlich eines Nachts wach da lag und über seinen Herrn nachdachte, erklang plötzlich ein Zitherspiel von wunderbarer Harmonie und lieblicher Melodie. Er sah zwar niemand; das Hin-und Herfluten des Liedes verriet aber die Bewegungen des Zitherspielers. Während sein Geist bei Gott weilte, erfüllte ihn die liebliche Melodie mit solcher Wonne, daß er sich in die andere Welt versetzt fühlte. Dies blieb auch seinen vertrauten Gefährten nicht verborgen. An sicheren Anzeichen erkannten sie, daß Gott ihn mit so außergewöhnlichen und vielfachen Tröstungen heimgesucht habe, daß er sie nicht ganz verheimlichen konnte.

12. 
Als der Gottesmann ein anderes Mal mit seinem Gefährten eine Predigtreise von der Lombardei zur Mark Treviso unternahm, überraschte ihn in der Nähe des Po plötzlich die finstere Nacht. Da aber infolge der Finsternis und sogar des Flusses und der Sümpfe der Weg voll großer, mannigfacher Gefahren war, sagte der Gefährte zum Heiligen: "Bete, Vater, Gott möge uns aus den drohenden Gefahren erretten!" Da antwortete ihm der Gottesmann voll großer Zuversicht: "Wenn es Gottes Güte gefällt, hat er Macht, diese gefährliche Finsternis zu verscheuchen und uns die Gabe des Lichtes zu schenken." Kaum hatte er diese Worte beendet, siehe, da leuchtete durch Gottes Macht sogleich ein solches Licht, daß sie in seinem hellen Scheine nicht nur den Weg, sondern auch vieles andere in ihrer Umgebung erkennen konnten, obwohl sonst finstere Nacht herrschte. Dieses Licht leuchtete ihnen dem Leibe und stärkte sie dem Geiste nach. So gelangten sie, Gott lobend und dankend, nach einer nicht gerade kurzen Wanderung unversehrt in ihrer Herberge an. Erwäge, welche außergewöhnliche Reinheit und große Macht jener Mann besaß, daß nach seinem Wunsch das Feuer seine Glut verlor, das Wasser seinen Geschmack änderte, des Engels Spiel ihn tröstete und himmlisches Licht ihn auf dem Wege begleitete. Daraus läßt sich ersehen, wie die ganze große Welt den geläuterten Wünschen des Heiligen gedient hat.

VI. Kapitel 
Seine Demut, sein Gehorsam und die von Gott erlangten Herablassungen

1. 
In hohem Maße beseelte den Gottesmann auch die Demut, die allen Tugenden Schutz und Glanz verleiht. Er war nämlich in seinen eigenen Augen nur ein Sünder, obwohl er in Wahrheit ein hell leuchtender Spiegel jeglicher Heiligkeit war. Sein Leben suchte er auf diese Tugend zu gründen, indem er als weiser Baumeister jenes Fundament legte, wie es Christus gelehrt hattet. Oft sagte er, Gottes Sohn sei deshalb vom Himmel aus dem Schoß des Vaters auf unsere armselige Erde herabgestiegen, um als Herr und Meister durch Beispiel und Wort die Demut zu lehren. Darum wollte er als Jünger Christi in seinen und der Mitmenschen Augen verachtet erscheinen und rief sich das Wort des höchsten Meisters ins Gedächtnis: "Was bei den Menschen als erhaben gilt, ist vor Gott ein Greuel." Auch dieses Wort sagte er oft: "Was der Mensch in Gottes Augen gilt, das ist er und nicht mehr." Darum betrachtete er es als Torheit, sich von den Menschen ehren zu lassen, freute sich indes, wenn man ihn schalt, war traurig, wenn man ihn lobte. Er hörte lieber, daß man ihn tadelte, als daß man ihn lobte. Denn er wußte, daß Tadel zur Besserung des Lebens führt, Lob aber zum Falle. Wenn daher die Menschen seine heiligen Verdienste priesen, befahl er oft einem Bruder, ihm als Heilmittel dagegen Schmähworte ins Angesicht zu sagen. Wenn dann der Bruder, sei es auch gegen seinen Willen, ihn einen ungebildeten und selbstsüchtigen, dummen und unnützen Menschen nannte, gab er strahlend vor echter Freude zur Antwort:- "Der Herr segne dich, mein lieber Sohn, denn du sagst die volle Wahrheit! Der Sohn des Pietro Bernardone muß solche Worte hören." 

2. 
Um sich aber auch bei anderen verächtlich zu machen' schämte er sich nicht, vor allen Leuten in der Predigt seine eigenen Fehler zu offenbaren. Einmal hatte er wegen Krankheit ein wenig die strenge Enthaltung von Fleisch gemildert, um wieder gesund zu werden. In etwa wieder zu Kräften gekommen, ermahnte er sich in echter Selbstverachtung, seinen Leib zu schmähen. "Es schickt sich nicht", sagte er, "wenn das Volk mich für einen enthaltsamen Menschen hält, während ich heimlich Fleisch esse." Vom Eifer für die heilige Demut ergriffen, machte er sich darum auf, rief das Volk auf dem Platz Assisis zusammen und zog feierlich mit seinen Brüdern, die er mitgenommen hatte, in den Dom. Dann ließ er sich bis auf die Hosen entkleiden und mit einem Strick um den Hals vor aller Augen zu dem Stein führen, auf dem die Übeltäter zur Strafe angeprangert wurden. Dann stieg er auf den Stein und predigte, obwohl er noch fieberte und schwach war, trotz grimmiger Kälte mit großer Kraft des Geistes. Er rief, daß alle es hören konnten, man solle ihn nicht als einen geistigen Menschen ehren, sondern als fleischlichen Menschen und Schlemmer verachten. Die Anwesenden staunten über dieses ungewöhnliche Schauspiel. Da sie sein strenges Leben aber gar zu gut kannten, wurden sie zu großer Andacht des Herzens gerührt und meinten, solcher Art Demut sei eher zu bewundern als nachzuahmen. Wenn dies auch nach dem Wort des Propheten eher zur Bewunderung als zum Vorbild diente, so war es doch ein echtes Zeugnis seiner vollkommenen Demut, das dem, der Christus nachfolgen will, zeigt, wie man vergängliche Ehrenbezeugungen verachten, stolze und angeberische Prahlerei ersticken und verlogene Heuchelei beschämen soll.

3. 
Oft tat er solches in einer Weise, damit er nach außen wie ein wertloses Gefäß erschiene und er im Herzen doch den Geist der Heiligkeit bewahrte. Sein ganzes Streben war darauf gerichtet, die Gabe seines Herrn in die Kammer seines Herzens zu verschließen, denn er wollte sie nicht Menschenlob preisgeben, was ihm Anlaß zum Verderben geben könnte. Oft sagte er nämlich, wenn viele ihn selig priesen: "Lobt mich nicht, als wäre ich unanfechtbar, denn ich könnte noch Söhne und Töchter erhalten! Man soll niemand loben, dessen Ende noch ungewiß ist". So sprach er zu jenen, die ihn lobten. Zu sich selbst aber sagte er: "Hätte der Allerhöchste einem Räuber solche Gnaden geschenkt, er wäre dankbarer als du, Franziskus." Auch sagte er oft zu seinen Brüdern: "Niemand soll sich in ungerechter Selbstüberhebung der Taten rühmen, die auch ein Sünder vollbringen kann. Ein Sünder", fuhr er fort, "kann fasten, beten, weinen und seinen Leib kasteien. Nur eins kann er nicht: seinem Herrn treu bleiben. Dessen also sollen wir uns rühmen, daß wir dem Herrn die ihm gebührende Ehre geben, wenn wir getreu in seinem Dienste bleiben und ihm das zuschreiben, was er uns schenkt."

4. 
Um aber wie der Kaufmann des Evangeliums auf vielfache Weise Gewinn zu erzielen und seine ganze Lebenszeit reich an Verdiensten zu machen, wollte er nicht Oberer, sondern Untergebener sein, nicht befehlen, sondern gehorchen. Darum entsagte er dem Amt eines Ordensgenerals und erbat sich einen Guardian, dessen Willen er stets untergeben sein wollte. Die Frucht des heiligen Gehorsams sei so kostbar, versicherte er, daß allen, die ihren Nacken unter sein Joch beugen, kein Augenblick ohne Verdienst vorübergehe. Daher hatte er sich daran gewöhnt, dem Gefährten, der ihn zu begleiten pflegte, Gehorsam zu versprechen und zu leisten. Den Mitbrüdern sagte er einmal: "Unter anderen hat Gott in seiner Huld mir auch diese Gnade verliehen, daß ich selbst einem Novizen, der erst vor einer Stunde in den Orden aufgenommen wurde, ebenso gehorchen möchte, wenn er mir zum Guardian gegeben würde, wie dem ältesten und erfahrensten Bruder. Der Untergebene", fuhr er fort, "soll in seinem Obern nicht den Menschen sehen, sondern Gott, dem zuliebe er Untergebener ist. Je verachtungswürdiger aber der Vorgesetzte ist, desto wohlgefälliger ist die Demut des Gehorsams." Als man ihn eines Tages fragte, wen man für wahrhaft gehorsam halten dürfe, wählte er das Gleichnis vom Leichnam, um dies klarzumachen. "Nimm", sagte er, "einen entseelten Körper und stelle ihn, wohin du willst. Du wirst sehen, daß er keinen Widerstand leistet, wenn du ihn bewegst, nicht murrt, wenn du ihn sitzen, und nicht klagt, wenn du ihn fallen läßt. Setzt du ihn auf einen Thron, dann richtet er seinen Blick nicht nach oben, sondern nach unten. Legst du ihm Purpurkleider an, sieht er desto bleicher aus. Der ist wahrhaft gehorsam", schloß Franziskus, "wer nicht fragt, warum man ihn bewegt, sich nicht sorgt, wohin man ihn stellt, nicht darum bittet, ihn anderswohin zu senden, die gewohnte Demut bewahrt, wenn man ihm ein Amt anvertraut, und sich um so unwürdiger erachtet, je mehr man ihn ehrt."

5. 
Einmal sprach er zu seinem Gefährten: "Ich halte mich nicht für einen echten Minderbruder, wenn ich nicht so gesonnen bin, wie ich dir jetzt beschreibe. Siehe, als Oberer der Brüder gehe ich zum Kapitel, belehre und ermahne sie. Schließlich schilt man mich: ,Du taugst nicht für uns, denn du bist nicht gebildet und nicht beredt, ungelehrt und einfältig'. Dann setzt man mich mit Schande ab, und ich werde von allen verachtet. Ich sage dir aber, wenn ich dies nicht mit unveränderter Miene, mit gleich frohem Herzen und gleichem Willen, heilig zu werden, anhören kann, bin ich keineswegs ein Minderbruder." Er fügte dann noch hinzu: "Hohes Amt kann zum Sturz und Lob zum Fall führen, die Demut des Untergebenen aber bringt seiner Seele Gewinn. Warum streben wir also mehr nach der Gefahr als dem Gewinn, da uns doch die Zeit gegeben ist, um Gewinn zu erwerben?" Franziskus, selbst ein Vorbild der Demut, wünschte aus diesem Grunde, daß seine Brüder „Minderbrüder" und die Ordensobern "Diener" genannt würden. Er wollte sich damit der Worte des Evangeliums bedienen, das er zu halten versprochen hatte, und seine Jünger durch diesen Namen daran erinnern, daß sie zur Erlernung der Demut zum demütigen Christus in die Schule gegangen seien. Denn Jesus Christus hat als Lehrer der Demut, um seine Jünger in der vollkommenen Demut zu unterweisen, gesagt: "Wer unter euch der Größte werden will, sei euer Diener. Wer unter euch der erste sein will, der sei euer Knecht". Nun war der Kardinal von Ostia der Schützer und eifrige Förderer des Minderbrüderordens und wurde später, wie es der Heilige ihm vorhergesagt hatte, als Gregor IX. zur erhabenen Würde des Papsttums erhoben. Als er den Heiligen eines Tages fragte, ob er einverstanden sei, daß seine Brüder kirchliche Würden bekleideten, gab Franziskus zur Antwort: "Herr, meine Brüder heißen deshalb ‘Minderbrüder', daß sie sich niemals anmaßen, Höhere zu werden. Wenn ihr wollt, daß sie für die Kirche Gottes Frucht tragen, dann haltet und bewahrt sie in dem Stand, zu welchem sie berufen sind, und laßt keinesfalls zu, daß sie zu höheren Würden aufsteigen."

6. 
Weil aber Franziskus für sich und seine Untergebenen jeglicher Ehre die Demut vorzog, hielt Gott, der die Demütigen liebt, ihn der höchsten Ehre wert, wie er einem Bruder, einem Mann von besonderer Tugend und Frömmigkeit, in einem himmlischen Gesicht zeigte. Als er den Gottesmann nämlich begleitete und mit ihm in einer verlassenen Kirche inständig betete," sah er in einer Verzückung unter den vielen Himmelsthronen einen, der alle anderen an Schönheit übertraf und mit Edelsteinen und jeglicher Zier geschmückt war. Während er noch über den Glanz dieses erhabenen Thrones bei sich nachdachte und voll Unruhe fragte, wer wohl auf diesen Thron erhoben werde, hörte er eine Stimme zu sich sagen: "Dieser Thron gehörte einem der gefallenen Engel und steht nun für den demütigen Franziskus bereit." Als der Bruder aus der Gebetsverzückung wieder zu sich kam, folgte er dem seligen Mann in gewohnter Weise, sobald er die Kirche verließ. Während sie dann miteinander des Weges gingen und zueinander von Gott sprachen, dachte der Bruder immer noch an das Gesicht und fragte den Heiligen geschickt, was er von sich halte. Da gab ihm der Diener Christi zur Antwort "Ich halte mich für den größten Sünder." Als ihm der Bruder darauf widersprach, er könne dies unmöglich mit gutem Gewissen von sich sagen oder denken, fügte er hinzu: "Wenn Christus einem noch so verkommenen Menschen solche Barmherzigkeit erwiesen hätte, ich glaube gewiß, er wäre Gott dankbarer als ich." Als der Bruder diese staunenswert demütige Antwort vernahm, sah er seine Vision als wahr bestätigt; nach dem Ausspruch des heiligen Evangeliums erkannte er nämlich, daß Gott den wirklich Demütigen zu jener erhabenen Herrlichkeit erhebt, von der er den Stolzen ausschließt.

7. 
Zu einer anderen Zeit betete er in einer verlassenen Kirche bei Monte Casale in der Provinz Massa und erkannte im Geiste, daß dort heilige Reliquien zurückgeblieben waren. Zu seinem großen Leid sah er, wie sie schon seit geraumer Zeit nicht die gebührende Verehrung fanden. Daher gab er den Brüdern den Auftrag, sie voll Ehrfurcht in ihr Kloster zu übertragen. Da er sie jedoch aus einem dringenden Grunde verlassen hatte, vergaßen die Söhne den Befehl ihres Vaters und gingen des verdienstlichen Gehorsams verlustig. Als sie aber eines Tages die heiligen Geheimnisse feiern wollten und vom Altar die Schutzdecke wegnahmen, fanden sie dort zu ihrem größten Erstaunen die schönen und wohlriechenden Gebeine und sahen jene Reliquien, die nicht Menschenhand, sondern Gottes Macht dorthin gebracht hatte. Als der fromme Vater bald darauf zurückkehrte, fragte er sie voll Sorge, ob sie seinen Auftrag wegen der Reliquien ausgeführt hätten. Doch da die Brüder wegen des versäumten Befehls voll Demut ihre Schuld bekannten, legte er ihnen eine Buße auf und verzieh ihnen. Dann sprach der Mann Gottes: "Der Herr, mein Gott, sei gepriesen, denn er selbst hat erfüllt, was ihr hättet tun sollen!" Betrachte voll Aufmerksamkeit, wie Gottes Vorsehung sich um uns, die wir Staub sind, kümmert, und erwäge die Tugend des demütigen Franziskus. Sie ist vor Gott so groß, daß er selbst seine Wünsche erfüllt, nachdem der Mensch seinen Wunsch nicht beachtet hat.

8. 
Als er eines Tages nach Imola kam, ging er zum Bischof der Stadt und bat ihn demütig, ob er mit seiner Erlaubnis das Volk zur Predigt zusammenrufen dürfe. Doch der Bischof gab ihm barsch zur Antwort: "Bruder, es genügt, wenn ich dem Volke predige." In echter Demut neigte Franziskus sein Haupt und ging weg, kam aber nach einer knappen Stunde wieder. Als der Bischof ihn nun etwas erregt fragte, um was er schon wieder bitten wolle, gab er mit demütigem Herzen und demütiger Stimme zur Antwort: "Herr, wenn ein Vater seinen Sohn zu der einen Tür hinausweist, kommt er schicklich zur anderen wieder herein." Von solcher Demut geschlagen, umarmte ihn der Bischof freudig und sprach: "Du und alle deine Brüder sollen künftig mit meiner allgemeinen Erlaubnis in meinem Bistum predigen dürfen, denn das verdient deine heilige Demut."

9. 
Einmal kam er zufällig nach Arezzo. Die ganze Stadt war dort durch Bürgerkrieg entzweit und schien dem Untergang geweiht. Er fand nahe bei der Stadt Herberge. Hier sah er, wie die Teufel über der Stadt frohlockten und die erregten Bürger zum gegenseitigen Morden aneiferten. Um nun die Geister des Aufruhrs in den Lüften zu vertreiben, sandte er Bruder Silvester, einen Mann mit der Einfalt einer Taube, als seinen Herold mit folgendem Auftrag vorauf: "Tritt vor das Stadttor und befiehl im Namen Gottes kraft des Gehorsams den Teufeln, schnell von dannen zu ziehen!" In echtem Gehorsam erfüllte er schnell den Befehl des Vaters. Und mit Lobliedern vor das Antlitz Gottes tretend, rief er am Stadttor mit lauter Stimme: "Kraft des allmächtigen Gottes und auf Befehl seines Dieners Franziskus: macht euch fort von hier, alle bösen Geister! Sogleich kehrte wieder Friede in die Stadt ein, und mit großer Besonnenheit reformierten alle Bürger ihre Verfassung. So wurden die unheilbringenden, hochmütigen Teufel verjagt, die jene Stadt wie bei einer Belagerung bedrängt hatten; dann kehrte die Weisheit des Armen, nämlich die Demut des Franziskus, in ihr ein, schenkte den Frieden wieder und rettete die Stadt. Wegen seiner heroischen Tugend demütigen Gehorsams hatte er über jene Geister des Aufruhrs und Verderbens eine solche Macht erlangt, daß er deren wilden Aufruhr niederschlug und ihre unheilvolle Gewalttätigkeit verscheuchte. 

10. 
Die stolzen Dämonen fliehen zwar vor den erhabenen Tugenden der Demütigen. Dennoch läßt der gütige Gott sie zuweilen von ihnen mit Faustschlägen mißhandeln, wie ja auch der Apostel Paulus von sich schreibt. Dies sollte auch Franziskus an sich erfahren. So hatte ihn einst der Herr Leo, Kardinal an Heilig Kreuz in Rom, gebeten, er möge eine Zeitlang bei ihm in der Stadt bleiben; weil er ihn ehrte und liebte, hatte er in Demut zugestimmt. Als er in der ersten Nacht nach seinem Gebet ruhen wollte, kamen die Teufel über den Ritter Christi und mißhandelten ihn. Als sie ihn lange Zeit schwer geschlagen hatten, ließen sie ihn schließlich wie einen Halbtoten liegen. Da sie ihn in Ruhe gelassen hatten, rief er seinen Gefährten und erzählte ihm den ganzen Hergang. Und er schloß: "Bruder, ich glaube, die Dämonen, die nur so viel vermögen, als Gottes Vorsehung ihnen gestattet, haben mich jetzt deshalb so übel zugerichtet, weil mein Aufenthalt am Hof eines Großen keinen guten Eindruck macht. Meine Brüder wohnen ja in ärmlichen Klöstern; wenn sie aber hören, daß ich bei Kardinälen wohne, gerate ich bei ihnen in Verdacht, mich in weltliche Händel einzumischen, Ehrungen zu erstreben und ein Leben in irdischen Genüssen zu führen. Nach meiner Ansicht meidet jemand, der andern Vorbild sein soll, besser das Leben bei Hofe und weilt unter demütigen Menschen voll Demut in ärmlichen Häusern. Wenn er mit ihnen die gleiche Lebensweise teilt, erreicht er, daß auch sie Armut mit Starkmut ertragen." Am anderen Morgen gingen sie daher zum Kardinal, entschuldigten sich demütig und sagten ihm Lebewohl. 

11. 
Der Heilige haßte nämlich den Stolz als Wurzel aller Übel und den Ungehorsam als dessen schlimmste Frucht. In gleichem Maße aber liebte er demütige Buße. Einmal brachte man einen Bruder zu ihm, der sich gegen den Gehorsam verfehlt und strenge Strafe verdient hatte. Da der Gottesmann aber bei dem Bruder unverkennbare Zeichen aufrichtiger Reue sah, verzieh er ihm seiner Demut zuliebe. Damit aber die leichte Verzeihung den übrigen keinen Anlaß zu Verfehlungen böte, ließ er dem Bruder die Kapuze abnehmen und ins Feuer werfen, damit alle erkannten, wie große und harte Strafe der Ungehorsam verdiene. Als die Kapuze eine Zeitlang mitten im Feuer gelegen, befahl der Heilige, sie aus dem Feuer herauszunehmen und dem Bruder zurückzugeben. Doch welch ein Wunder! Als man die Kapuze aus den Flammen holte, zeigte sie keinerlei Spur von Verbrennung. So hat Gott durch ein und dasselbe Wunder die Macht des Heiligen und die demütige Buße empfohlen. Mit Recht nehmen wir uns darum die Demut des heiligen Franziskus zum Vorbild. Sie hat ja schon auf Erden eine so einzigartige Auszeichnung erhalten, daß sie Gott sich seinen Wünschen zuneigen ließ und des Menschen Sinn gewandelt, die wütenden Teufel durch seinen Befehl verjagt und das gierige Feuer mit einem bloßen Wink gezügelt hat. Wahrhaftig ist es diese Tugend, die ihre Träger erhöht, und während sie allen mit der schuldigen Ehrfurcht begegnet, wird sie mit Recht von allen geehrt.

VII. Kapitel 
Seine Liebe zur Armut und Gottes wunderbare Hilfe in der Not

1. 
Unter allen Gnadengaben, die der freigebige Spender alles Guten Franziskus verliehen hat, ließ Gott ihn in einem besonderen Gnadenerweis durch Liebe zur allerhöchsten Armut den Reichtum der Einfältigen erlangen. Diese Tugend hat der Sohn Gottes besonders geliebt, heute aber verachtet sie fast der ganze Erdkreis. Darum achtete der Gottesmann sie besonders und wollte sich mit ihr in ewiger Liebe vermählen: darum verließ er ihretwegen nicht bloß Vater und Mutter, sondern warf auch alles, was er besitzen konnte, von sich. Niemand kann mit größerem Verlangen nach dem Gelde streben, als er nach der Armut, noch kann jemand ängstlicher seine Schätze hüten, als er diese Perle des Evangeliums. Vor allem traf es darum sein Auge, wenn er bei seinen Brüdern etwas sah, was nicht in allem der Armut entsprach. Vom Beginn seines Ordens bis zu seinem Tod bestand tatsächlich sein ganzer Reichtum in einem Habit, einem Strick und den Hosen, und damit war er vollauf zufrieden. Oft betrachtete er unter Tränen die Armut Jesu Christi und seiner Mutter. Diese Tugend nannte er deshalb eine Königin, weil sie an dem König der Könige und seiner königlichen Mutter in so vorbildlicher Weise erstrahlte. Denn als die Brüder ihn auf einem Kapitel fragten, welche Tugend Christus besonders wohlgefällig mache, tat er ihnen sein Herzensgeheimnis kund, indem er zur Antwort gab: "Ihr sollt wissen, Brüder, die Armut ist ein vorzüglicher Weg zum Heile, denn sie nährt die Demut und ist die Wurzel der Vollkommenheit. Sie trägt mannigfache, wenn auch verborgene Früchte, ist sie doch nach dem Evangelium der Schatz, der im Acker verborgen ist, zu dessen Erwerb man alles verkaufen muß. Was man jedoch nicht verkaufen kann, muß man aus Liebe zu ihr verachten."

2. 
"Wer zu ihrer vollkommenen Übung gelangen will", sagte er, "muß nicht nur auf die Klugheit dieser Welt, sondern im gewissen Sinne auch auf wissenschaftliche Kenntnisse verzichten. So soll er, auch diesem Besitz entsagend, im Preise der Wunder des Herrn sterben und sich nackt in die Arme des Gekreuzigten werfen. Denn wer im Verborgenen seines Herzens sich als Eigentum sein eigenes Sinnen zurückbehält, hat der Welt in keiner Weise völlig entsagt." Wenn er von der Armut sprach, hielt er oft den Brüdern das Wort des Evangeliums vor Augen: "Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester, doch der Menschensohn hat nichts, wohin er sein Haupt lege." Darum hielt er seine Brüder an, sie sollten sich nach der Art der Armen ärmliche Häuser bauen und auch diese nicht als ihr Eigentum, sondern wie Pilger und Fremdlinge als fremden Besitz bewohnen. Die Lebensweise der Pilger verlange nämlich, daß man sich unter fremdem Dach beherbergen lasse, heißes Verlangen nach dem Vaterlande habe und friedfertig durch die Welt gehe. Zuweilen befahl er den Brüdern, die erbauten Häuser niederzureißen oder aufzugeben, wenn er etwas an ihnen gewahrte, was der evangelischen Armut zuwider war, weil man die Häuser als der Brüder Eigentum betrachtete oder sie zu kostspielig waren. Die Armut nannte er das Fundament seines Ordens. Auf ihr ruhe in erster Linie das ganze Ordensgebäude. Wenn man daher an der Armut festhalte, stehe es gefestigt da; wenn man sie aber umstoße, gerate auch der Orden in Verfall.

3. 
Wie ihm Gottes Offenbarung gezeigt hatte, lehrte er darum, wer zum Orden kommen wolle, müsse mit dem Wort des Evangeliums anfangen: "Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen!" Zum Orden ließ er darum nur jene zu, die auf alles verzichtet und sich nichts zurückbehalten hatten. So wollte er das Wort des Evangeliums erfüllen und das Argernis verhüten, jemand habe etwas von seinem Besitz zurückbehalten. Als ihn daher jemand in der Mark Ancona und Aufnahme in den Orden bat, gab ihm der wahre Patriarch der Armen zur Antwort: "Willst du dich den Armen Christi anschließen, dann verteile dein Eigentum unter die Armen dieser Erde!" Nach diesem Bescheid ging der Mann hin und gab aus irdischer Liebe alles den Seinen, den Armen aber nichts. Als der Heilige dies aus seinem Munde vernommen hatte, schalt er ihn heftig und sprach: "Geh deiner Wege, Bruder Mücke, denn du bist noch nicht aus deinem Hause und deiner Verwandtschaft fortgezogen! Deinen Blutsverwandten hast du das Deine geschenkt und die Armen betrogen; du bist der heiligen Armut nicht würdig. Du hast im Fleische begonnen und dem geistigen Bau ein baufälliges Fundament gegeben." Da kehrte der sinnliche Mensch zu den Seinen zurück und erbat sich zurück, was er den Armen nicht hatte geben wollen. So gab er sein lobenswertes Vorhaben gar schnell wieder auf.

4. 
Ein anderes Mal herrschte zu Santa Maria von Portiunkula große Not, und man konnte nicht für die Brüder, die als Gäste gekommen waren, sorgen, wie es erforderlich war. Darum wandte sich sein Vikar an den Gottesmann, machte ihn auf die Notlage der Brüder aufmerksam und bat um die Erlaubnis, vom Eigentum der eintretenden Novizen etwas zurückzubehalten, damit die Brüder zu gegebener Zeit darauf zurückgreifen könnten, um es zu veräußern. Da der Heilige den Ratschluß Gottes wohl kannte, antwortete er: "Es sei ferne von uns, liebster Bruder, uns wegen eines Menschen gegen die Regel zu versündigen. Wenn die Not es erheischt, sollst du lieber den Altar der glorreichen Jungfrau seines Schmuckes berauben, als auch nur in etwa gegen die gelobte Armut und die Befolgung des Evangeliums zu verstoßen. Der allerseligsten Jungfrau wird es lieber sein, wenn wir den Rat des heiligen Evangeliums gewissenhaft befolgen und ihren Altar berauben, als wenn ihr Altar geschmückt ist und wir den Rat ihres Sohnes, den wir gelobt haben, nicht beachten."

5. 
Einmal zog der Gottesmann mit einem Gefährten durch Apulien. In der Nähe von Bari fand er auf dem Wege eine große Geldbörse, die prall voll Geld zu sein schien und die im Volksmund "Geldkatze" heißt. Der Gefährte forderte den Heiligen auf und drang hartnäckig auf ihn ein, man solle die Geldbörse aufheben und das Geld den Armen geben. Der Gottesmann weigerte sich und meinte, bei der Börse handle es sich um einen Anschlag des Teufels; was der Bruder rate, sei nicht etwas Verdienstliches, sondern Sündhaftes, nämlich fremdes Gut sich anzueignen und zu verschenken. Sie gingen weiter und setzten eilig ihren Weg fort. Der Bruder jedoch gab keine Ruhe und, von falscher Liebe betört, machte er dem Gottesmann Vorwürfe, als wolle er nicht die Not der Armen lindern. Schließlich gab der Heilige in seiner Sanftmut nach und ging zu der Stelle zurück, nicht um dem Bruder den Willen zu tun, sondern um den Trug des Teufels aufzudecken. Mit dem Bruder und einem jungen Mann, den sie auf dem Wege trafen, kehrte er zur Börse zurück,. und nach einem Gebet befahl er dem Bruder, die Börse aufzuheben. Der Bruder war starr vor Zittern, denn er vermutete schon ein Zeichen des Teufels. Weil es ihm aber im heiligen Gehorsam aufgetragen war, ging er gegen die Angst in seinem Herzen an und streckte seine Hand nach der Börse aus. Und siehe, eine Schlange von beträchtlicher Größe schnellte hervor und verschwand plötzlich zugleich mit der Börse. Da erkannte der Bruder die Arglist des Teufels, des schlauen Feindes. Als so dieser trügerische Anschlag entlarvt war, sagte der Heilige zu seinem Gefährten: "Geld ist für einen Diener Gottes, Bruder, nur ein Teufel und eine giftige Schlange."

6. 
Als sich der Heilige danach aus einem bestimmten Grunde nach Siena begab, hatte er ein wunderbares Erlebnis. In einer weiten Ebene zwischen Campiglia und San Quirico kamen ihm drei arme Frauen entgegen, die an Gestalt, Alter und von Angesicht völlig einander glichen; sie entboten ihm einen neuen Gruß: "Willkommen, Herrin Armut!" Dieser Gruß erfüllte den wahren Freund der Armut mit unsagbarer Freude, weil er von den Menschen keinen Gruß so gerne hörte, als den jene gewählt hatten. Da waren sie plötzlich verschwunden. Als die Brüder in seiner Begleitung über ihre erstaunliche Ängstlichkeit, ihren Gruß, ihr eigentümliches Auftauchen und Verschwinden nachdachten, kamen sie zu dem berechtigten Schluß, diese Erscheinung solle in bezug auf den Heiligen irgendein Geheimnis andeuten. Jene drei armen Frauen, die ihm mit so gleichem Aussehen begegneten, ihn so ungewohnt begrüßten und so plötzlich verschwanden, stellten offenbar die Schönheit der evangelischen Vollkommenheit dar, nämlich deren Keuschheit, Gehorsam und Armut. Sie taten passend kund, daß sie in gleicher Weise auch an dem Gottesmann in Vollendung erstrahlten, wenn er sich auch lieber seines Vorrechtes der Armut rühmte, die er bald "Mutter", bald "Braut" und bald "Herrin" nannte. In dieser Tugend wollte er, der nach ihrer Anweisung sich für geringer als andere hielt, alle Menschen übertreffen. Sah er einen, der nach außen ärmer als er zu sein schien, so machte er sich sogleich Vorwürfe und wollte es ihm nachtun, als fürchtete er, im eifersüchtigen Ringen um die Armut könne ihn jemand übertreffen. Einmal begegnete er nämlich auf der Straße einem Armen. Als er dessen Blöße sah, wurde er in seinem Herzen traurig und sagte unter Tränen zu seinem Gefährten: "Dieses Mannes Armut beschämt uns sehr. Denn um großen Reichtum zu erwerben, haben wir die Armut erwählt. Doch siehe, an diesem da erstrahlt sie viel heller."

7. 
Aus Liebe zur heiligen Armut lebte der Diener des allmächtigen Gottes lieber von Almosen, die er von Tür zu Tür erbettelt hatte, als von solchen, die ihm sonst geschenkt wurden. Luden ihn nämlich hochgestellte Personen zu Tisch und wollten sie ihn durch eine reichlichere Tafel ehren, dann bettelte er erst in den näherliegenden Häusern der Umgebung Stücke Brot und setzte sich dann, reich in seiner Armut, zu Tisch. Als ihn so einmal der Kardinal von Ostia, der den Armen Christi besonders liebte, zu sich eingeladen hatte, tat er es wiederum. Da beklagte sich der Bischof, er habe ihn in ein schlechtes Licht gestellt, weil er um Almosen gebettelt habe, wo er doch als Gast bei ihm speisen sollte. Doch der Diener Gottes gab zur Antwort: "Große Ehre habe ich Euch erwiesen, mein Herr, da ich den größeren Herrn ehrte. Dem Herrn ist nämlich die Armut wohlgefällig, zumal jene, die um Christi willen freiwillig betteln geht. Unser Herr Jesus, der für uns arm geworden ist, hat diese königliche Würde auf sich genommen, um uns durch seine Armut reich zu machen und jene, die wirklich arm im Geiste sind, zu Königen und Erben des Himmelreiches einzusetzen". Daher will ich sie nicht für jene trügerischen Reichtümer opfern, die Euch nur vorübergehend zu Lehen gegeben sind."

8. 
Wenn er seine Brüder zum Almosenbetteln ermunterte, sprach er zuweilen zu ihnen: "Geht, denn in dieser letzten Stunde hat Gott der Welt die Minderbrüder gegeben, damit die Auserwählten ihnen das erweisen, was sie beim ewigen Richter in Gnade bringt und sie das beseligende Wort"' hören läßt: ,Was ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan'." Als hohes Glückpries er es darum, in der Eigenschaft des Minderbruders betteln zu gehen, weil der Lehrer des wahren Evangeliums selbst sie bei der Belohnung der Gerechten ausdrücklich erwähnt habe. Gewöhnlich ging er auch, wenn es angebracht war, an den Hochfesten betteln, indem er sagte, an den heiligen Armen erfülle sich das Wort des Propheten: "Brot der Engel genießt der Mensch." Engelsbrot nannte er deshalb dieses Brot, weil es um der Liebe Gottes willen erbeten und aus Liebe zu ihm auf Eingebung der seligen Engel an den Türen den heiligen Armen gereicht werde.

9. 
Einmal weilte er nun am heiligen Ostertage in einer Einsiedelei, die so weit von den Häusern der Leute entfernt lag, daß er nicht gut betteln gehen konnte. Daher dachte er an den Herrn, der an diesem Tage in Gestalt eines Pilgers den Jüngern auf dem Wege nach Emmaus erschienen ist, und erbet sich von den Brüdern als armer Pilger ein Almosen. Als er es in Demut empfangen hatte, unterwies er die Brüder in heiligen Worten, sie sollten durch die Wüste dieser Welt wie Pilger und Fremdlinge wandern und als die wahren Hebräer in Armut des Geistes allzeit das Pascha des Herrn, nämlich den Übergang aus dieser Welt zum Vater, begehen. Da ihn aber beim Almosenbetteln nicht Gier nach Erwerb, sondern die geistige Freiheit leitete, schien Gott als Vater der Armen für ihn in besonderer Weise zu sorgen.

10. 
Als nämlich der Diener des Herrn einmal krank in der Niederlassung zu Nocera lag, sollte er durch eine feierliche Abordnung nach Assisi gebracht werden, die das Volk von Assisi aus Verehrung zu ihm sandte. Als sie den Diener Christi geleisteten, kamen sie in ein armes Dorf namens Satriano. Da ihr Hunger nach Speise verlangte und es Essenszeit war, gingen sie in das Dorf. Da sie nichts fanden, was sie hätten kaufen können, kamen sie mit leeren Händen zurück. Da sagte der Heilige zu ihnen: "Ihr habt deshalb nichts gefunden, weil ihr mehr auf euere Fliegen als auf Gott vertraut." "Fliegen" nannte er nämlich die Geldstücke. "Doch geht in die Häuser zurück, in denen ihr gewesen seid, und bittet demütig um ein Almosen, indem ihr statt des Geldes die Liebe Gottes anbietet! Doch haltet dies nicht aus falscher Wertschätzung für verächtlich und beschämend! Denn Gott, der große Almosenspender, hat nach dem Sündenfall in seiner milden Freigebigkeit alles den Würdigen wie den Unwürdigen zum Almosen gegeben." Da legten die Ritter alle Scheu ab und baten nach seinem Willen um Almosen; so erhielten sie mehr um der Liebe Gottes willen als für ihr Geld. Auf Eingebung Gottes, die ihre Herzen milde stimmte, gaben die armen Bewohner nämlich nicht bloß von dem Ihrigen, sondern boten bereitwillig auch ihre Dienste an. So hat die reiche Armut des Franziskus ihre Not behoben, der ihr Geld nicht abhelfen konnte.

11. 
Als er in der Einsiedelei bei Rieti krank lag, kam oft ein Arzt zu ihm, um ihm mit seiner Kunst zu helfen. Da der Arme Christi ihm aber für seine Mühen keinen entsprechenden Lohn zu geben vermochte, hat Gott in seiner großen Freigebigkeit - um ihn nicht ohne irdischen Lohn zu lassen - anstelle des Armen ihm seine gottgefällige Hilfsbereitschaft durch folgende Wohltat vergolten. Das Haus dieses Arztes, das er damals mit seinem ganzen Vermögen neu erbaut hatte, bekam in den Mauern von oben bis unten einen so tief klaffenden Riß, daß es in Kürze einzustürzen drohte. Jede Anstrengung menschlicher Kunst schien außerstande, den Einsturz zu verhüten. Voll Vertrauen auf die Verdienste des Heiligen und in tiefem Glauben erbat er sich von den Gefährten irgend etwas, was der Gottesmann mit seinen Händen angeführt habe. Auf sein langes, inständiges Bitten gab man ihm schließlich etwas von seinen Haaren. Diese legte er am Abend in den Riß der Mauer. Als er am anderen Morgen aufstand, fand er den tiefen Spalt so fest geschlossen, daß er die in ihm geborgenen Reliquien nicht mehr herausnehmen und auch vom früheren Riß keine Spur mehr finden konnte. So geschah es, daß er, der dem gebrechlichen Leib des Knechtes Gottes voll Eifer gedient hatte, damit auch die Gefahr für sein gebrechliches eigenes Haus abwehrte.

12. 
Ein anderes Mal wollte sich der Gottesmann zu einer Einsiedelei begeben, um dort ungestört der Beschauung zu leben. Weil er sich schwach fühlte, ritt er auf dem Esel eines armen Mannes. Da dieser in der Sommerhitze dem Diener Christi folgend den Berg hinanstieg, ermüdete er durch den weiten steinigen Weg und war von brennendem Durst völlig erschöpft. Flehentlich rief er darum dem Heiligen nach: "Ich sterbe vor Durst, wenn mich nicht bald jemand mit einem wohltuenden Trunk stärken kann! " Da sprang der Gottesmann unverzüglich von seinem Esel, kniete sich auf die Erde nieder, streckte seine Hände zum Himmel und hörte nicht eher mit Beten auf, bis er sich erhört wußte. Nach dem Gebet sprach er zu dem Manne: "Lauf zu jenem Felsen! Dort findest du die Wasserquelle, die zu dieser Stunde Christus in seiner Barmherzigkeit dir zum Trunk aus dem Felsen entspringen ließ." Welch bewundernswerte Herablassung Gottes, die sich so bereitwillig zu seinen Dienern niederbeugt! Der durstige Mann trank Wasser, das durch die Kraft des Gebetes aus dem Felsen entsprang, und füllte seinen Becher an der Quelle aus hartem Gefels. Früher floß dort kein Wasser, und auch nachher war trotz sorgfältigen Suchens keines mehr zu finden.

13. 
Wie sodann Christus auf die Verdienste dieses Armen während der Fahrt auf dem Meere die Nahrungsmittel vermehrt hat, wollen wir an der betreffenden Stelle später berichten; hier genüge der Hinweis, daß er mit einer kleinen, ihm geschenkten Gabe die Seeleute mehrere Tage lang vor dem Tod des Verhungerns bewahrte. Dadurch sollten alle klar erkennen, daß der Diener des allmächtigen Gottes Moses ähnlich wurde, als er Wasser aus dem Gestein hervorquellen ließ, und ebenso dem Elisäus, als er die Nahrungsmittel vermehrte. Fern bleibe daher von den Armen Christi jeglicher Mangel an Vertrauen. Denn wenn die Armut des Franziskus in so hohem Maße genügte, um durch ihre wunderbare Kraft der Not seiner Wohltäter zu steuern, und ihnen Speise, Trank und Herberge ver schaffte, wo Geld, menschliche Kunst und Macht versagte, dann wird sie noch viel eher das erlangen, was Gottes Vorsehung in ihrer gewohnten Weise allen gewährt. Ja, ich behaupte, wenn schon auf das Gebet dieses Armen der karge Fels dem verdurstenden armen Manne reichlich zu trinken gab, wird nichts auf Erden denen Hilfe versagen, die aus Liebe zum Schöpfer des Alls alles verlassen haben.

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